Duisburg-Walsum. Die Geschichte von Walsum hat viele dunkle Kapitel. Initiativen engagieren sich für die Erinnerungskultur und brauchen dringend neue Mitstreiter.

Es war ein langer Kampf und er ist noch nicht beendet. Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit der örtlichen Geschichte, insbesondere der düsteren Epochen wie der Nazi-Herrschaft. Dennoch sind Franz Tews und seine Mitstreiter mit ihrer Zwischenbilanz sehr zufrieden. „Wir haben Walsum eine Erinnerungskultur verschafft, die in Duisburg beispielhaft gut ist“, sagt der Sprecher der Walsumer Initiative „Erinnern gegen Rechts“ und frühere stellvertretende Bezirksbürgermeister. Aber der 80-Jährige sorgt sich, dass diese Erfolge in Vergessenheit geraten, wenn sich nicht bald junge Menschen für die dunklen Kapitel der Stadtteil-Historie interessieren.

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Auf gleich drei Walsumer Gedenkstätten an die örtlichen Opfer des Nazi-Regimes kann Tews verweisen. Sie sieht er als sein politisches Vermächtnis. Das Holocaust-Mahnmal am Kometenplatz gehört dazu, auch der Gedenkstein am Gräberfeld für die sowjetischen Zwangsarbeiter, die zur Zeche Walsum verschleppt wurden und sich dort zu Tode geschuftet haben. Einer von ihnen war der 19-jährige Ivan Bugulez aus der Ukraine. Nach ihm ist seit 2005 die Straße benannt, an der die große Steinstele steht, die an die Zwangsarbeiter erinnert.

Jetzt konnten Franz Tews, der Bezirksvertreter Heinz Berning (SPD) sowie Wolf-Dieter Rochlitz von der Bergmannsinitiative „Kumpel für AUF“ einen weiteren Erfolg verbuchen. Nach rund drei Jahren wurde auf dem Alt-Walsumer Friedhof am Mahnmal für die Märzgefallenen der Roten Ruhrarmee 1920 eine erläuternde Schrifttafel aufgestellt. Sie erklärt, für wen die Gedenkstätte mit dem Sowjetstern errichtet wurde und wovor sie junge und künftige Generationen warnt.

„Unauslöschliche Erinnerungszeichen“: Mahnmale für Nazi-Opfer in Duisburg-Walsum erwirkt

„Wir haben unauslöschliche Erinnerungszeichen gesetzt“: Mit seiner Initiative „Erinnern gegen Rechts“ hat Franz Tews auch das Denkmal für die Walsumer Zwangsarbeiter erwirkt.
„Wir haben unauslöschliche Erinnerungszeichen gesetzt“: Mit seiner Initiative „Erinnern gegen Rechts“ hat Franz Tews auch das Denkmal für die Walsumer Zwangsarbeiter erwirkt. © FUNKE Foto Services | DANIEL ELKE

„Wir haben unauslöschliche Erinnerungszeichen gesetzt“, freut sich Franz Tews, steht neben der neuen Tafel und blickt hinüber auf das Grab von Ivan Bugulez im Gräberfeld. Sein Name steht dort in kyrillischer Schrift geschrieben wie das der übrigen rund 100 Opfer. Das Trio sieht diese neuen Gedenkstätten, auch die unbenannte Straße und die Schrifttafel als Beitrag „zum guten Ruf Walsums“.

Doch Mahnmale und Steine allein, das wissen die drei Gleichgesinnten, schaffen keine Erinnerungskultur. „Sie muss mit Leben gefüllt werden“, betont der 66-jährige Heinz Berning, und das nicht von seiner Generation, sondern von den Jüngeren. Wie geht’s weiter? Das ist die Frage, die das Trio umtreibt. Dass sich Jugendliche etwa am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz (27. Januar) auf dem Alt-Walsumer Friedhof in großer Zahl versammeln, halten sie für ausgeschlossen. Es braucht also neue, moderne Formen des Erinnerns.

Jüngere Mitstreiter gesucht: Schulen und Kirchengemeinden sollen Erinnerungskultur lebendig halten

Zunächst sollen die guten Kontakte zu Schulen und zu den Kirchengemeinden stärker belebt werden, die zuletzt wegzubrechen drohten. Dass bei der Jugend das politische Bewusstsein und damit auch das Interesse an der lokalen Geschichte wächst, davon gibt sich Wolf-Dieter Rochlitz (75) überzeugt: Durch den Ukraine-Krieg würden die Jugendlichen nun ganz anders auf den Zweiten Weltkrieg schauen und durch die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar seien sie beispielsweise für Zwangsarbeit sensibilisiert – und damit für das Schicksal der rund 13 Millionen Zwangsarbeiter im Nazi-Regime.

Pfarrer Andreas Mann und Frank Tews, hier bei einer Gedenkveranstaltung 2018, legen Blumen am Walsumer Holocaust-Mahnmal nieder.
Pfarrer Andreas Mann und Frank Tews, hier bei einer Gedenkveranstaltung 2018, legen Blumen am Walsumer Holocaust-Mahnmal nieder. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Dennoch brauchen Franz Tews, Heinz Berning und Wolf-Dieter Rochlitz jetzt neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter, damit die Greuel des Faschismus, die in Walsum begangen wurden, nicht in Vergessenheit geraten. Die Mahnmale und Gedenkstätten sind dafür natürlich mögliche Anlaufpunkte. „Wir haben schon einige Durchbrüche erreicht“, freut sich Rochlitz, „doch die müssen noch ausgebaut werden.“

Kräftezehrender Kampf um Umbenennung der Dr.-Wilhelm-Roelen-Straße

Denn der Kampf um die Deutungshoheit ist noch nicht beendet. So hat Franz Tews viele Jahre lang im Stadtteil eine kräftezehrende Diskussion um Wilhelm Roelen geführt, der im Nazi-Deutschland die Zeche Walsum geführt und natürlich Zwangsarbeiter eingesetzt hat. „Roelens Devise war ,Jede Tonne Kohle, ein Panzer’“, betont Franz Tews, der viele Jahre lang gefordert hat, dass die Dr.-Wilhelm-Roelen-Straße umbenannt wird.

Dabei sei er auf erbitterten Widerstand vieler alteingesessener Walsumer Familien gestoßen, die im NSDAP-Mitglied Roelen keinen Täter sehen wollen. Ohnehin halte sich im Stadtbezirk hartnäckig die nachweislich falsche Behauptung, früher hätten in Walsum doch nur Bauern gelebt und deshalb habe Walsum mit dem Holocaust nichts zu tun gehabt. „Auschwitz war überall“, betont Franz Tews.

Dass der Name Wilhelm Roelen demnächst aus dem Straßennetz verschwindet, daran glaubt der ehemalige Kommunalpolitiker nach seinen Erfahrungen inzwischen nicht mehr. „Die Bevölkerung muss mitgehen und das sehe ich nicht“, sagt Tews. So müssten etwa ansässige Firmen ihre Briefköpfe und Adressstempel ändern und wollten dafür kein Geld ausgeben.

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Optimistischer ist dagegen Wolf-Dieter Rochlitz: „Wir schaffen das“, gibt er sich kämpferisch. Wichtiger sei zunächst allerdings, weitere Unterstützer für die stadtteilhistorische Arbeit zu bekommen. Mit einigen Lehrerinnen und Lehrern habe er deshalb schon Kontakt aufgenommen. Doch auch dort spürt er die Widerstände, die schon sein Mitstreiter Franz Tews kennt. So zögerten einige Lehrer, weil alteingesessene Familien nicht wollen, dass die Kinder fragen, ob ihre Urgroßeltern überzeugte Nazis waren oder vielleicht sogar eine SS-Uniform getragen haben.

Einig sind sich die drei Hobbyhistoriker allerdings, dass das Interesse an der örtlichen Geschichte wächst und dass die Menschen erfahren wollen, was in Walsum zur Nazi-Zeit passiert ist. Die neuen Mahnmale sind dafür ein Beleg.

>> Gedenken zum Tag der Befreiung

  • Die Walsumer Initiative „Erinnern gegen Rechts“ und die Bergmannsinitiative „Kumpel für AUF“ laden am Sonntag, 7. Mai, zum Gedenken der Opfer des Naziterrors ein. Dieses beginnt um 12 Uhr am Holocaust-Mahnmal auf dem Platz der Erinnerung. Anschließend fährt die Gruppe zum Friedhof Alt-Walsum (Königstraße 92) und weiht die Gedenktafel für die Märzgefallenen ein. Anschließend geht’s zum Brauhaus Urfels (Römerstraße 109) in den Biergarten.
  • Anlass dieser Veranstaltung ist der Tag der Befreiung (8. Mai 1945). Damals endete in Europa der Zweite Weltkrieg.
  • Wer die Erinnerungskultur in Walsum unterstützen möchte, kann sich bei Wolf-Dieter Rochlitz unter 0157 7001673 melden oder per Mail an wodiro@web.de.