Duisburg. Das Loveparade-Verfahren ist einer der größten Strafprozesse der Geschichte. Was kostet das Mammutverfahren und wer bezahlt dafür? Eine Rechnung.
Seit den tragischen Ereignissen des 24. Juli 2010 beschäftigt das, was vor der Loveparade geplant wurde und an dem Tag geschah, etliche Ermittler und Juristen. 32 Strafverteidiger gibt es, rund 150 Prozessbeteiligte und bislang 111 angesetzte Hauptverhandlungstage. Bis es ein Urteil in dem Mammutverfahren gibt (wenn überhaupt), wird es Millionen gekostet haben.
Der Gerichtssaal: Da die Räume im Duisburger Landgericht für die rund 150 Verfahrensbeteiligten nicht groß genug sind, hat das Gericht einen Saal im Congress Center der Düsseldorfer Messe angemietet. Das kostet 14.000 Euro Miete – pro Verhandlungstag. Zudem hatte das Gericht mit einem hohen Öffentlichkeitsinteresse gerechnet. Bis auf die ersten Prozesstage waren die 150 Zuschauer- und 50 Presseplätze aber überwiegend leer. Das dürfte sich erst wieder ändern, wenn prominente Zeugen vom Gericht vernommen werden, etwa der zum Zeitpunkt der Loveparade amtierende Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland, Lopavent-Chef Rainer Schaller und der damalige Innenminister Ralf Jäger. Unterm Strich macht das allein für das Jahr 2018 rund 1,5 Millionen Euro.
Das ist der Saal des Loveparade-Prozesses
Das Personal: Rund 1,7 Millionen Euro veranschlagt das NRW-Justizministerium allein für die Personalkosten während des Prozesses. 42 Planstellen wurden eigens geschaffen. Es wurden zwei zusätzliche Staatsanwälte eingestellt, hinzu kommen 30 Wachtmeister und zehn Mitarbeiter der Geschäftsstelle, unter anderem Protokollführer. Sie sollen nach Abschluss des Loveparade-Verfahrens auf freie Stellen in der Landesjustiz wechseln.
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Die Verteidigung: Für die Beschäftigten der Duisburger Stadtverwaltung, die in dem Verfahren angeklagt sind oder auch die, die eine Zeit lang als Beschuldigte galten, trägt die Stadt die Honorare der Verteidiger. Und die liegen laut Recherche unserer Redaktion bei einem Stundensatz von rund 300 Euro. Ein durchaus üblicher Satz für renommierte Strafverteidiger, die Erfahrung in komplexen Großverfahren haben.
Stadt Duisburg kostete Prozess bis Ende 2017 rund 5 Millionen Euro
Bis zum Rechnungsabschluss Ende 2017 haben die Stadt Duisburg diese Aufwendungen in Sachen Loveparade-Prozess rund 5 Millionen Euro gekostet. Darin enthalten sind auch die Gebühren für den Rechtsbeistand der städtischen Zeugen, die im Verfahren bereits aussagen mussten und wohl auch noch vor Gericht angehört werden. Und da das Verfahren gerade erstmal begonnen hat, ist eher mit höheren Kosten zu rechnen. Allein im Jahr 2018 sind bislang 111 Sitzungstage terminiert, an denen der volle Stundensatz fällig wird. Zudem muss der Prozess laufend vorbereitet werden.
Ein Beispiel: Allein der erste Teil des neuen Loveparade-Gutachtens des Verkehrssicherheits-Experten Jürgen Gerlach ist um die 2000 Seiten stark, hinzu kommt später sicherlich noch einmal ein Umfang in gleicher Größenordnung, der sich mit den Geschehnissen am Unglückstag selbst befasst. Dieses Gutachten müssen die Verteidiger lesen, mit ihren Mandanten besprechen und auch die Prozessstrategie anpassen. Das frisst Zeit und Zeit ist in dem Fall im wahrsten Wortsinn Geld.
Ergeht dann bis spätestens 2020 ein erstinstanzliches Urteil im Strafprozess, ist dies höchstwahrscheinlich nicht der Schlusspunkt. Es ist fast davon auszugehen, dass sich weitere Gerichte mit den Ereignissen rund um die Loveparade beschäftigen werden. Die Verteidiger haben nicht umsonst schon zu Prozessbeginn mit ihren Befangenheitsanträgen und Besetzungsrügen durchblicken lassen, dass es ihnen möglicherweise um eine Revision geht.
Stadtverwaltung kann reelle Kosten nur schätzen
Und selbst wenn ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, können sich weitere Zivilprozesse der heutigen oder auch künftigen Nebenkläger anschließen. Ein Ende der juristischen Auseinandersetzung ist also über mehrere Jahre nicht zu sehen. Weshalb die Stadt die Kosten, die noch auf sie zukommen werden, im Augenblick nur schätzen kann, erklärte ein Sprecher der Stadtverwaltung auf Anfrage unserer Redaktion.
Grob kalkulieren muss die städtische Kämmerin dennoch. Und so wurden im Haushalt 2018 im Zusammenhang mit der Loveparade "Aufwendungen in Höhe von 3,2 Millionen Euro veranschlagt." Eine Prognose: Rechnet man dies bis zum letzten möglichen Strafprozess-Ende Mitte 2020 hoch, lägen allein die Anwaltskosten während des Prozesses bei wenigstens 8 Millionen Euro.
Die Anwaltskosten der vier Lopavent-Mitarbeiter sind übrigens nicht bekannt. Aber auch hier sind renommierte Kanzleien im Einsatz, die bereits Erfahrungen in großen Strafverfahren haben. Es ist zu vermuten, dass diese deshalb in ähnlichen Regionen liegen, wie bei der juristischen Vertretung der sechs städtischen Angeklagten.
Wer trägt welche Kosten? Das kommt auf den Ausgang des gesamten Verfahrens an, geregelt ist dies im Kostenrecht. Sollte das Gericht letztlich eine individuelle Schuld der Angeklagten feststellen und sie verurteilen, müssen die Angeklagten die Kosten des Verfahrens tragen. Im Falle eines Freispruchs trägt diese der Staat.
Wichtig für das Loveparade-Verfahren sind in diesem Zusammenhang auch die Kosten der Nebenkläger, erklärt der Sprecher des Duisburger Landgerichts, Matthias Breidenstein: „Deren notwendige Auslagen müssen die Angeklagten grundsätzlich dann tragen, wenn sie wegen der Straftat, die den Nebenkläger betrifft, verurteilt werden. Werden die Angeklagten freigesprochen, tragen die Nebenkläger ihre Kosten grundsätzlich selbst. Dies ist grundsätzlich auch so, wenn das Verfahren eingestellt wird.
Die Mietkosten für das Kongresszentrum dürften von den Angeklagten beziehungsweise Nebenklägern aber nicht zu tragen sein, weil sie nicht den Verfahrenskosten unterfallen, so der Gerichtssprecher. Die Miete trägt dann die Staatskasse.
Städte stellen sich schützend vor ihre Mitarbeiter
Auch die Stadt Duisburg kann die Kosten für die Verteidigung von ihren Mitarbeitern zurückfordern. Seit 2008 gibt es einen entsprechenden Erlass des Innen- und Finanzministeriums, der das Procedere regelt. Darin ist die vorläufige Kostenübernahme durch den Dienstherrn geregelt, „sofern ein kostenfreier Rechtschutz nicht zu erlangen ist und ein dienstliches Interesse an der Rechtsverteidigung besteht.“ Das wäre auch im Duisburger Loveparade-Verfahren der Fall.
Dass die Stadtverwaltung sich in dem Verfahren schützend vor ihre Mitarbeiter stellt, ist übrigens gängiges Verfahren. Eine Nachfrage unserer Redaktion bei mehreren NRW-Kommunen bestätigte, dass die Städte aus Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter so handeln.
Dennoch sichern sich nicht wenige Beschäftigte im öffentlichen Dienst zusätzlich privat mit einer so genannten Amtshaftpflichtversicherung ab, denn Beamte und Angestellte sind im Gegensatz zu normalen Arbeitnehmern nicht über ihren Dienstherrn gegen ein Risiko im beruflichen Bereich abgesichert. Im Fall einer Verurteilung wäre der Vorschuss für die Verteidigung von den Beschäftigten zurückzuzahlen, heißt es weiter in dem Erlass.
Hätte sich die Stadt Duisburg rechtsschutzversichern können?
Und während Privatleute ihre Rechtschutzversicherung bei einem juristischen Streitfall einschalten, müssen Städte dieses Risiko hingegen selbst tragen. Laut eines Sprechers des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wäre es zwar theoretisch denkbar, dass sich Kommunen dagegen versichern, bekannt sei ein solcher Fall jedoch nicht. „Nach den üblichen Bedingungen von Rechtsschutzversicherungen würden diese nur Kosten im Rahmen der gesetzlichen Gebühren übernehmen“, so die Duisburger Stadtsprecherin Anja Kopka. „Sie bieten daher keine Absicherung für Verfahren dieser Tragweite und Größenordnung.“
Fazit: Wie hoch die genauen Kosten sein werden, die im Zusammenhang mit dem Loveparade-Verfahren stehen, kann bis zum rechtskräftigem Urteilsspruch nicht annähernd geschätzt werden. Rechnet man jedoch die bereits bekannten Posten zusammen, liegt dieser Betrag schon jetzt bei rund 11 Millionen Euro. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Vertretung der Nebenkläger und der vier Lopavent-Mitarbeiter sicherlich nie publik werden. Dass das ganze Verfahren annähernd 20 Millionen Euro, wenn nicht sogar noch mehr kosten wird, ist wahrscheinlich.