Essen. Für das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ gehen die Essener Philharmoniker auch in Grundschulen. Dort wird Musik zum echten Klangabenteuer.

In der dritten Stunde ist an diesem Vormittag in der Krayer Christophorusschule Luftholen angesagt. Auf Flaschenhälsen wird kräftig geblasen. Und Susanne Wohlmacher, Musikerin der Essener Philharmoniker, hat ihre Querflöte mitgebracht. Die kann zwitschern wie ein Vöglein, sie kann zischen wie der Wind aber auch „ganz schön Ohrenschmerzen machen“, findet Ben, der das Instrument so staunend begutachtet wie seine Mitschüler.

Wohlmacher ist eine von 30 Essener Philharmonikern, die sich für das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ in Zusammenarbeit mit der Folkwang Musikschule gemeldet haben. Statt in den Probensaal geht es morgens in die Schulen, 15 Schulklassen mit 350 Schülern werden so bis zur vierten Klasse erreicht.

Susanne Wohlmacher ist ein vertrautes Gesicht aus dem Essener Orchester. „Flöte ist mein Beruf, das Instrument spiele ich schon seit über 40 Jahren“, erklärt sie den Kindern. „Und wenn ihr in die Schule geht, gehen wir von 10 bis 13 Uhr ins Aalto-Theater zum Üben.“ Die lebenslange Leidenschaft, aber auch die Verpflichtung für ein Instrument zu vermitteln, egal, ob es einen in manchen Momenten extrem beglückt oder auch mal frustriert, „dieses Erleben wollen wir weitergeben“, erklärt die Musikerin und stimmt in der Stuhlrunde erst einmal „Das Lied vom kleinen Bach“ an.

Die Klasse hält den Atem an

Alle Kinder dürfen dabei mitprusten und sprudeln und haben am Ende ganz unterschiedliche Dinge gehört. Das Meer, sagt einer, und den Wasserfall. Und war da nicht auch noch ein Krokodil, das einen Fisch verfolgt hat? Die Klasse hält gespannt den Atem an. Und Susanne Wohlmacher freut sich über diese spontanen Momente, „man bekommt sofort Resonanz“.

Orchester mit Tradition

Die Essener Philharmoniker gehören zu den bedeutenden Kultur-Institutionen der Stadt. Das Orchester wurde 1899 gegründet und hat Essens Ruf als Musikstadt wesentlich geprägt. In loser Folge wollen wir die Aktivitäten der Philharmoniker nicht nur im Orchestergraben vorstellen.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Orchester von Chefdirigenten wie Gustav König, Heinz Wallberg, Wolf-Dieter Hauschild und Stefan Soltesz geleitet. 2013 hat Tomáš Netopil den Taktstock überommen.

Mit knapp 100 Planstellen gehören die Essener Philharmoniker zu den A-Orchestern der Republik, gewissermaßen die Bundesliga der Profimusiker. Sie spielen nicht nur die Opern- und Balletproduktionen im Aalto, sondern gestalten eine ganze Reihe weiterer Auftritte mit Sinfoniekonzerten, Kinder- und Sonderkonzerten.

Längst nicht alle Kinder in der Klasse haben dabei schon mal ein Orchester erlebt oder ein Instrument wie eine Klarinette oder Trompete jemals von Nahem gesehen. Und dass dem ein oder anderen Kind bei der Querflöte zuerst einfällt, dass man dieses seltsame Ding ja auch prima „als Schwert“ benutzen könnte, kommt nicht von ungefähr. Doch die Neugier ist geweckt. „Solche Schulbesuche sind für die Kinder echte Erlebnisse, die oftmals noch lange nachwirken“, weiß Birgit Walter, Vorstand der Stiftung „Jedem Kind ein Instrument“.

Begegnung mit Geige und Trompete

Doch es geht nicht nur darum, eine Begegnung mit Geige und Trompete zu ermöglichen. „Wir machen hier auch Mathe“, sagt Unterrichts-Koordinator Matthias Rietschel, will heißen: Wer sich mit Musik beschäftigt, fördert auch sein analytisches Denken. Und das gemeinsame Singen sei nicht nur für Kinder ausländischer Herkunft ein gutes Mittel, die Sprache leichter zu lernen, weshalb es ab 2015/16 nach dem Willen der Landesregierung wohl auch „JeKits“ heißt, und die Beschäftigung mit Instrumenten, Tanzen und Singen umfasst. Selbst Kinder mit großen Aufmerksamkeits-Defiziten könnten sich in der Jeki-Stunde gut konzentrieren, erzählt die vertretende Schulleiterin Angela Toussaint.

„Man muss gut vorbereitet sein und doch spontan reagieren“, beschreibt Susanne Wohlmacher die Schul-Arbeit. Dann bimmelt auch schon die Pausenglocke und das klingt in dem Moment doch nur halb so schön wie die Flöte.