Duisburg. Ein Duisburger Schüler klagt, dass die NS-Zeit in der Schule zu wenig behandelt wird. Unwissenheit mache antisemitische Beleidigungen möglich.
Die NS-Zeit kommt in der Schule kaum vor, klagt Benedikt Rommeler aus Duisburg. „Es kommt leider nicht von ungefähr“, beginnt der Schüler einen Facebook-Post, den er wegen des bundesweit diskutierten Schreibfehlers „Verschissmus“ zum Gedenken am Volkstrauertag auf einer Trauerschleife schrieb.
Schüler würden die Schule verlassen, ohne zu wissen, was Holocaust bedeutet, wann der zweite Weltkrieg war und wie viele Juden ermordet wurden. Wäre es anders, würden Schimpfworte wie „Du Jude“ nicht so rücksichtslos benutzt werden, glaubt der 18-Jährige. Auch in Fächern wie Sozialwissenschaften, Deutsch und Religion sei die NS-Zeit nur sehr spezifisch behandelt worden, etwa zur „Kirche in der NS-Zeit“ oder zur Literatur der Zeit.
Schüler beklagt falsche Prioritäten im Geschichtsunterricht
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Rommeler macht in diesem Jahr am Duisburger Mannesmann-Gymnasium sein Abitur, parallel ist er Mitglied der Grünen und jüngstes Mitglied im Umweltausschuss. Keine Frage, Politik bewegt ihn.
Seine etwas überspitzte Klage, dass der Nationalsozialismus kaum Thema im Unterricht gewesen sei, er dafür alles über „die Griechen, die Römer und die Französische Revolution sagen kann“, macht hellhörig. Im Interview ergänzt er, dass es in seinem Fall viele Unterrichtsausfälle gegeben habe.
Ihn beunruhige, dass es Menschen gebe, die am Holocaust-Gedenktag ein Ende der Erinnerungskultur fordern. Dabei gehe es ihm nicht um ein Schuldbewusstsein, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen, dass sich Geschichte nicht wiederhole. Immerhin: Ein Zusatzkurs habe sein eigenes Wissen in der Jahrgangsstufe 12 verbessert
Einfluss der Schule auf Kinder und Jugendliche wird überschätzt
Der Einfluss von Schulen auf die Erziehung junger Leute werde überschätzt, findet hingegen Dr. Stefan Zeyen, Leiter des Mannesmann-Gymnasiums und Geschichtslehrer in Personalunion. Würde die schulische Aufklärung alle erreichen, würde keiner rauchen, im jungen Alter schwanger werden oder rassistisch sein, sagt Zeyen. Und wer die AfD wähle, der wisse, worauf er sich einlasse. Auch wenn die NS-Zeit Thema in der Schule war, könne „ein Schüler trotzdem anfällig für rechtes Gedankengut sein“.
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„Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass ein Schüler von der Schule geht und nichts vom Holocaust gehört hat“, meint Zeyen. Gleiches würden manche auch von den Binomischen Formeln behaupten. Insgesamt hätten sich die Lehrpläne verändert, die Weimarer Republik würde inzwischen fokussierter behandelt, damit mehr Platz für die jüngste deutsche Geschichte sei.
„Mir geht es im Unterricht vor allem um Strukturen. Wie konnte Hitler passieren? Bei welchen Entwicklungen muss man vorsichtig sein – und da bieten sich Parallelen zur Gegenwart wie zuletzt mit Thüringen an“, sagt Zeyen. Das Thema sei breit verankert. Auch Exkursionen wie eine Gedenkstättenfahrt nach Sachsenhausen würden sich dem Zweiten Weltkrieg widmen.
Zeitzeugen-Projekte in Klasse 8
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Ähnlich sieht das Ralf Buchthal, der Leiter des Steinbart-Gymnasiums und Schulformsprecher. Der Politiklehrer berichtet, dass die letzte Fahrt vor der Oberstufe alle Schüler nach Berlin führe, wo neben Mauerbau und Wiedervereinigung auch die Topographie des Terrors Thema sei, zuvor im Unterricht vorbereitet. Außerdem gebe es in den achten Klassen das Projekt „Zweitzeugen“, in dem die Schüler durch die intensive Auseinandersetzung mit Zeitzeugen zu eben diesen Zweitzeugen würden.
Benedikt Rommeler weiß das. Er bekennt auch, dass der Geschichtsunterricht manchen Mitschülern zum Thema Holocaust völlig gereicht habe. Trotzdem: „Dieses Thema ist das einzige in der ganzen Schulzeit, das Schüler zum Weinen bringen müsste.“
Qualität des Unterrichts von Lehrern abhängig
Lea Heitbrink, Schülersprecherin des Steinbart-Gymnasiums, hat gerade noch auf dem Schulklo gelesen, dass jemand als schwul beleidigt wurde. Auch die Bezeichnung „Jude“ komme vor. Sie selbst sei gut informiert worden zum Thema NS-Zeit, schiebt das aber vor allem auf ihre Lehrerin: „Der war das total wichtig, sie hat nicht nur Zahlen und Fakten vermittelt.“
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Es gebe aber auch Mitschüler, die das gar nicht lernen wollen, weiß die 17-Jährige. Und wer den Zweiten Weltkrieg nur aus Erzählungen kenne, für den sei das unreal, „die nehmen die aktuelle Bedrohung dann auch nicht ernst“.
An G8-Gymnasien ein Jahr weniger Geschichte
Wer im G8-System Geschichte hatte, hat in Klasse 9 zuletzt Unterricht und je nach Fächerkombination noch mal einen Zusatzkurs in der Oberstufe. Mancher komme da nur bis zur Weimarer Republik, berichtet eine Schülerin, die anonym bleiben möchte. So entstehe ein gefährliches Halbwissen, ergänzt Rommeler.
Im G9-System, wo die Sekundarstufe I mit Klasse 10 endet, ist zumindest ein Jahr länger Geschichtsunterricht möglich.
Schulministerium schließt aus, dass NS-Zeit zu kurz kommt
Das Schulministerium erklärt auf die Frage, ob es möglich ist, dass ein Schüler von der NS-Zeit im Laufe seines Schullebens nicht viel mitbekommen hat: „Nein, das ist nicht möglich. Das Fach Geschichte ist an Gymnasien in der Sekundarstufe I verpflichtender Bestandteil der Stundentafel. Die Themen Holocaust, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg waren, sind und bleiben in der Schule wichtige Themen.“
Verbindlich seien für alle weiterführenden Schulformen die inhaltlichen Schwerpunkte „Nationalsozialistische Herrschaft und Ideologie; Entrechtung, Verfolgung und Ermordung europäischer Juden, Sinti und Roma, Andersdenkender zwischen 1933 und 1945; Vernichtungskrieg und Holocaust.“
Auch ein Lehrermangel könne allenfalls vereinzelt zu Lücken führen. Insgesamt gibt es nach einer Erhebung des Schulministeriums (Stand 2018) nahezu doppelt so viele Geschichtslehrer wie es Unterrichtsbedarf dafür gibt.