Duisburg-Rheinhausen. 20 000 Aleviten leben in Duisburg. Wie und wo beten sie? Wir waren zu Gast im Cem-Haus in Rheinhausen. Hier verneigen sich alle vor dem „Dede“.
Eine der ältesten und größten alevitischen Gemeinden Deutschlands hat ihren Sitz im Duisburger Westen. 1988 gründeten ehemalige türkische Gastarbeiter die „Alevitische Gemeinde Duisburg“, zu der heute 450 Familien aus 23 Städten gehören. Geschätzte 20 000 Aleviten wohnen in Duisburg. Aber wie und wo sie ihren Glauben leben, darüber ist nur wenig bekannt. „Natürlich, Sie dürfen sich das sehr gerne anschauen“, sagt Zeki Çakır, als wir ihn fragen, ob auch Fremde ins Gebetshaus an der Rheinhauser Friedrich-Alfred Straße 182 kommen dürfen.
Zeki Çakır empfängt uns am Eingang der einstigen Menage von Krupp. 1996 hat die Alevitische Gemeinde die alte Kantine gekauft und zum Zentrum ihrer Religionsgemeinschaft ausgebaut. „Kommen Sie herein“, sagt er, der die Alevitische Gemeinde gemeinsam mit Fatma Yaşar leitet. „Wir haben eine Doppelspitze.“ Mann und Frau als Führungsduo – als sichtbares Zeichen für die moderne und weltoffene Ausrichtung der Aleviten. Eine Haltung, die sich trotz der vielen altehrwürdigen Rituale auch durch die Gebetszeremonie zieht. Egal ob alt oder jung, arm oder reich, Mann oder Frau: Hier sind alle gleich.
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14 Paar Schuhe stehen vor der Glastüre mit der Aufschrift „Cem Evi“, Gebetshaus. Als der Vorsitzende der Gemeinde uns in den Raum lotst, hat die Zeremonie schon angefangen. Jeden Donnerstag wird ab 18 Uhr gemeinsam der Glaube gefeiert. Frauen und Männer sitzen auf Kissen. Von den Wänden blicken die zwölf heiligen Imame auf die Gemeinschaft herab. Da der Boden trotz der vielen orientalischen Teppiche kalt ist, stehen die Füße auf dicken Polstern. Manche tragen Socken, andere sitzen hier barfuß oder haben sich eine Wolldecke über die Beine gelegt. Ansonsten sind sie in ganz normaler Kleidung zum Gebet gekommen. Einer trägt noch seinen Arbeitsoverall.
Den Blick hat die Gemeinde zu einem Mann ausgerichtet, der an einem kleinen Tisch sitzt. „Das ist der Dede“, flüstert Zeki Çakır. Der Vorbeter. Er gehört zu den Nachfahren der Prophetenfamilie. Nur wer verwandt ist mit Muhammed, dem Gesandten Gottes, darf diesen Job machen. Der Dede spricht türkisch. Man muss das nicht verstehen können, um zu spüren, dass es sich um Gebete handelt. Die Gemeinde murmelt Antworten. Neben dem Vorbeter sitzt der Barde. Er hat ein elegantes Instrument dabei: die türkische Langhalslaute Bağlama, auf der er in Melodien verpackte Botschaften in den Raum schickt.
Das Erdbeben in der Türkei ist Dauerthema im Cem-Haus
Als noch ein Nachzügler hereinkommt, rücken die anderen zusammen. Bevor sich der Mann hinsetzt, kniet er sich vor den Dede, legt seine Hände auf den Boden und küsst diese dreimal. Ein Zeichen der Ehrerbietung. Dann wird es nach den Gebeten und Gesängen plötzlich lockerer. Es ist nicht mehr nur der Vorbeter, der spricht. Immer wieder meldet sich einer aus der Runde mit erhobenem Arm. Wer vom Dede aufgefordert wird, darf reden.
Wir sind beim politisch-gesellschaftlichen Teil des Abendsangelangt. Es wird debattiert. „Wir haben immer verschiedene Themen, die wir hier besprechen“, erklärt der Vorsitzende, bevor er sich selber zu Wort meldet und auf Türkisch über den neusten Stand der Erdbeben-Hilfsaktion berichtet. Die Naturkatastrophe in der Türkei und in Syrien ist zum Dauerthema der Rheinhauser Religionsgemeinschaft geworden. Viele haben Familienangehörige dort und jeder kennt irgendjemanden, dem schlimmes Leid widerfahren ist.
Das Herz spielt bei den Aleviten eine ganz besondere Rolle
Die Spendenaktion der Duisburger Aleviten ist sehr gut angelaufen, jetzt aber ein wenig ins Stocken geraten. Zeki Çakır nennt den aktuellen Stand: 43 000 Euro sind zusammengekommen. Der Vorsitzende berichtet den anderen von den 64 Familien in der Türkei, die die Duisburger Aleviten bisher finanziell unterstützt haben. Bewegende Dankesnachrichten bekommt er regelmäßig per Whatsapp aus dem Erdbebengebiet. Oft muss er weinen, wenn er das liest. Auch Emotionen wie diese werden hier im Cem-Haus geteilt.
Jetzt ergreift wieder das Glaubensoberhaupt das Wort und hält eine Ansprache. Diesmal wirkt der Dede streng. „Es geht um die Wahlen in der Türkei“, übersetzt Çakır. Der Vorbeter hat die Gemeinde aufgefordert, sich an der Wahl zu beteiligen. Die Laute erklingt, der Dede betet, die Gemeindemitglieder knien sich auf die Teppiche und legen die Stirn auf den Boden. Dann stehen sie auf und sprechen Gebete, während die rechte Hand auf der linken Brust liegt. „Das Herz spielt bei uns eine ganz besondere Rolle“, sagt Fatma Yaşar. Hier wohnt Gott, die Aleviten tragen ihren Allah immer bei sich.
Der Vorbeter hat ein Auge darauf, dass das Essen gerecht geteilt wird
Mit Daumen und Zeigefinger löscht der Vorbeter die Flammen der drei Kerzen, die im Cem-Haus für Gott, Muhammed und Ali brennen. Wir dürfen die Schuhe wieder anziehen. Im Nebenraum sind die Tische gedeckt. Hier, wo früher die Arbeiter von Krupp gegessen haben, werden nach dem Gottesdienst kleine Speisen geteilt. Jeder hat etwas mitgebracht. Äpfel, Brot, türkischer Tee - der Dede hat eine Auge darauf, dass alles gerecht geteilt wird. Er segnet das Essen und spricht das Tischgebet. Jetzt beginnt der gemütliche Teil des Abends. Es darf geredet werden, völlig zwanglos – über Gott und die Welt.
>>>> DIE SPENDENAKTION FÜR DIE ERDBEBENOPFER:
- Die Spendenaktion für die Erdbebenopfer geht weiter. Die beiden Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde fahren demnächst persönlich in die Türkei, um vor Ort mit dem Geld aus Duisburg zu helfen.
- Sie freuen sich, dass auch viele Duisburger ohne türkische Wurzeln gespendet haben. „Sie wissen zu schätzen, dass das Geld bei uns eins-zu-eins an die Opfer weitergegeben wird“, sagt Zeki Çakır.
- Wer helfen möchte: Die „Alevitische Gemeinde Duisburg E.V.“ hat folgendes Spendenkonto eingerichtet: IBAN: DE20 3505 0000 0251 0100 88; BIC: DUISDE33XXX, der Verwendungszweck lautet: Erdbeben 2023.