Duisburg. Junge Migranten in Duisburg-Marxloh versuchen sich als „Heroes“ gegen konservatives Denken zu stellen. Eine Doku zeigt auch die Konflikte.

„Frauen waren für mich zweite Klasse. Sie waren unter mir gestellt – bis auf meine Familie, die war über mir“, sagt Berat Ergüner ganz offen. Der 22-Jährige hat türkische Wurzeln und ist in Marxloh aufgewachsen – einem Stadtteil in Duisburg, den viele lieber meiden. Erst als er sich den sogenannten „Heroes“ anschließt, beginnt er langsam, sein Denken, seine Kultur und ihre Traditionen infrage zu stellen.

Dieses soziale Projekt hat der WDR über zwei Jahre begleitet. Herausgekommen ist nun ein Film, der hochspannende Einblicke in das Leben junger Menschen mit Migrationshintergrund gibt und zum Nachdenken anregt. Vom Norden der Stadt aus kämpfen die Männer mit ganz viel Mut für eine bessere Welt – ohne Rassismus, Sexismus und Homophobie. Dass das allerdings gar nicht so einfach ist, wird gleich in mehreren Szenen deutlich.

Über die Hochzeit entscheiden die Eltern: Junge Migranten im Konflikt mit Traditionen

In einer davon sitzt Berat mit seiner Familie im Hinterhof, trinkt türkischen Tee und fragt seine Mutter, ob er selbst entscheiden dürfe, wen er heiratet. Ihre Antwort lautet ganz klar: „Nein.“ Schließlich sei es Tradition, dass die Eltern eine passende Frau für ihren Sohn auswählen – „und Tradition ist gut, ist auch gut zum Festhalten“, sagt die Mutter. Das Berat davon nicht begeistert ist, stößt bei ihr auf taube Ohren.

„Manchmal kommt auch der Witz: Deine Cousine in der Türkei wartet schon“, erzählt der 22-Jährige. Das Problem: Wenn er nicht heiratet, darf er bei seinen Eltern auch nicht ausziehen. Hier teilt er sich ein Zimmer mit seiner Schwester. „Lieber Heirat und geh raus“, betont die Mutter. „Wenn du nicht heiraten solltest, du bist 40, 50 und ich lebe noch, wir leben zusammen, mein Schatz.“

„Heroes“ diskutieren mit Schülern in Duisburg über „Schwuchteln“, „Stolz“ und „Ehre“

Doch anstatt sich diesen kulturellen Traditionen zu beugen, versucht Berat, aus den patriarchalischen Strukturen auszubrechen. Dafür begleitet er mit den „Heroes“ Workshops in Schulen. Hier sprechen sie über typische Geschlechterrollen und Gleichberechtigung. In einem Rollenspiel schlägt ein Vater seinen Sohn, weil die Tochter abends noch draußen unterwegs ist. Er schreit: „Wer ist der Mann, wenn ich nicht zu Hause bin? Hol deine Schwester jetzt sofort. Sie ist unsere Ehre“, und der Sohn blickt betroffen zu Boden.

Während eine Schülerin darin unbegründete Gewalt sieht, sagt ein anderer: „Für mich ist das ganz normal.“ Es folgt eine Debatte über Stolz und Ehre und auch darüber, ob es cool ist, jemanden als „Schwuchtel“ zu bezeichnen. Über solche Themen ganz offen zu sprechen, ist für viele eine einzigartige Erfahrung. Doch das Projekt zeigt nicht nur Missstände auf.

Junge Migranten erleben viel Stereotypie im Alltag und wollen sich dagegen stellen

Kischog Thevatasan (links im Bild) bei den Dreharbeiten des Films: „Wenn man uns Jungs von außen sieht, würde man denken: Das sind die, die Frauen hinterherrufen und belästigen. Aber das stimmt nicht.“
Kischog Thevatasan (links im Bild) bei den Dreharbeiten des Films: „Wenn man uns Jungs von außen sieht, würde man denken: Das sind die, die Frauen hinterherrufen und belästigen. Aber das stimmt nicht.“ © Heroes Duisburg

Es ist für viele der Protagonisten im Film auch eine Art Zuhause geworden. Zum Beispiel für Emré. Bevor sich der junge Mann den „Heroes“ angeschlossen hat, war Duisburg für ihn eine „sehr schwierige Stadt“. Er erzählt, dass er sich von der „weiß-deutschen Gesellschaft“ nicht willkommen fühlt, wenn sie ihn mit Blicken auf der Straße durchbohrt. Von Rassismus berichtet auch Kischog: „Viele meinen, das patriarchalische System steckt in unseren Genen“, sagt er und kritisiert dieses Schubladendenken. „Aber was man gelernt hat, kann man auch umformen.“

Dass das funktioniert, erfährt Projektleiterin Susanne Lohaus in ihrer Arbeit jeden Tag. Als sie vor 30 Jahren nach Duisburg-Marxloh kam, dachte sie: „Wenn ich mich irgendwo als Sozialarbeiterin ausprobieren kann, wo es richtig heftig ist, dann in der angeblichen No Go Area.“ Doch sie lernt schnell: Der Stadtteil besteht nicht nur aus Problemen, sondern aus jeder Menge Potenzial. „Dafür muss man nur die Perspektive wechseln“, sagt sie – und genau dazu lädt der Film den Zuschauer ein.

Am Ende sind Frauen für Berat alles andere als zweitrangig. „Ich habe früher wirklich krass ekelhaft gedacht. Das ekelt mich selbst an“, sagt er. Seit fünf Jahren setzt er sich jetzt bei den „Heroes“ ein. „Mittlerweile denke ich komplett anders. Wir sind alle gleichberechtigt und wir haben alle dieselben Rechte.“ Er will sich mit seinen Kollegen weiter dafür einsetzen, dass sich dieser Gedanke in der Gesellschaft verankert.

>> Hier läuft der Film und so viel haben die „Heroes“ schon erreicht

  • Die Dokumentation von Alexander Kleider heißt „Heroes - Im Namen der Ehre“ und wird im WDR am Mittwochabend, 7. Dezember, um 22.15 Uhr ausgestrahlt.
  • Das Konzept der „Heroes“ stammt ursprünglich aus Schweden, kam dann nach Berlin und verbreitete sich in Deutschland.
  • In Duisburg haben die „Heroes“ schon 460 Workshops mit 12.000 Schülerinnen und Schülern durchgeführt – in ganz Deutschland sind es knapp 60.000 Schülerinnen und Schüler.
  • Mehr Informationen über das Projekt in Duisburg gibt es unter https://www.heroes-net-duisburg.de/