Duisburg-Hamborn. Hamborner Jecken haben in der Corona-Zeit viele Gardetänzerinnen verloren. Nach einem Neubeginn suchen die Karnevalisten weiterhin Verstärkung.

Fröhliche Musik im kölschen Dialekt dröhnt durch die Hamborner Turnhalle. Lieder der Karneval-Legenden Höhner und der Mundartgruppe Brings. Die Tänzerinnen bewegen sich dazu im Takt und lächeln fröhlich. Ihr rechtes Bein werfen sie alle gekonnt und gleichzeitig in die Höhe. Schweiß perlt auf der Stirn, rinnt die Schläfen runter. Weiter geht’s in der Choreographie.

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Trainerin Sina Ballauf sieht natürlich, dass sich noch nicht alle jungen Frauen im Gleichtakt bewegen, und auch bei den Männern verzögert sich mancher Schritt, mal ein Klatschen oder eine Drehung. Doch sie bleibt milde und ermutigt ihre Truppe. Denn es ist ein echter Neuanfang für das Tanzkorps der 1. Großen Karnevalsgesellschaft Rot-Weiss Hamborn-Marxloh, ein Zusammenschluss mehrerer vereinsinterner Tanzgruppen. Corona hatte diese Tanzgruppen arg geschrumpft. Jetzt arbeiten die Karnevalisten am Comeback, brauchen aber noch dringend Verstärkung.

„Wir haben Corona überstanden“, freut sich Vereinspräsident Wolfgang Swakowski. Dabei sah es vor kurzem noch ganz anders aus. Die Rot-Weißen hatten einen massiven Mitgliederschwund bei der Tanzgarde, der Kindergarde und anderen Gruppen zu beklagen. Ende März waren nur noch fünf erwachsene Tänzerinnen geblieben und zehn Mitglieder in der Kindergarde. Zu wenig für Auftritte.

Keine Auftritte wegen Corona und Ukraine-Krieg: Hamborner Tanzgarden sind stark geschrumpft

Die Hebefiguren gehören zu den Höhepunkten der neuen Choreographie des Hamborner Tanzkorps.
Die Hebefiguren gehören zu den Höhepunkten der neuen Choreographie des Hamborner Tanzkorps. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

„Wir trainieren ein ganzes Jahr lang für die Session“, erläutert Gardetänzerin Linda Wegner. Zuletzt seien die langersehnten Auftritte kurzfristig wegen des Ukraine-Kriegs abgesagt worden, im Vorjahr wegen Corona. Jedes Mal sind in der Karnevalsgesellschaft viele Kindertränen geflossen – wie schon im Februar 2020, vor der Pandemie, als der beliebte Kinderkarnevalszug durch den Duisburger Norden kurz vor dem Start einem Unwetter zum Opfer fiel. Dagegen könne man, so Wegner, bei anderem Sport, „beim Fußball oder beim Judo sofort mitmachen“ und müsse nicht lange auf den ersten Einsatz in der fünften Jahreszeit warten.

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Gerade auf Mädchen und junge Frauen übe der Gardetanz dennoch eine besondere Anziehungskraft aus, weiß die 34-Jährige, die selbst schon früh im Karneval aktiv wurde und auch Vorstandsarbeit kennt. „Man wird Teil einer eingeschworenen Gruppe“ und schnuppert so letztlich auch in andere Aspekte des Vereinslebens rein, etwa in den Wagenbau, die Umzüge und den Sitzungskarneval. Aber Linda Wegner sei als Mädchen nur beim Karneval gelandet, weil sie unbedingt tanzen wollte. Daher könne sie verstehen, dass bei der Jugend und auch bei Erwachsenen ohne Auftritte das Interesse am Gardetanz schwindet.

Mitgliederwerbung in den sozialen Medien und mit Mundpropaganda

Ebenso sieht das Präsident Swakowski, deshalb hat er angesichts des Mitgliederschwunds in den Tanzgruppen nicht nur auf Neumitglieder-Werbung gesetzt, sondern vor allem erfahrene Ehemalige umworben. Ehemalige wie Linda Wegner und sogar Trainerin Sina Ballauf, die sich 2019 aufgrund ihrer Schwangerschaft eigentlich in die Tanz-Rente verabschiedet hatte.

Tatsächlich aber brauchte Wolfgang Swakowski kaum Überzeugungskraft, um die beiden langjährigen Vereinsmitglieder und drei weitere Rückkehrerinnen wieder als aktive Tänzerinnen zu gewinnen. Doch der Neustart im April hat sich bereits außerhalb des Vereins erfolgreich herumgesprochen, auch dank Facebook, Instagram und Video- und Audiopodcasts. Auch über Duisburgs Stadtgrenzen hinweg.

Natürlich passieren beim Training schon mal Fehler. Aber der Ärger darüber weicht auch bei Neumitglied Anka Engelhardt schnell wieder einem fröhlichen Lächeln.
Natürlich passieren beim Training schon mal Fehler. Aber der Ärger darüber weicht auch bei Neumitglied Anka Engelhardt schnell wieder einem fröhlichen Lächeln. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

So ist Sabrina Wuttig aus Bottrop von einer Arbeitskollegin für die Rot-Weißen rekrutiert worden. „Sie hatte aber leichtes Spiel“, sagt die 29-Jährige. Schon als Mädchen hat sie den Gardetanz geliebt, musste aber später als Teenagerin, nach ihrer Ausbildung, ausscheiden. Sie ist jedoch im Herzen immer jeck geblieben. Deshalb nimmt sie die Chance gerne wahr, jetzt den Neuanfang mitzugestalten.

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Besonders mag sie daran, dass sie nicht an eine „eingeschweißte Truppe“ geraten ist, sondern dass alle Mitglieder erst noch zusammenwachsen müssen. Dass das Tanzkorps „kein reiner Mädelsverein“ ist und von Offizieren der rot-weißen Stadtwache verstärkt wird, empfindet sie als weiteren Vorteil. Ebenso, dass Vorstandsmitglieder beim Training zuschauen. Dies nimmt die Gruppe einhellig als Wertschätzung wahr. „Ich habe mich hier eingelebt und bleibe definitiv dabei“, sagt Sabrina Wuttig nach nur wenigen Probestunden. Nun setzt sie auf ihr Muskelgedächtnis aus ihrer Jugend.

Dass bei ihr und den anderen noch längst nicht alle Schritte der Choreographie sitzen? Geschenkt! Wenn auch Trainerin Ballauf nach Fehlern mitunter in ratlose oder frustrierte Gesichter blickt, weicht dieser Ausdruck schnell wieder einem breiten Grinsen.

Hohe Motivation wegen geplanter Auftritte in der nächsten Session

„Alle sind hier sehr verständnisvoll“, lobt Anka Engelhardt die gute Atmosphäre bei den Proben. Trotzdem sei die Leistungsbereitschaft und Motivation wegen geplanter Auftritte in der Session bei allen hoch, findet die 25-jährige Dinslakenerin. Sie ist ein Tanzmariechen seit dem Kindergartenalter, beendet aber gerade eine vierjährige Pause.

Das gemeinsame Ziel sind Auftritte in der kommenden Karnevalssession – in Duisburg und in der Region.
Das gemeinsame Ziel sind Auftritte in der kommenden Karnevalssession – in Duisburg und in der Region. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

„Der Spagat sitzt noch nicht wieder so wie früher“, sagt sie selbstkritisch. Doch statt zum Hallenboden orientiert sie sich neuerdings lieber zur Decke. Sie wird gerade zur Spezialistin für Hebefiguren ausgebildet und lässt sich von den Männern im Tanzkorps in die Höhe wuchten. Noch fehlt ihr die nötige Kraft und Körperspannung, um auf Männerschultern oder auf hochgestreckten Armen in Pose zu bleiben. „Das wird aber funktionieren“, ist Engelhardt zuversichtlich und will dafür künftig zusätzlich Kraftsport treiben. „Ich will ja oben bleiben. Aber dafür brauche ich erst kräftigere Arme und dickere Oberschenkel.“

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Ihre Teamkameradinnen und -kameraden wollen sie bei diesem Ziel unterstützen. „Wir lassen niemanden hängen“, bestätigt Übungsleiterin Sina Ballauf und bekräftigt, dass nicht nur geübte Neuzugänge willkommen sind, sondern ebenso blutige Anfänger. Ein bisschen Taktgefühl und Kondition sollten Neulinge, Frauen wie Männer, zwar mitbringen. Zumal Gardetanz anstrengend sei und auch Leistungssport. „Aber bei uns gibt es keinen Leistungsdruck“, verspricht sie. Wohl aber den Ehrgeiz, dass die Auftritte in der Session gut klappen – dafür bietet die 30-Jährige auch Einzeltraining oder Übungen in Kleingruppen an.

Bei allen Beteiligten in der Turnhalle ist die Freude groß, dass das Tanzkorps seit April stetig gewachsen ist. Jetzt sind bereits 14 Frauen und vier Männer regelmäßig dabei. Sina Ballauf hofft, dass noch mehr Interessierte zur 1. Großen Karnevalsgesellschaft Rot-Weiss Hamborn-Marxloh stoßen. Derweil beendet sie die Verschnaufpause in der Turnhalle. Zu den Höhnern legt sie wieder mit der Choreographie los – und ihre Schützlinge folgen ihr. Mal mehr, mal weniger im Takt.

>> TRAININGSZEITEN FÜR KINDER, JUGENDLICHE UND ERWACHSENE

Während die Tanzgruppen in der Corona-Zeit bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen viele Aktive verloren haben, ist die Mitgliederzahl der 1. Großen Karnevalsgesellschaft Rot-Weiss Hamborn-Marxloh nach eigenen Angaben bei circa 260 stabil geblieben. Damit zählen die Rot-Weißen zu den größten Karnevalsvereinen in Duisburg.

Die Uniformierten, darunter auch die Gardetänzerinnen, sind das Gesicht des Vereins und sind nicht nur auf der Tanzbühne im Einsatz. Sie übergeben auch Karnevalsorden oder stehen bei Hochzeiten Spalier. Die Unformen stellt der Verein.

Das Tanzkorps ist aktuell ein Zusammenschluss der Großen Garde und den Offizieren der Stadtwache. Zudem gibt es noch die Kindergarde und die Showtanz-Gruppe „Teuflische Engel“.

Die Kindergarde trainiert immer montags im Kultur- und Freizeitzentrum Wehofen (Dr.-Hans-Böckler-Straße 289). Die Vier- bis Sechsjährigen um 17 Uhr, die Sieben- bis 14-Jährigen um 17.30 Uhr. Das Tanzkorps trainiert montags in Hamborn um 19.30 Uhr in der Zweigstelle der Theodor-König-Gesamtschule (Reichenberger Straße 19a). Im Sommer geht es für Konditionstraining auch in den Mattlerbusch. Die Mitglieder sind mindestens 15 Jahre alt. Für ein eigenes Training der rein weiblichen Großen Garde fehlen noch Tänzerinnen.

Interessierte sind zum Schnuppertraining willkommen und können den Verein auf www.rot-weiss-hamborn-marxloh.de kontaktieren oder auf Facebook und Instagram.