Essen. Vor allen Menschen mit Demenz zeigen ihre Lust völlig ungeniert. Eine Fachtagung der Essener Contilia-Gruppe will Pflegekräften helfen, mit schambesetzten Situationen umzugehen
Sexualität im Alter und insbesondere in Verbindung mit Demenz ist nach wie vor ein großes Tabu in unserer Gesellschaft. Besonders in Altenheimen sind die Pflegenden manchmal mit Situationen konfrontiert, die sie erschrecken oder irritieren. Denn nicht selten werden sie unfreiwillig Zeugen sexueller Aktivitäten wie Geschlechtsverkehr oder Selbstbefriedigung. Gerade Menschen mit Demenz zeigen ihre Lust völlig ungeniert; die Krankheit spült alle Hemmungen aus dem Gehirn.
„Wir erleben in unserer Einrichtung tagtäglich Sexualtität“, sagt Marita Neumann, Leiterin der Tagespflege im Seniorenstift Haus Berge. Damit umzugehen, sei für Pflegekräfte nicht einfach, „und sie reagieren nicht selten mit Ekel oder Scham, können kaum darüber sprechen. Darum brennt uns dieses Thema auch auf der Seele“. Neumann ist eine der Referentinnen der 7. Berger Runde, einer Fachtagung, zu der die Contilia Gruppe regelmäßig einlädt. Die große Resonanz mit 128 Teilnehmern aus Altenpflegeeinrichtungen aus der ganzen Republik zeigt, dass Sexualität und Demenz ein Thema ist, mit dem die meisten Pflegenden in ihrem Arbeitsalltag konfrontiert sind.
"Das Wichtigste ist, diese Themen endlich an- und auszusprechen“
„Deswegen ist es unser Anliegen, gemeinsam einen Modus zu finden, wie wir dieses heikle Thema professionell behandeln können“, sagt Ariel Weisberg, stellvertretender Leiter im Haus Berge. Dabei geht es nicht nur um die eigene Sprachlosigkeit und Betroffenheit, sondern auch um die der Angehörigen. „Wie gehe ich mit schockierten Kindern um, deren dementer Vater den ganzen Tag lang masturbiert?“ oder „Wie reagiere ich, wenn zwei Bewohner Sex miteinander haben, beide aber noch Ehepartner haben? Ist das nicht Ehebruch?“, waren nur einige Fragen aus dem Auditorium.
Darauf, und das zeigt sich schnell, gibt es keine standardisierten, einfachen Antworten, „aber das Wichtigste ist, diese Themen endlich an- und auszusprechen“, glaubt Marita Neumann, die ferner dafür plädiert, dass Pflegekräfte, die mit diesen intimen Situationen nicht umgehen können, das auch nicht tun müssen: „Aber auch das muss man im Team vermitteln: Ihr müsst nicht in dieses Zimmer. Das ist wichtig für beide Seiten.“
Praktische Lösungen finden
„Gerade demente Menschen haben feine Antennen für die Gefühlssituation anderer und können auf offensichtliche Ablehnung ungut reagieren“, weiß Referentin Sabine Weidert. Die Freiburger Sozialpädagogin setzt sich schon länger mit der Thematik Sex und Demenz auseinander.
„Körperliche Nähe bis hin zu sexuellen Handlungen ist bei der Begleitung von dementen Menschen nicht wegzudenken“, ist sie überzeugt. Zwar werde das Thema inzwischen in die Ausbildungsinhalte der Altenpfleger implementiert, „doch wir stehen noch ganz am Anfang“.
„Aber wir sollten uns im Klaren darüber sein, dass Sexualität zum Leben gehört - also auch zum Leben in einem Altenheim“, sagt Contilia-Geschäftsführer Thomas Behler. Wie die sexuellen Wünsche der Bewohner befriedigt werden können, „dafür müssen und werden wir ganz praktische Lösungen“. So sei auch die Vermittlung einer professionellen Sexualassistentin denkbar, „das sind tatsächlich Fragen, die wir zukünftig klären müssen“.