Duisburg. Die Nazis deportierten und ermordeten tausende Homosexuelle. Dass dies auch in Duisburg geschah, zeigt das Schicksal Alfred Ledermanns.
Er fällt kaum auf in der Kurt-Heintze-Straße. Vor dem Haus Nummer 11 ist der Stolperstein für Alfred Ledermann über die Jahre fast genauso dunkel geworden wie die anderen Pflastersteine um ihn herum. Dass er an diesem Tag gereinigt wird, freut Ledermanns Großnichte Melanie Beaufays-Kleiner, die gedankenverloren immer wieder zwischen dem Gedenkstein vor der Eingangspforte des vorgelagerten Kleingartens und dem Altbau hin und her schaut. „So ein Stein sorgt für Aufmerksamkeit. Er klärt auf, ist wie ein kleiner Stich, er rüttelt wach“ ist sie sich sicher.
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Alfred Ledermann wurde im Sommer 1942 von den Nationalsozialisten als „Asozialer und Homosexueller“ im KZ Sachsenhausen ermordet. Zuvor hatten ihn die Behörden als einen „minderjährigen Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“ abgestempelt, seine zu lasche Erziehung hätte ihn „willensschwach und arbeitsscheu“ werden lassen. Er wäre ein „Herumtreiber“ gewesen, der ein „Bummelleben“ geführt hätte. Auf Grundlage dieser Diffamierungen wurden er und viele andere Homosexuelle in Arbeits- und Vernichtungslagern ermordet.
Alfred Ledermann während des Nationalsozialismus: Ein Leben voller Angst
Der Arbeiter Alfred Ledermann wurde am 26. August 1921 in Langenberg im Rheinland geboren. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er sieben Jahre alt war. Sein Vater heiratete erneut, das Verhältnis zu ihm und zur Stiefmutter war schlecht. Im Jahr 1938 wurde er nach einem Einbruch-Diebstahl vom Jugendgericht Duisburg noch verwarnt.
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Doch als ihm im Jahr 1939 erstmals homosexuelle Kontakte nachgewiesen wurden, wurde er zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt, von denen er drei absitzen musste. Nach der Haft kam er zur „Arbeitspflicht“ in ein Arbeitslager am „Westwall“ an der Grenze zu Frankreich, aus dem er nach vier Wochen floh. Mittlerweile zur Fahndung ausgeschrieben, ging er zurück in das Haus seines Vaters in der Kurt-Heintze-Straße 11.
Seine sexuellen Kontakte zu Männern, mit denen er sich laut Forschung höchstwahrscheinlich finanziell über Wasser halten wollte, brachten ihn Anfang 1941 wieder hinter Gitter. Im folgenden Strafverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf wurde er in drei Fällen für schuldig befunden und zu einem Jahr Haft verurteilt.
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Er kam danach nie wieder frei. In der folgenden „Vorbeugehaft“, die auf Himmlers ausdrücklichen Befehl gegen Homosexuelle, „die mehr als einen Partner verführt haben“ gerichtet war, wurde Ledermann per Sammeltransport ins Duisburger Polizeigefängnis gebracht. Von dort aus wurde er in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, wo er in der gefürchteten Strafkompanie im „Klinkerwerk“ am 14. März 1942 bei einer gezielt gegen Homosexuelle gerichteten Mordaktion ums Leben kam.
Nur fünf Stolpersteine für Homosexuelle gibt es in Duisburg
Es ist den Aufzeichnungen des Sachsenhausen-Häftlinges Emil Büge (1890-1950) zu verdanken, dass Ledermanns Schicksal und das zahlreicher weiterer Gefangener überliefert ist. Auf kleinen Zetteln, die er in Brillenetuis versteckte, schmuggelte er die Namen der Ermordeten aus dem Lager. Ein Glücksfall für die Forschung, findet Jürgen Wenke.
Auch er ist beim Putzen des Stolpersteins vor Ort. Dem Psychologen, der seit zwölf Jahren zum Schicksal verfolgter und ermordeter Homosexueller im NS-Regime forscht, stört, dass dem Thema in der breiten Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit zukomme. Zu wenig werde geforscht, das Thema sei noch weitgehend „unbeackert.“
NRW: 14.000 Stolpersteine – 85 für homosexuelle NS-Opfer
Dass in ganz Nordrhein-Westfalen unter den rund 14.000 Stolpersteinen nur 85 homosexuellen Opfern gewidmet sind, stimmt Jürgen Wenke nachdenklich. „Auf politischer Ebene ist das Thema zwar durchgesickert, aber die Allgemeinheit kümmert sich wenig um die schockierenden Schicksale Homosexueller im Nationalsozialismus.“ In Duisburg gibt es bisher fünf Stolpersteine für Homosexuelle. Ein weiterer soll bald verlegt werden.
Melanie Beaufays-Kleiner ist froh, dass an das Schicksal ihres Großonkels erinnert wird. Nach der gründlichen Reinigung leuchtet der Gedenkstein wieder messingfarben und hebt sich vom restlichen Grau des Bodens ab. Vorbeigehende Passanten werden nun wieder daran erinnert, was Alfred Ledermann widerfahren ist. In diesem Jahr wäre er einhundert Jahre alt geworden.