Duisburg. Abgesagte Sitzungen, Redeverzicht vor Abstimmungen, Eilentscheide – ein Jurist sieht rechtswidriges Verhalten in der Duisburger Lokalpolitik.
Mehr als ein halbes Jahr lang hat die Bezirksvertretung Walsum wegen Corona nicht getagt. Als sie vor kurzem erstmals wieder in Duisburg zusammentrat, standen deshalb mehr als 60 Punkte auf der Tagesordnung. In rekordverdächtiger Zeit – kaum mehr als einer Stunde – wurden sie abgearbeitet. Das war möglich, weil sich die Bezirksvertreter, nach einem entsprechenden Beschluss im Vorfeld, zu den meisten Themen gar nicht zu Wort meldeten. Jura-Professor Dr. Janbernd Oebbecke aus Münster hält dieses Vorgehen für rechtswidrig – und übt noch weitere Kritik.
Was war geschehen? Bezirksbürgermeister Georg Salomon (SPD) schlug zu Beginn vor, bei 28 Themen auf Wortmeldungen zu verzichten. Trotz der langen Themenliste wollte er eine möglichst kurze Sitzung, um die Infektionsgefahr zu verringern. Wegen dieser tagte das Gremium zudem im großen Duisburger Ratsaal, wo die Politiker hinter Plexiglas und in großen Abständen saßen und Masken trugen.
Jura-Professor: „Man kann auch bei Corona tagen“
„Für ein bloßes Abnicken muss sich dieses Gremium zu schade sein“, kritisierte CDU-Ratsherr Elmar Klein den Redeverzicht. Dennoch wurde die vorgeschlagene Vorgehensweise mehrheitlich gegen CDU und Junges Duisburg beschlossen – wenn sie auch nicht konsequent durchgehalten wurde. Denn Salomon ließ Elmar Klein später dann doch noch einmal reden. Doch bei vielen gesamtstädtischen Themen wie den Straßenbaukosten für Anlieger oder dem Wohnungsmarkt gab es weder Nachfragen noch Diskussionen.
Wahl in Duisburg- So arbeiten die sieben Bezirksvertretungen „Man kann ja Vieles beschließen, zum Beispiel einzelne Punkte von der Tagesordnung abzusetzen oder zu vertagen oder die Rednerliste zu einem Thema zu schließen. Aber pauschal Wortmeldungen ausschließen, das kann man nicht“, sagt dazu Jura-Professor Oebbecke.
Ebenfalls für unzulässig hält er, die Bezirksvertretung über ein halbes Jahr lang nicht einzuberufen. „Kann man bei Corona tagen? Ja, man kann“, sagt der Verwaltungswissenschaftler, „das haben ganz viele Gemeinden geschafft“. In Duisburg haben die meisten Bezirksvertretungen so lange pausiert – die Hamborner Lokalpolitiker kamen bereits seit November nicht mehr in offizieller Runde zusammen. Ihre nächste Sitzung soll am 21. Juli stattfinden.
Politik-Experte hält Eilentscheide mit Vieraugenprinzip für rechtswidrig
Wie in der Pandemie zu verfahren ist, regelt ein Erlass der Landesregierung. „Da steht nicht drin, dass es monatelang keine Sitzungen geben darf. Die Handlungsfähigkeit der Kommunalpolitik muss gewährleistet bleiben“, betont Oebbecke. Der Erlass gebe aber Hinweise, wie man sich an die Corona-Lage anpassen kann. Zum Beispiel durch freiwilligen, nicht aber durch verordneten Verzicht auf Wortmeldungen.
Weil es monatelang gar keine Sitzungen gab, haben Bezirksbürgermeister Georg Salomon und Peter Rosinski von der zweitstärksten Fraktion (Junges Duisburg) vier Beschlüsse per Eilentscheid getroffen. Dabei ging es um Investitionszuschüsse für Sportvereine, den Rettungsdienstbedarfsplan, Straßen- und Wegebau sowie den Lärmaktionsplan.
Nach Auffassung des Professors hätten sie diese Beschlüsse gar nicht treffen dürfen. „Keine dieser Eilentscheidungen hat dem Gesetz entsprochen“, sagt er. Es habe in allen Fällen an einer ausreichenden Begründung der „äußersten Dringlichkeit“ gefehlt, die immer von der Stadtverwaltung gegeben werden muss. So sollte der Lärmaktionsplan schnellstmöglich gebilligt werden, weil er bis zur Europäischen Union nach Brüssel gemeldet werden musste. „Wann genau war denn die Meldefrist? Und wieso war es folglich nicht möglich, die Bezirksvertretung vorher einzuberufen, notfalls mit verkürzter Ladungsfrist?“, fragt der Jurist.
Bezirksbürgermeister Salomon verteidigt sein Gremium
Die Praxis solcher Dringlichkeitsbeschlüsse ist laut Janbernd Oebbecke aber in ganz NRW seit Jahren ein Problem. Das habe seine Forschung über die Wahlperiode 2014 bis 2020 gezeigt. „Häufig waren die damit geregelten Angelegenheiten gar nicht dringlich. Und an der ausreichenden Begründung für die Dringlichkeit fehlte es fast immer.“
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Mit Oebbeckes Kritik konfrontiert, verteidigt Bezirksbürgermeister Salomon seine Entscheidung, das Stadtteilparlament viele Monate nicht einberufen zu haben. „Wir hatten keine Möglichkeit zu tagen“, sagt er auf Nachfrage. „Unser Saal im Bezirksrathaus war ja zu klein und unsere Stadthalle wurde zum Corona-Testzentrum.“ Da habe man lange warten müssen, bis der große Sitzungssaal im Duisburger Rathaus endlich mal frei gewesen sei.
Der Hintergrund der monatelangen Sitzungspause in Walsum „war ja die Empfehlung der Landesregierung, nur in dringlichen Fällen zu tagen“, so Salomon weiter. Darüber habe er mit allen Parteien beraten und wollte sogar eine Alternative anwenden, die im Erlass aus Düsseldorf erwähnt wird: die sogenannte paritätische Sitzung. Dabei hätten alle Parteien weniger Vertreter entsandt, ohne ihre Gewichtung – als Ergebnis der Kommunalwahl – zu verfälschen. Dieser Vorschlag sei jedoch am Widerstand einer Partei gescheitert.
Redeverzicht folgte Empfehlung der Landesregierung
Eine ebensolche Empfehlung sei auch Grundlage der Abstimmung gewesen, ob es überhaupt Wortmeldungen geben soll, sagt Salomon. „Ich würde nie eine Wortmeldung unterdrücken. Wir sind ja Demokraten.“ Auch darüber sei vorher mit den Fraktionen gesprochen worden. Es sei kein Alleingang gewesen.
Jedoch räumt der Bezirksbürgermeister ein, dass Dringlichkeitsbeschlüsse problematisch seien. „Wir haben aber alle Fraktionen gefragt, ob wir so verfahren können – eben weil wir keine Möglichkeit hatten, zu tagen“, so Georg Salomon. An den nötigen Informationen habe es den Bezirksvertretern auf keinen Fall gefehlt.
>> DIE STIMME DES BEZIRKS IN DER DUISBURGER STADTPOLITIK
● Die Bezirksvertretung mit ihren 17 gewählten Volksvertretern hat nach der Gemeindeordnung die wichtige Aufgabe, die gesamte Stadtpolitik in Duisburg aus Sicht des Bezirks zu begleiten. Sie muss deshalb über das Geschehen umfassend informiert werden und hat das Recht, dem Stadtrat Vorschläge zu machen. Der Rat muss sich dann mit diesen befassen.
● Außerdem hat die Bezirksvertretung eigene Zuständigkeiten. So verfügt sie über ein eigenes Budget, das weit über die „Mittel zur Pflege des Ortsbildes“ von 20.300 Euro hinausgeht. Außerdem entscheidet sie zum Beispiel über die Reihenfolge, in der Gemeindestraßen saniert werden.