Duisburg. Thorsten Hendricks, Pfarrer in Homberg und Dechant im Dekanat Duisburg-West, findet klare Worte zur Lage der katholischen Kirche. Was er fordert.
Die Baustelle vor seinem Haus stimmt Thorsten Hendricks nachdenklich. Pünktlich um 7 Uhr fangen die Bagger unter der Woche an zu rütteln. Für den Pfarrer der St. Franziskus Gemeinde in Homberg hat das etwas Symbolisches: Nicht nur an der Straße rüttelt es, sondern auch am Pfarrhaus und der benachbarten Kirche. Wann, so fragt er in einem Beitrag auf Facebook, wann wacht ihr endlich auf?
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Als das aktuelle Gutachten der Münchener Kanzlei „Westphal Spilker Wastl“ zu zahlreichen Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern im Erzbistum München und Freising publik wurde, da schoss Hendricks direkt dieser eine Gedanke in den Kopf: „Schon wieder.“ Schon wieder ein Gutachten. Schon wieder zahlreiche Opfer – das Gutachten spricht von fast 500 geschädigten Kindern und Jugendlichen – über die viel zu lange geschwiegen wurde. „Wir werden das jetzt immer öfter erleben“, sagt Hendricks im Gespräch mit dieser Redaktion. „Es wird leider immer wieder diese ‘Schon wieder’-Tage geben.“
Duisburger Pfarrer: „Man zweifelt an dieser Institution“
Das aktuelle Gutachten habe besondere Brisanz. Unter anderem, weil dort hochkarätige Menschen involviert sind. So wirft das Gutachten dem emeritierten Papst Benedikt XVI massives Fehlverhalten vor. So soll er in seiner damaligen Funktion als Erzbischof Joseph Ratzinger (1977 bis 1982) an einer Sitzung teilgenommen haben, in der entschieden worden ist, dass ein pädophiler Priester aus Essen in das Erzbistum München übernommen wird. Dort kam es laut Gutachten zu weiteren Taten. Benedikt XVI hatte seine Teilnahme an besagter Sitzung bestritten, am Montag hat er eine Falschaussage eingeräumt.
Hendricks, der auch Dechant im Dekanat Duisburg-West ist, macht keinen Hehl draus: „Man zweifelt sehr an dieser Institution.“ Es sei dieses männerbündische Verhalten, das dem Pfarrer immer öfter Magengrummeln bereite. „Man hat es einfach vertuscht“, sagt er ungeschönt. „Da wurden dann Menschen versetzt, aber nicht bestraft. Das war so das Denkmuster der vergangenen Zeit. Niemand hat auf die Opfer geguckt, die waren einfach lästig.“
Dabei, so sagt er, verkünde die Kirche doch gerade: Geht zu Menschen die schwach sind und Hilfe brauchen. „Für mich ist das Verrat am Evangelium.“ Es sei unerträglich, wie die Verantwortungsträger mit ihrer Verantwortung umgegangen sind. „Da hat auch nicht nur was mit dem Amt zu tun“, betont der Pfarrer mit Hinblick auf Papst Benedikt. „Sondern überhaupt mit Menschen. Nicht wahrzunehmen, dass es da Opfer gibt – das ist für mich etwas ganz Schlimmes.“
Missbrauch in der Kirche: Auch das kirchliche Personal fühle sich verantwortlich
Immer häufiger käme es daher vor, dass die Menschen Hendricks fragen: Wie kannst du da noch mitmachen? Wie kannst du diese Institution unterstützen? „Aber was ist, wenn diejenigen, die dafür sorgen, dass es gut läuft, auch noch wegfallen?“, gibt der Pfarrer zu bedenken. Für ihn steht fest: Die katholische Kirche brauche einen Neustart. „Man muss von vorne beginnen, das fängt beim Personal an, auch in der obersten Ebene.“ Dass sich immer mehr Menschen von der Institution Kirche abwenden, sei deutlich spürbar. Irgendwann, so Hendricks, werde die Kirche marginal sein.
Die zahlreichen Missbrauchsfälle blieben auch beim Personal nicht folgenlos. „Das ist auch bei Mitarbeitern Thema, die immer mehr zweifeln“, sagt der Pfarrer. „Die fühlen sich in einer Art verantwortlich.“ Er gibt ein ganz praktisches Beispiel. Wenn es eine Stellenausschreibung für einen katholischen Kindergarten gibt, „wer bewirbt sich denn da noch?“, fragt er. Es sei schmerzhaft, Tag für Tag damit konfrontiert zu werden. „Wir sind die, die für die Institution vor Ort Gesicht zeigen.“ Doch für viele Menschen zähle das längst nicht mehr. „Wir suchen nach Worten in einer Zeit, in der wir sehr verzweifeln. Ich versuche vor Ort das Evangelium zu leben, die Botschaften umzusetzen in unsere Zeit.“ Es seien seine Mittel, um dabeibleiben zu können. Denn auch Hendricks betont: „Bei mir gibt es auch große Zweifel.“
Pfarrer aus Homberg möchte die Menschen vor Ort begleiten
Dass große Skandale von oberste Ebene publik werden, die eine Strahlkraft bis zur Basis haben, erlebte Hendricks in seiner Laufbahn nur allzu oft. „Da ist man ein Glied der Kette“, sagt er. „Ich habe das so kompensiert, dass ich sage: Gerade vor Ort muss man authentisch sein.“ Denn trotz dieser „Dunkelheit“, wie er es nennt, gebe es auch schöne Momente. Besonders dann, wenn Hendricks in seiner Funktion die Menschen begleiten kann. „Beerdigungen, Taufen oder auch Religionsunterricht, es sind diese kleinen Punkte, die Kraft geben.“
Und dennoch machen die Bagger vor seinem Haus Hendricks jeden Tag aufs Neue klar: „Baustelle Kirche. Reset. Von vorne anfangen, bitte!“