Duisburg. . Der Hafen setzt auf Forschung und Start-ups mit grünen Ideen, díe Uni will den lokalen Handel revolutionieren: Das hier sind die größten Ideen.

Schrott und Kohle, Milchpulver und Whiskey: Kaum etwas, das im Hafen nicht umgeschlagen wird. Zu den Kunden der Duisburger Hafen AG gehören Audi und Daimler, Fressnapf und Danone. 130 Millionen Tonnen Güter fanden 2017 über den größten Binnenhafen der Welt an ihr Ziel. Duisburg ist eine international bedeutende Logistikdrehscheibe. Die Stadt profitiert davon: 50 000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom Hafen ab. Dieser Jobmotor hat allerdings seinen Preis, denn er wird befeuert von Transportmitteln, deren CO2-Ausstoß beträchtlich ist: Logistik ist laut Klimaschutzkonzept global für mehr als 14 Prozent aller Emissionen verantwortlich. Dementsprechend hoch ist das Einsparpotenzial.

(Die Ziffer 1 in der interaktiven Weltkarte ist technisch bedingt und stellt keine Aussage dar.)

Die CO2-Emissionen, die bei Transporten vom und zum Hafen anfallen, erfasst Duisport selber nicht; dafür sind dessen Kunden zuständig. Dennoch: Klimaschutz ist ein Thema im Hafen; von der Start-up-Förderung bis hin zu Projekten, die direkt vor Ort umgesetzt werden und solchen, die in Zukunft Wege und Kohlendioxid sparen sollen. „Viele dieser Ideen sind für sich genommen nicht wirtschaftlich“, gibt Duisport-Chef Erich Staake zu. Aber: „Wenn man 20 Jahre hinter einander Umsatz und Ertrag steigert, dann hat man auch Spielräume.“

Am Innenhafen hat der Hafen Logistik-Start-ups angesiedelt

Spielräume, die Staake nutzt; ob für die Ansiedlung von Branchen-Start-ups am Innenhafen oder für die perspektivische Installation eines 3D-Druckers für industrielle Ersatzteile auf dem Duisport-Gelände. Spielräume, die er allerdings nicht mit Spielereien verwechselt wissen will: „Wir wollen hier keine Gimmicks und Modeentwicklungen. Es muss einzahlen auf das übergeordnete Ganze: Duisport muss als größte Logistikdrehscheibe Europas weiterhin für seine Kunden attraktiv sein, Arbeitsplätze schaffen und wirtschaftlich sein.“

„"Wir wollen hier keine Gimmicks und Modeentwicklungen"“

Hafen-Chef Erich Staake legt Wert darauf, dass Investitionen in den Klimaschutz sich für den Hafen lohnen.

Für Erich Staake ist das Umsetzen klimaschonender Logistikprojekte ein Stück weit Akzeptanzpolitik: Schicksale wie die anderer Logistikgroßprojekte wie BER oder Stuttgart 21 will er verhindern, bevor solche Konflikte entstehen. Sein Credo: Wer nur reagiert, verliert. Er zieht es vor, zu agieren. Nicht immer mit Erfolg – das zeigt die aktuelle Diskussion um die Pläne des Hafens, der Steag für ein Altholzkraftwerk 40 Hektar Fläche auf dem Gelände von Logport 6 zur Verfügung zu stellen.

Weniger Wege durch klügere Züge: Smart Traffic spart CO2 

Mehr als 1500 Lkw steuern pro Tag den Duisburger Hafen an – manch einer fährt unverrichteter Dinge wieder weg, um am nächsten Tag die selbe Strecke wieder zu fahren. Lässt die Ladung auf sich warten, machen die Lkw Leerfahrten, denn die Fahrer kennen nur den Fahrplan der Züge, nicht ihre tatsächliche Ankunftszeit. Das ist mehr als nur ein Ärgernis – bei einer Logistikdrehscheibe, an der pro Jahr 130 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen werden, ist das auch ein Umweltproblem. Eines, das der Hafen lösen will.

Am Hafen haben Züge auch mal Tage Verspätung

13 000 Kilometer legen die Züge aus China zum Hafen zurück. Kein Wunder, dass sie auch mal Verspätung haben: Stunden – oder Tage.
13 000 Kilometer legen die Züge aus China zum Hafen zurück. Kein Wunder, dass sie auch mal Verspätung haben: Stunden – oder Tage. © Ralf Rottmann

Züge aus den Nachbarländern haben oft drei oder fünf Stunden Verspätung; bei weiteren Strecken werden aus Stunden auch schon mal Tage. „Die Züge, die aus China kommen, sind nicht immer on time. Bei 13 000 Kilometern kann man nicht erwarten, dass die auf die halbe Stunde genau da sind“, erklärt Hafen-Chef Erich Staake. Die Lkw allerdings sind es. CO2-Ausstoß, der vermieden werden kann. Derzeit baut der Hafen ein System auf, das den Standort der Züge in Echtzeit überträgt. Dank dieses digitalisierten Smart Traffic können die Firmen sehen, ob der Zug mit ihrer Lieferung da ist, bevor sie ihre Lkw zum Abholen der Ware schicken. Langfristig sollen auch Züge und Binnenschiffe in dieses System integriert werden. So müssten die Lkw künftig nur noch fahren, wenn es tatsächlich etwas zu holen gibt.

Duisburger Hafen

Der Duisburger Hafen in Zahlen

 

250 Millionen Euro Umsatz...

... hat die Duisburger Hafen AG im Jahr 2017 insgesamt erwirtschaftet.

20.000 Schiffe...

... laufen den Duisburger Hafen jedes Jahr an.

25.000 Züge...

... kommen  hier an – ebenfalls jedes Jahr.

180 Hektar Wasserfläche...

... verteilen sich auf 21 Docks und 40 Kilometer Küstenlinie.  

8 intermodale Terminals...

... wickeln den Umschlag der Güter ab.

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Andere Wege sollen ganz vermieden werden: Ersatzteile für die Automobilbranche, für Schiffe oder die Industrie müssen künftig nicht mehr hunderte Kilometer aus der ganzen Republik nach Duisburg geliefert werden – stattdessen könnten sie aus dem hier stationierten 3D-Drucker kommen. Das Forschungsprojekt mit der Universität Duisburg-Essen läuft.

Wie ein Start-up eine halbe Million Lkw-Kilometer pro Jahr sparen will 

Zwölfmal rund um die Erde: Fast eine halbe Million Kilometer Fahrt durch Duisburg sind überflüssig. Pro Jahr. Dieses dutzend Erdumrundungen einzusparen, ist das Ziel von Heuremo. Das Start-up arbeitet daran mit einer Idee, die simpel ist und doch so komplex, dass es zu ihrer Umsetzung einer künstlichen Intelligenz bedarf.

Sven Spiekermann und Hendrik Telke
Sven Spiekermann und Hendrik Telke © Kerstin Bögeholz

Der Gemüsehändler, der seine Zucchini in die Restaurants bringt; der Schraubenhersteller, der seine Schrauben in den Baumarkt liefert: Bisher ist jede Firma ihr eigener kleiner Fuhrpark. Dabei fahren ihre Lkw über weite Strecken nebeneinander her: In Großhandelszentren – 23 Stück gibt es davon in Deutschland – sitzen teilweise mehrere hundert Großhändler an einem Standort, sagt Hendrik Telke, einer der beiden Gründer von Heuremo. Hunderte Großhändler liefen also von einem Standort aus – und alle schicken ihre eigenen Transporter los.

Das Start-up will dieses unnötige Nebeneinanderherfahren abschaffen. Heuremo bietet an, die Fahrten zusammenzufassen – mit Touren über Unternehmensgrenzen hinweg. Die Idee ist simpel. Die Umsetzung ist es nicht.

Die Routenplanung macht eine künstliche Intelligenz

„Eine KI macht die Planung für uns“, sagt Telke. Eine künstliche Intelligenz also; ein Trendthema in der Start-up-Branche. Die KI bündelt die Transportanforderungen der Unternehmen, entwirft Routen und Beladungspläne. Aus drei Lkw, die eine ähnliche Strecke fahren, aber jeweils nur zu einem Drittel voll beladen sind, wird im Idealfall so ein voll gepackter.

Das Konzept lässt sich auf Container-Umschlag ebenso übertragen wie auf Mitarbeiter-Disposition. Eins der deutschen Stadtwerke hat bei Heuremo schon angefragt. Ein sinnvoller Schritt, findet Telke: „Die Mitarbeiter sind teilweise mehr im Auto als beim Kunden.“ Der KI ist es egal, was sie berechnet: Ob es darum geht, welches Paket als letztes eingeladen werden soll, weil es als erstes raus muss, oder darum, Arbeitszeit und Qualifikation von Mitarbeitern mit Zeiten und Erfordernissen eines Stadtwerke-Kunden abzugleichen.

Es beginnt mit dem Transport von Lebensmitteln

Für den Anfang will sich Heuremo auf den Transport von Lebensmitteln konzentrieren, zum Beispiel zu Supermärkten. Gespräche über Projekte im Raum Duisburg laufen schon. Noch sind sie geheim, aber so viel kann das Start-up schon verraten: Sie reichen vom Groß- bis zum Stahlhändler.

Heuremo will Wege weniger machen und sinnvoller. Der Weg, den das Start-up dabei einschlägt, ist einer mit großem Klimaschutzpotenzial: „Für Duisburg hochgerechnet, können wir pro Jahr 485 000 Kilometer einsparen“, sagt der zweite Gründer Sven Spiekermann. Oder umgerechnet in Schaden fürs Klima und die menschliche Lunge: 90 Tonnen Kohlendioxid und 460 Kilogramm Feinstaub.

Eine App erfindet die Wohnungssuche neu und macht das eigene Auto überflüssig 

Grün wohnen ist keine Frage der Wandfarbe oder des Mülltrennens. Grün wohnen, das ist vor allem: an der richtigen Stelle wohnen. Sagt Aindex.Ruhr und liefert die Lösung: eine App, mit deren Hilfe jeder die perfekte Wohnung finden soll. Perfekt, das heißt für das Start-up: eine Wohnung, in deren Umkreis alles für den Bewohner Wichtige zu Fuß oder Fahrrad zu erreichen ist. Ein Auto wäre unnötig. Klimaschutz durch Umzug – und nebenbei mehr Zeit fürs Leben.

Andrey Bogomolov und Stephan Lucka erfinden mit Aindex.Ruhr die Wohnungssuche neu.
Andrey Bogomolov und Stephan Lucka erfinden mit Aindex.Ruhr die Wohnungssuche neu. © Kerstin Bögeholz

„Ohne unsere App ist es praktisch unmöglich, die perfekte Wohnung zu finden“, sagt Geschäftsführer Andrey Bogomolov. In den vergangenen fünf Jahren ist er fast ein dutzend Mal umgezogen. Das nervt, kostet Geld, und ist schlecht für die Umwelt. Denn findet man keine Wohnung da, wo sich das eigene Leben abspielt, passiere das: „Man nimmt, was man kriegt – und dann kauft man ein Auto.“

Wie weit weg vom Job wohnen ist die falsche Frage

Dabei könnte es so einfach sein. „Im Ruhrgebiet gibt’s viele gute Orte. Man muss sie nur finden.“ Aindex.Ruhr findet. Wer hier sucht, sucht intelligent, persönlich. Nicht nach dem Schema der einschlägigen Plattformen à la „bis zu 20 Kilometer entfernt“ von der Arbeitsstelle. Sondern vielleicht etwas weiter weg, dafür aber an einer Strecke ohne Stau oder mit einer schnellen ÖPNV-Verbindung. Die App des Start-ups fragt nicht, wie weit weg die Arbeit sein darf, sondern wie lange der Weg dorthin dauern soll. „Wie schnell man auf der Arbeit ist, ist eines der wichtigsten Kriterien für die Wohnungssuche – das, und wie cool die Gegend ist“, sagt Bogomolov.

Cool für Studenten; für Eltern logistisch zu stemmen – auch hierfür zeigt die App die passende Wohnung an. Samt Karte mit dem, was fußläufig drum herum sein soll: Kneipenviertel oder Park, Sportverein oder Kita, Supermarkt oder Biometzger. „Wenn Du kein Lebensmittelgeschäft hast, das Du in fünf Minuten erreichen kannst, brauchst Du ein Auto.“

Die neue App hilft dem RVR bei der Planung der Region

Sein Wissen bezieht Aindex.Ruhr aus Informationsplattformen im Internet: Openstreetmap, Wikipedia, Yelp; aber auch aus Datenbanken über Kitas und Schulen. Auch der Regionalverband Ruhr liefert Daten – und bekommt welche zurück: Das Wissen darüber, wo und wie die Menschen im Ruhrgebiet leben wollen, basierend auf den Suchanfragen der App-Nutzer. So lässt sich die Zukunft der Region für die planen, die sie ausmachen: für ihre Bewohner.

Mit Hilfe ähnlicher Programme suchen bisher Logistikunternehmen geeignete Lagerorte; für Privatleute auf Wohnungssuche will Aindex.Ruhr das erste Angebot am Markt sein. Im Wintersemester beginnt eine Testphase für Studenten im Ruhrgebiet. Bogomolov ist vom Erfolg überzeugt. Das A in Aindex.Ruhr? Er grinst breit. „Apple, Alibaba, Amazon – es muss mit A anfangen!“

<<< DAS START-UP-PROJEKT DES HAFENS

  • Heuremo und Aindex.Ruhr sind zwei von fünf Start-ups, die seit März im einzigen Start-up-Zentrum Duisburgs residieren, und das an einer Adresse mit Flair: in der Wehrhahnmühle im Innenhafen. Eingerichtet hat das Zentrum Startport, die Innovationsplattform der Duisburger Hafen AG. Das Ziel laut Johannes Franke von Startport: „Wir wollen frühzeitig an Innovationen in der Logistik teilhaben.“
  • Zwölf Monate lang können die jungen Firmen die Büroräume nutzen, werden in ihrer Entwicklung unterstützt und vermarktet. Bis März 2019 arbeiten sie also im Innenhafen noch weiter an der Zukunft der Logistik. Und im September kommen schon die nächsten frischen Ideen: Dann ziehen die nächsten Start-ups ein.
Den Handel der Zukunft umweltfreundlich gestalten – und schnell 

Kommt die Ware näher zum Menschen, ist das gut fürs Klima. Je näher, desto besser: Denn umso weniger Autofahrten zum nächsten Supermarkt fallen an, und umso weniger Bestellungen beim Onlinehändler, der zwar nur einen Mausklick entfernt ist, aber doch etliche Lkw-Kilometer. Ein Ziel des Duisburger Klimaschutzkonzeptes ist es deshalb, Verteilzentren in die Stadtteile zu holen. Von dort wäre der Weg für all das, was wir täglich einkaufen, nicht mehr weit bis zum Kunden. Das ist nicht nur klimafreundlich, sondern auch bequem. Und schnell. Sehr schnell: „Solche Verteilzentren sind mindestens genauso schnell wie Amazon“, verspricht Klaus Krumme vom Zentrum für Logistik und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen.

„„Solche Verteilzentren sind mindestens genauso schnell wie Amazon.“ “

Klaus Krumme, Zentrum für Logistik und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen

Mit Schiff um Zug Ware näher zum Käufer bringen

Bisher beliefern Verteilzen­tren ganze Regionen statt einzelner Städte oder sogar Stadtteilen. Die Folge: „Die letzten 50 Kilometer können bislang nur über Lkw bewältigt werden.“ Das allerdings ist schlecht fürs Klima, denn die stoßen viel CO2 aus – 100 Gramm pro Tonnenkilometer sind es laut Umweltbundesamt. Krummes Idee: Schiffe und Züge könnten die Waren deutlich näher zum Kunden bringen, als es bis jetzt Lkw tun – und mit deutlich weniger CO2-Ausstoß. Ein Zug zum Beispiel emittiert nach seinen Angaben nur ein Drittel des Kohlendioxids eines Lkw. In Duisburg kommt noch ein besonderer Verkehrsweg hinzu: „Wir haben große ungenutzte Wasserwegskapazitäten.“

Straße, Schiene, Wasser: Diese drei Verkehrswege laufen auf den Logport-Geländen des Duisburger Hafens zusammen. Ein solches Gelände wäre daher ideal geeignet für ein Verteilzen­trum nahe am Kunden, findet Krumme. Auch denkbar sei das brachliegende Güterbahnhofsgelände in der Innenstadt.

Online bestellen, klimafreundlich und nah abholen

Manche Firmen setzen schon heute E-Lastenräder für innerstädtischen Lieferverkehr ein (hier in Bochum).
Manche Firmen setzen schon heute E-Lastenräder für innerstädtischen Lieferverkehr ein (hier in Bochum). © Dietmar Wäsche

Von solchen Verteilzentren aus wäre es nicht mehr weit bis zum Kunden, zum Einzelhandel oder zur Gastronomie. Sie alle könnten ihre Waren dort ordern. Die verbleibende Distanz könnte klimaschonend zurückgelegt werden: per Lastenfahrrad oder E-Fahrzeug. „Oder der Kunde setzt sich aufs Fahrrad“, meint Krumme. In Duisburg ist so etwas noch eine Vision – andernorts gibt es das schon.

In Siegen gibt es so etwas schon – und es funktioniert

Lokaso heißt das Projekt in Siegen, und es funktioniert: 30 Einzelhändler aus der Stadt bieten in einer Art lokalem Amazon ihre Produkte an, ob Lebensmittel, Bücher oder Tierbedarf. Wer rechtzeitig bestellt, bekommt seine Waren noch am selben Tag geliefert. „Wir müssen hin zu Tante Emma 4.0, IT-ertüchtigt“, sagt Krumme dazu. Und: klimafreundlich.

Ob aus der Idee tatsächlich der Lieferverkehr der Zukunft entsteht, wird zurzeit untersucht. Krumme ist optimistisch – und denkt schon weiter: Nicht nur für Duisburg wären solche Verteilzentren im Stadtteil geeignet, sondern fürs ganze Ruhrgebiet.