Essen. . Die Lichtburg zeigt Samstag vor ausverkauftem Haus den Film „Shoah“. 566 Minuten „gegen das Vergessen“ – auch von Auschwitz-Angeklagten wie Heinrich Bischoff.

Bis vor 15 Jahren hätte man Jozef Bodek fragen können. Da lebte Häftling Nr. 95373 aus Auschwitz-Birkenau noch und war womöglich in der Lage, ein weiteres Mal zu Protokoll zu geben, was sich über seine Erlebnisse mit Heinrich Bischoff sagen lässt, diesem einstigen Bergmann aus Essen-Überruhr. Nachlesbar auf Blatt 15.687 der Akte.

Wie dieser eines Vormittags im Frühsommer 1943, während der Durchsicht der Baracken einen Gefangenen fand, der sich wegen völliger Erschöpfung unter dem Bett versteckt hatte. Wie Bischoff ihn mit einem dicken Knüppel schlug, den Kopf seines Opfers im Ofen, da der Peiniger selber keinen Lärm vertrug. Und zuschlug, „so lange, bis er starb“. Eines von einer Million Opfern.

An die Täter und Opfer und ihre Erlebnisse aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis zu erinnern, das geht an die Grenzen des Erträglichen und manchmal wohl auch darüber hinaus. Das werden jene knapp 1.200 Besucher der Lichtburg erfahren, die am Samstag dort den Film „Shoah“ sehen: 566 Minuten „gegen das Vergessen“ unfassbarer Gräueltaten, aber auch gegen das Vergessen, wie buchstäblich nah uns nicht nur Opfer, sondern auch manche Täter waren.

Heinrich Bischoff etwa, der einzige Essener unter jenen 22 Angeklagten, denen im Frankfurter Auschwitz-Prozess Anfang der 1960er der Prozess gemacht wurde: Angeklagt waren ehemalige SS-Angehörige und ein einstiger Häftling unter dem Vorwurf, im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz zwischen 1940 bis 1945 „durch mehrere selbstständige Handlungen, teils allein, teils gemeinschaftlich mit anderen, aus Mordlust und sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam sowie teilweise mit gemeingefährlichen Mitteln“ für den Tod von über 45.000 Häftlingen verantwortlich gewesen zu sein.

In den 14 Jahren seit Kriegsende war Bischoff zuvor unbehelligt geblieben, hatte nach kurzer Gefangenschaft als Heizer im Knappschaftskrankenhaus in Steele und später im erlernten Beruf auf Zeche gearbeitet.

Erst als die Bundesrepublik mit langer Verspätung die Täter von Auschwitz in den 1950er Jahren systematisch verfolgte, nahm man auch Bischoff ins Visier, der als Blockführer in Auschwitz, Birkenau und verschiedenen Nebenkläger eingesetzt war.

Am 21. Juli 1959 wurde Bischoff verhaftet, vier Monate später aber wieder entlassen, weil er als Folge eines Unfalls als haftunfähig galt. „Ich weiß, dass in Auschwitz viel Schweinereien passiert sind. Ich habe jedoch nicht mitgemacht“, so wird Bischoff in alten Verfahrens-Unterlagen zitiert, „ich bin der Ansicht, dass ich bei den Häftlingen nicht unbeliebt, sogar beliebt war.“

Seltsam, Jozef Bodek, einer von 360 Zeugen, die im Frankfurter Auschwitz-Prozess vernommen wurde, darunter 211 Überlebende der Vernichtungslager, hat das ganz anders in Erinnerung: „Bischoff zeichnete sich durch besondere Grausamkeit aus. Ich erinnere mich genau...“

Welche Schuld auch immer Heinrich Bischoff auf sich geladen hatte, gesühnt wurde sie nicht: Im Frühjahr 1964, ein halbes Jahr nach Beginn des Prozesses und gut ein Jahr vor der Urteilsverkündigung schied Bischoff krankheitshalber aus dem Verfahren aus. Er starb im Herbst desselben Jahres in Essen.

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