Duisburg. An Förderschulen herrscht Personalnot. Zwei leidenschaftliche Lehrer werben für ihre Schulform und kämpfen gegen den miesen Ruf von Duisburg.
An Duisburgs Förderschulen herrscht Personalmangel. Doch die Lehrerinnen und Lehrer, die dort arbeiten, tun dies aus vollster Überzeugung. Johannes Becker von der James-Rizzi-Schule gehört unbestritten dazu; seit 1977 übt er seinen Beruf aus und geht jetzt nach 46 Jahren in den Ruhestand. Bei seiner Verabschiedung in Meiderich wirbt er leidenschaftlich dafür, dass junge Menschen in seine Fußstapfen treten. Dabei unterstützt ihn seine 31-jährige Kollegin Clarissa Maria Gogolok, die ebenfalls für Förderschulen – und zudem für Duisburg – eine Lanze bricht.
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Seinen Beruf hat Johannes Becker „immer total gerne“ ausgeübt, wusste schon im Jugendalter, dass er später mal an einer Förderschule unterrichten möchte; am liebsten wäre er Sportlehrer für körperbehinderte Kinder geworden. Ausschlaggebend für diese Entscheidung, erzählt er, war ein spastisch gelähmter Freund.
Doch auch an der James-Rizzi-Schule mit den beiden Förderschwerpunkten Lernen und Sprache, an Duisburgs größter Förderschule, hat er sich immer wohlgefühlt. „Man hinterlässt etwas, man tut Gutes“, ist Johannes Becker überzeugt und lächelt fröhlich, als er an all die Schülergenerationen denkt, die er seit 1977 in Duisburg unterrichtet hat. Viele haben einen Hauptschulabschluss gemacht und danach eine Ausbildung begonnen. „Ich kriege hier sehr viel zurück“, sagt der erfahrene Pädagoge und ist überzeugt, dass ihn seine Schülerinnen und Schüler jung gehalten haben.
Förderschüler blühen an der James-Rizzi-Schule auf
Deshalb ist der 72-Jährige nicht schon 2016 in den Ruhestand gegangen, sondern hat seinen Dienst als Beamter freiwillig verlängert. Seit den 70ern habe sich an Förderschulen unheimlich viel verändert, insbesondere der Status und das Ansehen der Schüler. „Früher galten sie als eine dritte Klasse von Menschen“, erinnert er sich. Sie seien „überall hinten angestellt und gemobbt“ worden, weshalb Eltern sich gesträubt hätten, ihre Kinder überhaupt erst an Förderschulen anzumelden. Sie wollten ihnen damals ersparen, „fürs Leben gebrandmarkt“ zu werden.
Heutzutage sei das völlig anders und gerade die „individuelle und kontinuierliche Förderung“ von Kindern mit Förderbedarf sei ein Grund dafür, dass sie „aufblühen“. Das kann Clarissa Maria Gogolok nur bestätigen. Fast alle Kinder und Jugendlichen, die an der James-Rizzi-Schule unterrichtet werden, machten zuvor „Abbrucherfahrungen“. Sie sind an anderen Schulformen gescheitert, hatten viele Misserfolge und sind oft sitzengeblieben.
Im Vergleich zu einer Realschule oder Gesamtschule „können wir eine ganz andere Bindungsarbeit leisten“, unterstreicht Gogolok. Als Lehrerin sei sie den gesamten Tag über mit ihrer Klasse zusammen, weil die Kinder ihre Lehrer nicht von Fach zu Fach wechseln. Für manche werde die Schule „ein zweites Zuhause“, manchmal sogar „ein Familienersatz“. Gogolok kennt alle rund 400 Schüler, wenn auch nicht alle mit Namen, kann sie mindestens der jeweiligen Klasse zuordnen.
Personalnot – weder Referendare noch Lehrer wollen nach Duisburg kommen
Jedoch sind die Klassen inzwischen ebenfalls voll und für die früher üblichen Doppelbesetzungen fehlt das Personal, räumen die beiden Pädagogen ein. „Unsere Schüler sind zu Vielem in der Lage und teilweise super Sportler“, sagt Clarissa Maria Gogolok nicht ohne Stolz.
Obwohl schulische Erfolge die Jugendlichen aufbauen und sie seit rund einem Jahrzehnt alle einen Rechtsanspruch auf gemeinsames Lernen an einer Regelschule haben, entscheiden viele sich ganz bewusst für eine Förderschule. Allerdings gibt es auch Rückkehrer, die nach dem Grundschulalter zunächst eine Real- oder Gesamtschule ausprobieren und das „kleinere und beschauliche System“ einer Förderschule vermisst haben.
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Personalnot bedroht nun dieses beschauliche System und die besondere individuelle Förderung. Auf die rund 400 Schülerinnen und Schüler kommen 40 Lehrkräfte, viele in Teilzeit. Allein an der James-Rizzi-Schule sind derzeit sechs Stellen unbesetzt, so Schulleiter Wolfgang Budriks. Dasselbe Problem haben demnach aber alle Duisburger Förderschulen. „Es gibt keinen Nachwuchs“, ergänzt Clarissa Maria Gogolok, „keine Studierende und keine Referendare.“
Das Hauptproblem scheint dabei der äußerst schlechte Ruf von Duisburg zu sein. „Andere Städte, wie Düsseldorf oder Köln, sind gut besetzt und haben dieses Problem nicht. Selbst Lehramtsanwärter bewerben sich dort“, ordnet Wolfgang Budriks ein.
Kampf gegen schlechtes Image – bewusste Entscheidung für Duisburg
Dass das miese Image ausschlaggebend ist, bestätigt Clarissa Maria Gogolok aus eigener Erfahrung. Sie selbst lebt in Bottrop und hatte schlimme Vorstellungen über Duisburg, als sie als Referendarin hierhin versetzt wurde.
Erst als sie die James-Rizzi-Schule, ihre Schüler und das Kollegium kennenlernte und erlebte, dass „mit ganz viel Herz“ dort gearbeitet und miteinander umgegangen wird, wollte sie nicht wieder weg. „Ich hätte überall arbeiten können, habe mich aber bewusst für Duisburg entschieden“, sagt die junge Lehrerin. Trotz einer hohen Arbeitsbelastung, nicht zuletzt wegen offener Stellen, hat sie ihre Entscheidung nie bereut. Im Gegenteil: Die Stadt und das Lehren an einer Förderschule kann sie „nur sehr empfehlen“.
Ob die 31-jährige ebenfalls ganz außergewöhnliche 46 Dienstjahre zusammenbekommt wie ihr Kollege, steht natürlich noch nicht fest. Doch auch sie ist Förderschullehrerin aus Leidenschaft und hofft, junge Menschen für ihre Schulform und für Duisburg gewinnen zu können. Derweil geht Johannes Becker jetzt in den Ruhestand, um mehr Zeit mit seiner Frau und mit seinen Enkeln zu verbringen, mehr zu gärtnern und zu reisen.
Seine Schülerinnen und Schüler wollen ihn nie vergessen. Das haben sie ihm bei seiner Verabschiedung versprochen. Er ist sehr stolz darauf, ihr Leben positiv beeinflusst zu haben.
>> Großer Zusammenhalt im Kollegium
● Ungeachtet des schlechten Rufs von Duisburg arbeiten alle Lehrerinnen und Lehrer der James-Rizzi-Schule gerne im Stadtnorden, an den beiden Standorten Meiderich und Beeck. „Wir kämpfen täglich mit schwierigen Situationen und der Zusammenhalt und die Hilfe untereinander im Kollegium ist sehr gut“, lobt Schulleiter Wolfgang Budriks.
● Eine Förderschule könne man nicht mit einer Regelschule vergleichen. So sei der Leistungsdruck geringer. Dennoch sieht er die Arbeit an einer Förderschule als besondere Herausforderung: „Die muss man eben auch annehmen.“