Nach der Katastrophe bei der Loveparade mit 21 Toten sieht Duisburgs OB Adolf Sauerland die politische Verantwortung bei sich - nicht aber die für Planungsfehler. „Am Ende“, sagt er, „hat die ganze Verwaltung entschieden“.
Herr Sauerland, warum treten Sie nicht zurück?
Adolf Sauerland: Ich klebe nicht an meinem Stuhl, aber wenn ich nun auf meinem Posten als Oberbürgermeister bleibe, dann tue ich das aus Pflichtbewusstsein. Ich sage es klar: Da ist etwas Schreckliches, etwas Tragisches passiert. Wir haben 21 Tote. Aber genau deswegen kann ich jetzt nicht sagen, ich ziehe mich aus der Verantwortung. Das halte ich nicht für angemessen und völlig falsch.
Warum?
Adolf Sauerland: Es gibt so viele Fragen, die ich auch persönlich habe, die geklärt werden müssen. Die Betroffenen verdienen es, dass ich diese Fragen beantworte. Nur dann kann ich auch mit mir ins Reine kommen. Die Verantwortlichkeiten müssen geklärt werden.
Sie haben am Samstag nach der Katastrophe gesagt, die Opfer seien zu Tode gestürzt, als sie versuchten, auf die Brücke zu klettern…
Adolf Sauerland: Diese Aussage war definitiv falsch und ich entschuldige mich für diese Aussage bei allen, vor allem bei den Angehörigen der Opfer. Aber ich habe hier Meldungen weitergegeben, die ich bekommen habe. Die Ärzte hatten dem Krisenstab gemeldet, die Art der Verletzungen ließen den Schluss zu, dass die Menschen abgestürzt seien. Denn viele Leute haben Fragen gestellt und Antworten verlangt. Die Weitergabe der falschen Meldung war ein Fehler.
„Zahlen wurden immer übertrieben“
Es gab Warnungen vorab, dass die Sicherheit der Loveparade nicht gewährleistet werden könne, dass es bei dem zu erwarteten Menschenandrang von über einer Millionen Menschen zu Verletzen und Toten kommen könne.
Adolf Sauerland: Die Veranstalter sind nicht von einer so hohen Zahl von Teilnehmern ausgegangen. Die Zahlen waren viel niedriger. Auch aus den Erfahrungen in den vergangenen Jahren haben uns die Veranstalter schriftlich versichert, dass weit unter einer Millionen Menschen kommen würden.
Aber es wurde immer von über einen Million Teilnehmer gesprochen, die erwartet würden.
Adolf Sauerland: Da gab es eine große Public-Relations-Maschine. Die Zahlen wurden immer um den Faktor drei oder vier übertrieben. Deswegen mussten wir auch die Zahl der wirklich erwarteten Teilnehmer geheimhalten, um der Firma Lovpavent als Veranstalter der Loveparade keinen Imageschaden zuzufügen
Nennen Sie uns eine Zahl?
Adolf Sauerland: Die Veranstalter sind von unter 500.000 Teilnehmern ausgegangen, die über den Tag verteilt kommen würden. Auf dem Gelände der Parade durften maximal 250.000 Menschen gleichzeitig sein.
Man kann doch nicht um eine Millionen Teilnehmer werben und dann überrascht sein, wenn viele Menschen kommen.
Adolf Sauerland: Wir glauben auch jetzt nicht, dass viel mehr Menschen als erwartet gekommen sind.
„Am Ende haben alle dem Veranstaltungs-Konzept zugestimmt“
Tragen Sie Verantwortung für die Katastrophe?
Adolf Sauerland: Ich habe keine Genehmigung persönlich unterschrieben, aber selbstverständlich fühle ich mich als Oberbürgermeister verantwortlich. Es wurde in der Verwaltung über das Sicherheitskonzept diskutiert. Es wurden Probleme besprochen und diese ausgeräumt. Am Ende haben alle dem Veranstaltungs- und Sicherheitskonzept zugestimmt und die notwendigen Genehmigungen erteilt. Ich habe politische Verantwortung, nicht nur weil ich als einer von 75 Ratsherren dafür gestimmt habe, dass wir als Duisburger die Loveparade wollen.
In dem Protokoll einer Besprechung mit Lopavent vom 18. Juni heißt es, sie seien über Sicherheitsbedenken ihrer Mitarbeiter informiert wurden. Warum haben Sie hier nicht eingegriffen?
Adolf Sauerland: In einem solchen komplexen Planungsverfahren ist es Aufgabe der Fachbereiche, auf Mängel hinzuweisen. Für mich ist dann aber letztlich entscheidend, dass diese Mängel behoben wurden. Dies ist ja der Sinn der Einbindung von Experten aus den Fachbereichen. In einer Abschlussbesprechung Mitte Juli hatte keiner der Projektbeteiligten mehr Bedenken geäußert.
Hätten Sie nicht sagen müssen, das geht nicht?
Adolf Sauerland: Ich habe nicht in das Verwaltungshandeln eingegriffen. Das geht gar nicht. Die Fachleute im Rathaus haben die Angaben der Veranstalter überprüft. Wenn diese Fachleute gesagt hätten, das geht nicht, aus diesen oder jenen Gründen, dann hätten wir als Verwaltung die Loveparade auch nicht genehmigt. Aber am Ende haben die Fachleute dem Konzept zugestimmt.
Sie geben als Oberbürgermeister das Tempo in einer Verwaltung vor. Haben Sie eine Eigendynamik ausgelöst, in der Bedenken übergangen wurden?
Adolf Sauerland: Wir haben immer gesagt, wenn es nicht geht, geht es nicht.
„Es wäre viel leichter für mich, zurückzutreten als für Aufklärung zu sorgen“
Wer ist wir?
Adolf Sauerland: Die Verwaltung als Ganzes. Ich bin als Oberbürgermeister ja nur ein Teil der Verwaltung.
Haben Sie auch persönlich Verantwortung?
Adolf Sauerland: Persönliche Verantwortung kann es nur geben, wenn es ungerechtfertigte Eingriffe in den Prozess gegeben hätte. Diese gab es aber nicht. Am Ende hat die ganze Verwaltung entschieden. Jetzt gilt es zu klären, ob die Verwaltung Fehler gemacht hat, oder ob sie falsch informiert wurde.
Wäre es nicht klug, die Aufklärung dieser Frage einem anderen zu überlassen und zurückzutreten?
Adolf Sauerland: Es ist doch viel leichter – auch für mich ganz persönlich – zurückzutreten, als an dieser Stelle für Aufklärung zu sorgen.
Das Sicherheitskonzept hat versagt. Warum?
Adolf Sauerland: Die behördlichen Ermittlungen müssen das nun klären. Es gibt viele Fragen auf die auch ich Antworten haben möchte. Die Verantwortung der Stadt endete an den Vereinzelungsanlagen – und zwar vor den Tunneln. Für die weitere Zuführung zum Gelände war der Veranstalter Lopavent zuständig. Was danach zwischen Veranstalter und Polizei abgesprochen wurde und was nicht funktionierte, wissen wir nicht, weil dies nicht Teil unserer Verantwortung war.
„Seit Sonntag habe ich Probleme, meine Gefühle zu sortieren“
Wie fühlen Sie sich, wenn Sie jetzt als Buhmann dastehen?
Adolf Sauerland: Seit Sonntag habe ich Probleme, meine Gefühle zu sortieren. Ich bin seit sechs Jahren Oberbürgermeister und es lief eigentlich ganz gut. Dann geht man auf eine Veranstaltung, auf die sich alle freuen. Und dann gibt es 21 Tote. Natürlich ist dies ungemein belastend.
Sie wollen nicht zur Trauerfeier für die Opfer gehen. Warum nicht?
Adolf Sauerland: Die Familien der Opfer leiden. Sie trauern. Und die Trauer ist wichtig. Wenn dann jemand kommt, der stört, weil er seit Tagen als Verantwortlicher für die Katastrophe gilt, ist das nicht gut. Deswegen gehe ich nicht dorthin.
Wenn Sie als erster Bürger der Stadt eine Trauerfeier nicht besuchen können, weil Sie stören, wäre es dann nicht an der Zeit zu gehen?
Adolf Sauerland: Wenn es Verantwortung zu übernehmen gibt, werde ich diese übernehmen. Jetzt ist zunächst die Aufklärung erforderlich.