Duisburg-Walsum. Das Buch einer Duisburger Schülerin arbeitet die Geschichte von Zwangsarbeitern in Walsum auf. Eine Geschichte über Vergebung und Verdrängung.
Die Dr.-Wilhelm-Roelen-Straße ist eine von Walsums wichtigsten Verkehrsadern – ein prominenter Ort für die Erinnerung an den einstigen Zechenchef, nach dem sie benannt ist. Dessen Vergangenheit ist nicht unumstritten: Der Unternehmer Roelen war nicht nur NSDAP- und SA-Mitglied , als Leiter des Verbundbergwerks Walsum beschäftigte er auch Zwangsarbeiter. Vom Schicksal dieser Menschen erfuhr vor fast 20 Jahren die Schülerin Milana Mohr aus der Zeitung. Davon bewegt, recherchierte sie deren Geschichte – und stellte aus Zeitzeugenberichten ein ganzes Buch zusammen.
Ihre Arbeit mit dem Titel „Sporen, die bleven“ dreht sich um niederländische Zwangsarbeiter in den Arbeitslagern in Walsum und Umgebung. Für das rund 300 Seiten starke Werk, das Mohr damals zur Teilnahme am Wettbewerb „Deutsche Geschichte“ des Bundespräsidenten schrieb, hat sie sogar ein in Vergessenheit geratenes Lager wiederentdeckt.
Zwangsarbeiter kamen nach Fluchtversuchen in „Arbeitserziehungslager“
Milana Mohr bringt ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck, „dass das Thema Zwangsarbeit in keinem Geschichtsbuch behandelt wurde“, und dass es „auch offensichtlich im Bewusstsein der Bevölkerung nicht mit dem Nationalsozialismus verbunden“ war. Mit analytischem Feingespür beschreibt die damalige Abiturientin die in der Gesellschaft verankerten Verdrängungsmechanismen: „Wer Geschichte verdrängt, kämpft unnötigerweise gegen seine Schuldgefühle an, die ihn beschämen, und verliert dadurch die Fähigkeit, den aufbauenden Charakter von geschichtlicher Aufarbeitung zu erkennen.“
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Die niederländischen Zwangsarbeiter kamen nach der deutschen Invasion des Landes zwar als „freiwillige Arbeitskräfte“ nach Deutschland, doch Mohr fand heraus: Wer nicht zur Arbeit nach Deutschland ging, verlor den Anspruch auf Arbeitslosengeld und Lebensmittelkarten.
Während des Krieges arbeiteten zwischen 500.000 und 700.000 Niederländer als Zwangsarbeiter in Deutschland. Einige von ihnen, die in Walsum und Duisburg arbeiten mussten, hat Milana Mohr besucht und interviewt. Mit ihnen sprach sie unter anderem über die sogenannten „Arbeitserziehungslager“ (AEL), in die Zwangsarbeiter nach Fluchtversuchen, bei Krankheit oder bei Arbeitsverweigerung gesteckt wurden. Die AELs, schreibt Mohr, waren nicht viel besser als die Konzentrationslager, der Tod der Zwangsarbeiter dort nicht ungewöhnlich.
Zwangsarbeiter Jan van der Groen litt noch im hohen Alter
In den Arbeitserziehungslagern, etwa im Lager „Orpheus“ bei Thyssen, wurden Niederländer „bevorzugt“ behandelt, als „Arbeitnehmer germanischer Abstammung“ erhielten sie am Tag 1900 Kalorien, Polen bekamen nur 800 (Deutsche 2500). Insgesamt 40.000 niederländische Zwangsarbeiter ließen dennoch in Deutschland ihr Leben.
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Jan van der Groen war einer dieser Zwangsarbeiter, die Milana Mohr besucht hat. Geboren am 29. November 1924, kam er zur Zwangsarbeit ins „Lager III Elisabethstraße“ nach Walsum, floh zurück in die Rotterdamer Heimat und wurde nach einer Razzia 1944 erneut nach Deutschland gebracht. In Walsum musste er häufig Bombenschäden beseitigen. Milana Mohr merkt an, dass van der Groen seine Geschichte „wie eine Abenteuerreise“ erzählt.
Zwei Tage vor der Befreiung der Niederlande schaffte es Jan van der Groen zurück in die Heimat, krank und geschunden. Noch zum Zeitpunkt des Interviews litt der dann 78-Jährige an den Folgen der NS-Zwangsarbeit, hatte einen stark vernarbten Oberkörper – „Sporen, die bleven“. „Heute habe ich keine Albträume mehr“, erzählte er Milana Mohr, und keinen Hass mehr auf Deutschland. „Da ist nur Unverständnis und Empörung über Deutsche, die das Vergangene nicht wahrhaben wollen.“
Zwangsarbeiter berichtet: „Juden mit dem Stahl in den Ofen geworfen“
So viele Schicksale mehr hat Milana Mohr in ihrer Arbeit niedergeschrieben, etwa von einem Zwangsarbeiter, der mit jüdischen Zwangsarbeitern zusammenarbeitete. Brach ein Jude vor Schwäche zusammen, erzählt Jan Jillings, mussten die anderen ihn auf Befehl der SS mit Stahlschrott in einen Ofen werfen und verbrennen: „Ein Menschenleben zählte für die nichts.“
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Mohr erzählt in ihrem Buch aber auch davon, wie sie durch ihre Recherche ein vergessenes Arbeitslager wiederfindet, das Walsumer Lager Elisabethstraße, auf dem Gelände des heutigen Sportplatzes der DJK Vierlinden.
Bei ihrer Spurensuche in der Duisburger Bevölkerung sah sie sich teilweise heftigem Widerstand ausgesetzt. Mit Sätzen wie „die Deutschen hatten ja auch nichts“ oder „Ich war Nationalsozialist und ich stehe dazu“ weigerten sich viele, das Leid der niederländischen Zwangsarbeiter überhaupt eines Gedankens zu würdigen. Milana Mohr kommentiert das sehr klug mit einem Nietzsche-Zitat: „Man hört nur die Fragen, auf welche man imstande ist, eine Antwort zu finden.“
Buch über Zwangsarbeit hat Milana Mohr geprägt
Heute ist Milana Mohr 36 Jahre alt. Geschichte studiert, wie sie es im Schlusswort ihrer Arbeit plant, hat sie zwar nicht, trotzdem arbeitet sie in akademischen Kreisen. Nach einem Studium der Kommunikationswissenschaften ist sie jetzt in der PR-Abteilung der Fachhochschule in Münster tätig.
„Meine Arbeit damals hat mich sehr geprägt, ich habe so viel mit Menschen gearbeitet. Deswegen habe ich auch meinen beruflichen Weg so eingeschlagen“, erinnert sie sich heute. Mit ihrer Arbeit war sie, kurz nach der Fertigstellung, noch auf einem Kongress in München, ansonsten hatte sie aber keinen Kontakt mehr zu diesem Thema. „Als ich vor Jahren in Australien war, habe ich aber die Familie eines Zwangsarbeiters besucht, über den ich auch geschrieben hatte. Von einem anderen Interviewpartner habe ich noch bis zu seinem Tod jedes Jahr eine Weihnachtskarte bekommen.“ Auch bei Milana Mohr sind Spuren geblieben.
>> Die NS-Zeit in Duisburg
• Ein Standartwerk zum Nationalsozialismus in Duisburg ist das Buch „Tatort Duisburg 1933-1945“ von Rudolf Tappe und Manfred Tietz.
• Es trägt die ISBN-Nummer 978-3884741405 und ist auch im Internet bei verschiedenen Versandhändlern bestellbar.
• Das Buch beschäftigt sich mit Widerstandskämpfern in Duisburg, etwa auf der Zeche Beeckerwerth oder in der politischen Arbeit von Gottfried Könzgen, der 1945 in Mauthausen ermordet wurde. Das Vorwort schrieb Alt-OB Josef Krings.