Duisburg. Er ist Bezirksamtsleiter, 61 Jahre alt und kennt seine Rheinhauser bestens. Reiner Sanner über die Geschehnisse vor 25 Jahren und die Entwicklung des Stadtbezirks ohne Krupp.
Es gibt so viele Protagonisten, die den Arbeitskampf um das Hüttenwerk Rheinhausen bestimmt haben. Reiner Sanner, er hat damals auch protestiert, ist gebürtiger Rheinhauser, der 61-Jährige lebt im Stadtbezirk und leitet seit 2010 das Bezirksamt „seines“ Bezirks. Wie hat er die Geschehnisse vor einem Vierteljahrhundert erlebt? Und wie hat sich Rheinhausen seither entwickelt? Ein Blick zurück und viele in die Gegenwart und auch nach vorn.
Herr Sanner, sind Sie stolz auf „ihre“ Rheinhauser? Erzählen Sie von damals.
Reiner Sanner: Ich habe das alles sehr intensiv und im Wortsinne hautnah erlebt und bin sehr stolz auf das, was die Beschäftigten damals unternommen hatten und auf die großartige Solidarität in Rheinhausen, in Duisburg und weitere Kreise darüber hinaus. Viele Aktivitäten sind mir in lebhafter Erinnerung. Ich habe die Mahnwache vor Augen, ich denke an Kundgebungen und Menschenketten, an die Brücken- und Straßensperrungen und an das großartige Konzert in den Walzwerkshallen, als ich tatsächlich zum ersten Mal das Werksgelände, das ja komplett umzäunt war, betreten konnte. Und ich freue mich noch heute darüber, wie besonnen damals die Polizei und eigentlich alle Behörden reagiert haben. Es gab allerdings auch nicht ernsthaft einen Anlass zum Einschreiten, denn bei aller Empörung waren alle Aktionen absolut gewaltfrei.
Es war immer die Rede von der großen Solidarität der Menschen mit den Kruppianern. Ist so etwas in der heutigen Gesellschaft überhaupt noch denkbar?
Sanner: Die damaligen Aktivitäten waren schon ganz besonders. Bei besonderen Konstellationen wird es aber auch heute Solidarität geben. Dafür gibt es zahllose Beispiele in der Gegenwart, aktuell bei den Schließungsgerüchten um Opel-Standorte oder das Ford-Werk in Belgien.
Eine damalige Befürchtung lautete: Rheinhausen stirbt. Wie hat sich der Stadtteil seitdem entwickelt?
Sanner: Das gesamte Ruhrgebiet ist durch den Strukturwandel in der Montanindustrie betroffen, bei weitem nicht nur Rheinhausen. Wenn man sich vor Augen hält, dass noch in den 1960er und 1970er Jahren bei Krupp und den Bergbaubetrieben gut 20 000 Menschen unmittelbar Beschäftigung fanden, dass zudem Subunternehmen mit weiteren Arbeitsplätzen tätig waren und die Löhne in Rheinhausen oder zumindest der näheren Umgebung ausgegeben wurden, ist doch klar, dass Verwerfungen entstanden. Der Arbeitskampf hat dazu geführt, dass Bund und Land, aber auch die Großindustrie sich in der Verantwortung sahen. Der große Durchbruch ist dann mit der Umwidmung des Werksgeländes zum Logport geschafft worden. Relativ schnell ist damals dann auch der Businesspark Niederrhein entstanden mit einigen namhaften Ansiedlungen. Also: Rheinhausen ist – manchem Unkenruf zum Trotz – nicht gestorben.
Sagen Sie bitte etwas zur Entwicklung des Einzelhandels in Rheinhausen.
Sanner: Wenn sich die Einkommensverhältnisse in einem Gemeinwesen nachteilig verändern, ist natürlich auch der Einzelhandel nachteilig betroffen. Man muss aber sehen, dass die linksrheinische Beschäftigungsquote und damit die Einkommenssituation im innerstädtischen Vergleich und auch im Vergleich der Ruhrgebietsstädte durch die neuen Gewerbegebiete deutlich besser ist. Die Probleme des Einzelhandels haben vielfach andere Ursachen. Es sind Einkaufszentren auf „grüner Wiese“ mit magnethafter Wirkung entstanden sind und viele sogenannte Nonfood-Artikel werden heute beim Discounter statt im Fachgeschäft erworben. Das ist die bedauerliche Realität.
Und wie sieht es aus mit der Bevölkerungsstruktur?
Krupp-ArbeitskampfSanner: Unsere Bevölkerungsstruktur ist gar nicht schlecht. Es gibt durchaus auch hoch gebildete und einkommensstarke Gruppen. Zwar sind auch wir vom allgemeinen Bevölkerungsrückgang betroffen, aber längst nicht so stark wie andere Regionen im Lande. Das ist sicher auch darauf zurück zu führen, dass wir in vielen Stadtteilen sehr gute, zum Teil sogar erstklassige Wohnlagen haben. Dass es einige Problemquartiere gibt, soll an dieser Stelle aber auch nicht verschwiegen werden. Aber dort ist die Stadt tätig.
Früher die „Jobmaschine“ Krupp, heute Logport mit deutlich weniger Arbeitsplätzen, ein Vergleich verbietet sich, oder? Was hat die Logport-Ansiedlung für Rheinhausen gebracht?
Sanner: Man muss differenzieren. Die „Jobmaschine“ Krupp war zum Ende hin schon keine mehr. Auch großindustrielle Arbeitsprozesse sind längst stark automatisiert. Vielleicht werden in der Eisen- und Hüttenindustrie sogar noch am stärksten Menschen benötigt. Werke mit 10 000 Beschäftigten werden aber kaum noch zu finden sein. Durch Logport sind inzwischen an die 4000 Arbeitsplätze entstanden. Zwar ist das Gelände nahezu vollständig vermarktet, aber längst noch nicht komplett besiedelt, so dass weitere Arbeitsplätze entstehen werden. Vor 15 Jahren hat niemand erwartet, dass die Entwicklung so positiv sein würde. Wir haben noch Baulandreserven im Businesspark und dem Gewerbegebiet in Hohenbudberg. Ich bin guter Hoffnung, dass in Rheinhausen weitere Arbeitsplätze entstehen und davon werden wir dann alle profitieren.