Essen. Am Sonntag wird in der Lichtburg der neuneinhalb Stunden lange Film Shoah von Claude Lanzmann gezeigt. Ein Wagnis, das belohnt wird: Das Kino ist ausverkauft.

Es ist eine bemerkenswerte Aufführung, und doch erstaunt es, wie rasch die Lichtburg für diesen Sonntag ausverkauft war. In dem mit rund 1200 Plätzen größten Kino Deutschlands wird dann der 30 Jahre alte, neuneinhalb Stunden lange und vielfach ausgezeichnet Film „Shoah“ des Franzosen Claude Lanzmann gezeigt. Ein Ereignis sei das – und eine Zumutung.

So formuliert Wilfried Breyvogel, ehemals Professor an der Essener Uni, der das ungewöhnliche Format auf den Weg brachte und den 89 Jahre alten Lanzmann überzeugte, nach Essen zu kommen. „Der Film ist ein überwältigendes, an die Grenzen gehendes Ereignis wie der Gegenstand selbst, den er behandelt: die Vernichtung der europäischen Juden.“ Und doch ist Breyvogel überzeugt, dass der Film junge Menschen direkt anspreche, gerade weil er auf Schockbilder von Leichenbergen verzichte und Zeitzeugen erzählen lasse.

Ungewohnte Größenordnung für die Lichtburg

450 Schüler von zwölf Essener Schulen sowie aus Mülheim, Bottrop, Oberhausen werden Shoah sehen. Breyvogel hat bei Gesprächen mit den Schülern ein tiefes Interesse an Thema und Film erlebt. „Und machen wir genügend Pausen, damit man durchatmen kann.“

Nicht nur an Durchatmen und Diskussion ist gedacht, bei einer Veranstaltung, die morgens bis Mitternacht dauert, wird auch für warmes Essen gesorgt. Dafür hat man das Restaurant „Mezzo Mezzo“ engagiert, das im Kino zehn Stationen aufbaut. „Mit einer solchen Größenordnung haben wir keine Erfahrung“, sagt Lichtburg-Chefin Marianne Menze. Vor Jahren habe man im Eulenspiegel Edgar Reitz’ Heimat-Zyklus gezeigt, 14 Stunden lang. Damals kamen nur 100 statt 400 erwarteter Zuschauer, da Blitzeis das Ruhrgebiet lahmlegte.

Lanzmann "ist selbst Geschichte"

Mit derlei höherer Gewalt rechnen die Veranstalter diesmal nicht. Sollten einzelne Gäste verhindert sein, werde man die Restkarten am Sonntagmorgen verkaufen. Neben den Schülergruppen gingen Karten an Zuschauer aus dem Ruhrgebiet, aber auch aus Berlin, Hamburg, Bonn, Frankfurt. Das Interesse erklärt sich schon dadurch, dass der Film in drei Jahrzehnten fast nie als Ganzes gezeigt wurde. Marianne Menze hat Shoah vor zwei Jahren auf der Berlinale gesehen; aber nur Ausschnitte, weil ihr auf dem Filmfestival die Zeit fehlte. In Gesamtlänge sah sie ihn später zu Hause. Sie hat Shoah als „enormes Zeitzeugnis“ erlebt, und ist sicher, dass die Interviews mit Opfern, Zeugen und Tätern jeden Zuschauer unmittelbar ansprechen, berühren.

Und schließlich wird da Claude Lanzmann selbst sein. Der Filmemacher und Schriftsteller, der 1925 als Sohn jüdischer Eltern geboren wurde, schon mit 18 in der Résistance kämpfte und später fast zwölf Jahre an dem Film über die Shoah arbeitete. „Dieser Mann“, sagt Menze, „ist selbst Geschichte.“