Duisburg. Vor 25 Jahren begann in Rheinhausen der längste Arbeitskampf in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Um die Dimensionen zu erfassen, die mit dem legendären Arbeitskampf um das Rheinhauser Hüttenwerk verbunden ist, reicht eine Zahl: 47 000. 47 000 Menschen waren am 20. Februar 1988 beim sogenannten „Auf Ruhr“ Konzert im Walzwerk auf dem Krupp-Gelände dabei.
Ein solch’ großes Hallen-Konzert – dabei waren unter anderem Die Toten Hosen, Rio Reiser und Herbert Grönemeyer – hatte Europa bis dahin noch nicht gesehen. Rheinhausen war in Aufruhr, die Menschen kämpften, letztlich dann doch vergeblich, um „ihr“ Werk, sie standen in großer Solidarität zusammen. Entstanden war nicht weniger als eine Legende. Deren Anfang jährt sich am Montag zum 25. Mal.
Dieser Tag gilt als der Beginn vom Ende des Hüttenwerks Rheinhausen. Rund um den abebbenden Stahlboom hatte es damals viele Gerüchte um Werksschließungen gegeben. Aber Rheinhausen? Das modernste Werk Europas? Unvorstellbar für die Menschen. Heute steht an der Stelle von Krupp, zumindest räumlich, Logport.
Termine rund um das Arbeitskampf-Jubiläum
Die Auftaktveranstaltung „Vorwärts erinnern“ beginnt Sonntag um 15 Uhr im Stadthistorischen Museum, Johannes-Corputius-Platz 1., Titel: „Was uns bewegt“.
Am Montag, 26. November, beginnt um 18.30 Uhr das politisches Nachtgebet mit dem Titel „Wert der Arbeit – Wert der Menschen“ im Gemeindehaus „Auf dem Wege“, Peschmannstraße 2.
Eine Lesung und Fotoausstellung von und mit Ingrid Lenders, sie war damals in der Fraueninitiative aktiv, beginnt am Dienstag, 27. November, um 16 Uhr in der Bezirksbibliothek Rheinhausen, Händelstraße 6.
„Die Ruhrstadtmusikanten“ kommen am Donnerstag, 29. November, vormittags im Komma-Theater (Schwarzenberger Straße 147) ebenso zur Aufführung wie das Theaterstück „Die versunkene Stadt“ um 18 Uhr.
Am Donnerstag, 29. November, beginnt um 19.30 Uhr eine Podiumsdiskussion „Solidarität in der EU“ in der Bezirksbibliothek Rheinhausen.
„Geschichten aus dem Arbeitskampf“ werden am Samstag, 1. Dezember, 18 Uhr, im Komma-Theater erzählt.
Die „Brücke der Solidarität“ bekommt eine neue Gedenktafel am Samstag, 8. Dezember, 11 Uhr.
Zum Abschluss ist „Alles im Fluss“ am 15. Dezember, 18 Uhr, im Komma-Theater.
Rund um das Jubiläum gibt es in der Stadt jede Menge Veranstaltungen, Motto: „Vorwärts erinnern“ (siehe Infobox). Die NRZ/WAZ erinnert mit der Serie „Damals bei Krupp“ an die dramatischen Wochen und Monate vor 25 Jahren. Der Blick geht zurück aber auch voraus. Menschen kommen zu Wort, die den Arbeitskampf hautnah erlebten, bekannte Protagonisten und „ganz normale“ Rheinhauser.
Zum Start lesen Sie die Chronik der Ereignisse, beginnend mit dem schicksalsträchtigen Datum 26. November 1987.
26.11.1987: Im Wirtschaftsausschuss des Landtags dementieren Vertreter der Krupp Stahl AG nicht, dass der Konzern das Stahlwerk in Rheinhausen schließen will.
27.11.1987: Auf einer Pressekonferenz im Hilton-Hotel in Düsseldorf gibt Dr. Gerhard Cromme die Schließung des Stahlwerks in Rheinhausen bekannt. Kurz darauf kommt es zu ersten Arbeitsniederlungen. Die Stahlkocher ziehen vor die Hauptverwaltung des Werks in Friemersheim, wo Cromme die Schließung noch einmal verkündet. Er wird ausgebuht, ausgepfiffen und mit Eiern beworfen. Danach ziehen sie Stahlkocher demonstrierend durch Rheinhausen.
30.11.1987: Bei einer Belegschaftsversammlung im alten Walzwerk protestieren rund 10 000 Bürger und Stahlkocher gegen die drohende Schließung.
1.12.1987: Rheinhauser Stahlarbeiter fahren mit Bussen zu den Krupp-Standorten in Bochum und Düsseldorf. Dort solidarisieren sich die Arbeiter mit den Kollegen.
2.12.1987: Mehrere tausend Rheinhauser Stahlarbeiter blockieren die Rheinbrücke von Rheinhausen nach Hochfeld. Um daran zu erinnern, nennt der Rheinhauser Betriebsratschef Manfred Bruckschen die Rheinquerung im Februar 1988 in „Brücke der Solidarität“ um.
3.12.1987: 12 000 Schüler aus allen Teilen Duisburgs solidarisieren sich mit den Stahlarbeitern und demonstrieren für den Erhalt des Krupp-Werks.
4.12.1987: Aktionen vor Duisburger Stahlbetrieben; Aktion „Schichtwechsel“
7.12.1987: Zahlreiche Rheinhauser Stahlarbeiter besuchen die Aufsichtsratssitzung der Krupp-Stahl AG in Bochum. 3 500 Kollegen sind in Rheinhausen im Warnstreik.
8. 12. 1987: Auf Initiative der ÖTV-Chefin Monika Wulf-Mathies demonstrieren mehr als 10 000 Bedienstete der Stadt Duisburg und vom ganzen Niederrhein in Rheinhausen für die Arbeitnehmer des Krupp-Werkes.
9.12.1987: Rund 3 000 Rheinhauser Stahlarbeiter protestieren vor der Zentrale der Krupp-Stahl AG in Essen-Altendorf. Danach stürmen sie die Villa Hügel in Essen, wo der Aufsichtsrat tagt. Großkundgebung der ÖTV auf dem Rheinhauser Werksgelände.
10.12.1987: Stahlaktionstag im gesamten Ruhrgebiet: „Alle Räder stehen still ...“: Gewerkschafter errichten Straßensperren, unter anderem auf Autobahnen. Nach wochenlangem Warten spricht IG-Metall-Chef Franz Steinkühler im Werk Rheinhausen vor 3000 Stahlarbeitern.
16.12.1987: Solidaritätskonzert mit dem Liedermacher Hannes Wader im Werk Rheinhausen.
18.12.1987: Solidaritätstag des DGB, -Kundgebung der IGBE in der Rheinhauser Menage, Fackelzug durch Rheinhausen, Ökumenischer Gottesdienst im Walzwerk.
24.12.1987: Am Heiligabend feiern 2 000 Teilnehmer, Stahlarbeiter und ihre Familien, eine Christmette vor Tor 1. Der Gottesdienst wird bundesweit übertragen.
31.12.1987: Silvesterfeier vor Tor 1 an der Mahnwache Rheinhausen.
5.1.1988: Spazierfahrt zum Krupp-Stahlwerk in Düsseldorf-Benrath.
6./7.1.1988: Mit einer Nachtaktion in Duisburg reagieren Stahlarbeiter auf die Äußerung von Krupp-Stahl-Chef Wilhelm Scheider, er wolle die Schließung des Werkes durchsetzen.
12.1.1988: Weitere Mahnwachen in Duisburg. Die Kollegen vom Mannesmann-Stahlwerk stellen eine Mahnwache vor Tor 1 in Huckingen auf.
14.1.1988: Konferenz der Vertrauensleute der IG Metall mit den Beteiligten des Arbeitskampfes.
17.2.1988: „Politischer Aschermittwoch“: An einer Kundgebung und einem Gottesdienst im Walzwerk Rheinhausen nehmen 15 000 Menschen teil.
20.2.1988: Beim „Auf-Ruhr“-Konzert im Walzwerk feiern 47 000 Menschen unter anderem Die Toten Hosen, Herbert Grönemeyer, Rio Reiser und Klaus Lage.
23.2.1988: „Tausend Feuer an der Ruhr“: 80 000 Menschen mit Fackeln bilden in nur 15 Minuten quer durch das ganze Ruhrgebiet eine riesige Menschenkette.
24.2.1988: In Bonn tagt die „Kanzlerrunde“ zur Stahlkrise. Die Schließung des Rheinhauser Werks kann nicht verhindert werden. Doch das Gremium beschließt umfangreiche Investitionen für die Region Duisburg. Diese werden in den folgenden Jahren auch umgesetzt. Bekanntestes Beispiel: Der Business Park Ortsteil Asterlagen.
März 1988: Der Betriebsratsvorsitzende Manfred Bruckschen und sein Stellvertreter Walter Busch erarbeiten ein eigenes Konzept. Kernpunkt: Die Erhaltung des Werkes in Rheinhausen.
7.-14. April: Die Belegschaft im Werk Rheinhausen tritt in einen einwöchigen Protest-Streik.
11.4.1988: Die Stahlarbeiter halten eine Mahnwache vor dem Landtag in Düsseldorf ab. Ministerpräsident Johannes Rau erklärt sich bereit, zu vermitteln.
16.4.1988: 15 000 Besucher feiern ein Solidaritäts-Volksfest auf dem Glück-Auf-Platz in Hochemmerich.
3.5.1988: Die Belegschaft des Krupp-Stahlwerkes nimmt in der OSC-Halle in Hochemmerich die Ergebnisse der Verhandlungen an, die Ministerpräsident Johannes Rau in Verhandlungen mit der Krupp-Stahl AG erzielt hat. Damit endet nach 164 Tagen der längste und härteste Arbeitskampf in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Ein großer Teil der Krupp-Belegschaft erhält neue Arbeitsplätze und Abfindungen.
15. August 1993: Der letzte Hochofen wird ausgeblasen.