Duisburg-Neumühl. Das Duisburger Projekt „Trainingswohnen“ hilft Behinderten, mit einem eigenen Zuhause mehr Selbstständigkeit zu erlangen. Wie die Premiere lief.
Der Umzug in die erste eigene Wohnung bedeutet meist den Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt. Um es Menschen mit Behinderungen zu erleichtern, diesen Schritt in die Eigenständigkeit wagen, hat in Duisburg die Amalie-Sieveking-Gesellschaft (ASG) das Projekt „Trainingswohnen“ entwickelt. Interessierte können neuerdings in einem Mehrfamilienhaus in der Nähe des Landschaftsparks in eine frisch renovierte und möblierte Mietwohnung zur Probe einziehen.
„Die Wohnung ist für Bewohner gedacht, die die Aussicht haben, in der Zukunft in eine eigene zu ziehen“, erklärt Mitarbeiterin Claudia Dahmani. Sie betreut eine junge Frau, die seit sieben Jahren im ASG-Wohnhaus Neumühl lebt und dort mit Unterstützung immer selbstständiger geworden ist. Jetzt wollte Katharina, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ausprobieren, ob sie schon auf eigenen Beinen stehen kann, ob für sie der Umzug in die eigenen vier Wände schon gut funktioniert. Sie zog als erste in die neue Projektwohnung ein.
Ohne dieses Trainingswohnen bliebe Interessierten nichts anderes übrig, als direkt eine eigene Wohnung anzumieten, so Katharinas Bezugsbetreuerin Dahmani. „Daher ist es eine geniale Möglichkeit, das selbstständige Wohnen auszuprobieren, und wenn es nicht klappt, können die Bewohner es in Zukunft erneut probieren.“
Duisburger Projekt Trainingswohnen soll Behinderten die Angst vorm Scheitern nehmen
Darüber hinaus biete das Projekt einen weiteren Vorteil: „Ohne das Trainingswohnen könnte es sein, dass der eine oder die andere sich den Schritt vielleicht gar nicht trauen würde.“ Das bestätigt auch Geschäftsbereichsleiterin Martina Abendroth: „Gerade bei Menschen mit Behinderungen ist die Sorge vor einem Misserfolg oftmals groß.“
Bevor Katharina Anfang des Jahres als erste Projektteilnehmerin die 3,5-Zimmer-Wohnung bezog, bereitete sie sich mit ihrer Betreuerin intensiv darauf vor. „Wir haben im Wohnheim gemeinsam die Kompetenzen, die es für ein selbstständiges Wohnen braucht, geübt“, sagt Claudia Dahmani. Dennoch bleibt demnach für Behinderte, die in einer Einrichtung leben und dort Unterstützung von Betreuerinnen und Betreuern bekommen, der Umzug ins eigene Zuhause eine besondere Herausforderung. „Das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein, ist für Menschen mit Behinderung eine riesige Umstellung.“
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Die Vorbereitungen auf den veränderten Alltag hat Katharina aber gerne in Kauf genommen: „Ich habe mich für das Trainingswohnen entschieden, weil ich bald allein leben möchte.“ Nachdem sie in die möblierte Wohnung gezogen war, musste sie sich wochenlang selbst organisieren. Dazu gehörte neben der täglichen Fahrt zu ihrer Arbeitsstelle – einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen – das eigenständige Kochen und das Waschen von Schmutzwäsche . Doch die junge Frau erkannte darin auch Vorteile gegenüber dem Leben in der Wohngruppe: „Besonders gefallen hat mir, dass ich selbst entscheiden konnte, was ich koche.“
Trainingswohnen für Behinderte: Projektbeteiligte sind zufrieden mit der Premiere
Zudem war sie in der Trainingswohnung weitgehend auf sich allein gestellt, wogegen sie im Wohnhaus derzeit mit 24 Bewohnern zusammenlebt. Während in den ersten zwei Wochen noch ihre Betreuerin vorbeigeschaute, wurde sie in der restlichen Zeit von ASG-Mitarbeitern des Ambulant Betreuten Wohnen begleitet. „Das beschränkte sich aber auf zwei Besuche die Woche“, betont Claudia Dahmani. Ein Wochenplan hat Katharina bei der Organisation des Haushaltes geholfen, ihn hat sie vor dem Auszug gemeinsam mit ihrer Betreuerin ausgearbeitet. „Der Plan hilft mir im Alltag und macht selbstständiger.“
Inzwischen ist für die junge Duisburgerin das Projekt beendet, und sie hat wieder ihr Zimmer in der Wohngruppe bezogen, nachdem sie sechs Wochen in der vorübergehend eigenen Wohnung gelebt hatte – aufgrund der Corona-Pandemie länger als die sonst vorgesehenen zwei bis vier Wochen. „Das hat alles super funktioniert, ich bin ganz begeistert, wie Katharina das alles gemeistert hat“, zieht Betreuerin Claudia Dahmani zufrieden Bilanz. Auch für Katharina selbst war es eine besondere Zeit: „Das ganze Gefühl bleibt in Erinnerung. Ich fühle mich jetzt sicherer, allein zu wohnen.“
Für erste Teilnehmerin folgt jetzt die Suche nach der eigenen Wohnung
Da das selbstständige Wohnen auf Zeit gut funktioniert hat, nimmt Katharina derzeit gemeinsam mit ihrer Bezugsbetreuerin die Suche nach einem eigenem Zuhause in Angriff. Dabei hat sie auch schon einen Wunsch an ihr künftiges Domizil: „Eine Wohnung mit Balkon wäre schön.“
>> TOCHTER DER EVANGELISCHEN ALTENHILFE DUISBURG
● Die Amalie-Sieveking-Gesellschaft (ASG) ist eine Tochter der Evangelischen Altenhilfe Duisburg.
● Das Projekt „Trainingswohnen“, das von der ASG angeboten wird, richtet sich an Menschen mit Behinderung, die das eigenständige Wohnen auf Zeit ausprobieren möchten. Für einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen können sie als Projektteilnehmer probehalber aus dem Elternhaus oder einer Einrichtung ausziehen.
● Weitere Informationen gibt’s auf www.asg-du.de/trainingswohnen.