Düsseldorf. . Für den Loveparade-Prozess mit seinen über 100 Beteiligten muss die Duisburger Strafkammer umziehen. Seine Generalprobe hat der Raum bestanden.
Das Gericht selbst nennt es seine „Generalprobe“. Richter, Wachtmeister, ein paar Angeklagte waren in dieser Woche da und, zeitlich getrennt, einige Nebenkläger. Schauen, wo sie hinmüssen, wenn in fünfeinhalb Wochen der Prozess um die Loveparade beginnt. Probesitzen hinter ihrem Namensschild. Nicht im Landgericht Duisburg, sondern in dessen „Außenstelle Messe Düsseldorf“, so steht es nebst Landeswappen auf den großen Tafeln, die sonst für Ausstellungen werben und Kongresse. Nebenan läuft zeitgleich ein Treffen zu elektronischer Musik, ausgerechnet.
Vor den Kassenhäuschen im verglasten Foyer aus den 70er-Jahren warten vier Sicherheitsschleusen samt Röntgenapparaten, an der Wand hängt die „Sitzungspolizeiliche Anordnung“: neun Seiten, die daran
erinnern, wer unter welchen Bedingungen am Prozess teilnehmen und was er mitnehmen darf. Handys nicht, deshalb haben sie eigens kleinformatige Schließfächer aufgestellt. Arbeitsplätze für Journalisten gibt es im Erdgeschoss, Stehplätze für Kameraleute und Absperrungen allüberall. Jedenfalls, so war es bis Samstag: Inzwischen ist schon alles wieder abgebaut, der Saal für Deutschlands größten Strafprozess der Nachkriegszeit ist ein mobiler. „Zwischendurch“, sagt Landgerichtssprecher Matthias Breidenstein, „sind immer wieder Messetage. Die Räume sind zum Teil Jahre im Voraus gebucht.“
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Das konnte das Landgericht nicht, jedenfalls nicht verbindlich. Vier Jahre dauerte es, bis eine erste Anklageschrift vorlag, zwei weitere, bis sie zunächst abgelehnt wurde; erst das Oberlandesgericht Düsseldorf verfügte im April die Eröffnung des Verfahrens. Nun sind bislang 111 Verhandlungstage geplant bis Weihnachten 2018, jeder zu 14 000 Euro Saalmiete. Schon deshalb kann das Landgericht das Congress Center Düsseldorf (CCD) Ost nicht dauerhaft blocken. Die Unternehmen Klöckner und Brenntag hielten hier zuletzt Hauptversammlungen, 2000 Veranstaltungen zählt dieser Teil der Messe im Jahr.
Nun also: Loveparade-Prozess.
Hinter den Nebenklägern sitzt in der Ecke Moritz, der Therapiehund
Die schwarzen Stühle im ersten Stock sind gestellt wie im Theatersaal. Parkett rechts, mit Blick auf den Richtertisch, hier sitzen die zehn Angeklagten mit ihren 30 Verteidigern, dahinter die Presse. Parkett links macht deutlich, warum die 6. Große Strafkammer umziehen musste: Hier werden hinter der Staatsanwaltschaft die Nebenkläger sitzen, auf mehr als 100 Stühlen in neun Reihen bis an die Wand.
Eltern der 21 jungen Menschen sind das, die im Gedränge der Duisburger Technoparty 2010 ums Leben kamen, Verletzte, Traumatisierte mit ihren Rechtsanwälten und Simultan-Übersetzern. Menschen, die mit dem Prozess viel Hoffnung verbinden und viel Angst. Hinten in der Ecke wird deshalb auch Moritz an der Verhandlung teilnehmen: Therapiehund eines Betroffenen.
Vorn in der Mitte ist Platz für die Zeugen, dahinter für die Gutachter, das Gericht sitzt erhöht auf einer Bühne. Wer immer gerade spricht, wird von hochauflösenden Kameras automatisch erfasst und auf drei Leinwände projiziert, jede 23 Quadratmeter groß. Die Messetechnik mit 20 Mitarbeitern macht möglich, wovon die meisten Gerichte noch träumen. Auch Ausschnitte der Akte können mit Hilfe von Hochleistungsbeamern jederzeit an die Wand geworfen werden, damit auch die gut 200 Zuhörer und 85 Medienvertreter alles mitbekommen.
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„Wir sind“, sagt Sprecher Breidenstein, „auf die Technik sehr angewiesen.“ Aber sie läuft. 40 Wachtmeister haben das Schleusen von Personen und Gepäck geübt, die Ton- und Lichttechnik ist getestet, die Ruhe- und Aufenthaltsräume für die Beteiligten sind eingerichtet. Auch für die Zeugen wird es eigene Rückzugsmöglichkeiten geben. „Viele sind ebenfalls sehr belastet“, weiß Breidenstein.
Am 8. Dezember um 9.30 Uhr geht der Prozess los, man darf erwarten: mit einer Reihe von Anträgen. Das Gericht ist bereit, verspricht sein Sprecher: „Wir sind startklar.“
INFO: ZAHLEN UND FAKTEN ZUM PROZESS
Zwei zusätzliche Richter unterstützen die Kammer um den Vorsitzenden Richter Mario Plein. Das Gericht ist mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt, drei Ergänzungsrichter und fünf -schöffen stehen als Ersatz bereit. Das Landgerichts-Präsidium hatte die Kammer bereits im Frühjahr von neu eingehenden Strafverfahren freigestellt. Sieben Verfahren, die noch liefen, haben die Richter inzwischen abgeschlossen.
21 junge Menschen sind im Gedränge der Loveparade gestorben. Mindestens 652 wurden verletzt, viele sind bis heute traumatisiert. Bislang haben sich 60 Angehörige oder Überlebende dazu entschieden, im Prozess als Nebenkläger aufzutreten. Sie werden von 35 Rechtsanwälten vertreten.
3409 Zeugen hat die Polizei im Rahmen ihrer Ermittlungen vernommen, 963 Stunden Videomaterial gesichtet. Fünf Staatsanwälte, ein Abteilungsleiter, fast 100 Polizeibeamte sind mit der Akte Loveparade befasst. Die umfasst inzwischen 117 Bände mit mehr als 53 500 Seiten – und das ist nur die Hauptakte. Hinzu kommen etwa 1000 Bände mit Beweismitteln und weiteren Unterlagen sowie die Videos von Handys und Überwachungskameras. Neu sind die 2000 Seiten eines zusätzlichen Gutachtens der Staatsanwaltschaft. Es befasst sich erneut mit der Planung und Genehmigung der Techno-Party. Ein zweiter Teil, der sich mit dem Veranstaltungstag selbst beschäftigen soll, liegt noch nicht vor.
111 Verhandlungstage hat der Vorsitzende der 6. Großen Strafkammer am Landgericht Duisburg bereits terminiert. Nach dem ersten Prozesstag am 8. Dezember sind weitere fünf Termine bis Weihnachten geplant; im Jahr 2018 geht es zunächst mit drei Verhandlungstagen pro Woche weiter. Bisher ist bis zum 20. Dezember 2018 terminiert. Spätestens bis zum 27. Juli 2020 muss die Kammer ein erstinstanzliches Urteil gefällt haben – sonst verjähren die Vorwürfe.
14.000 Miete kostet der Saal im Congress Center (CCD) Düsseldorf, Trakt Ost, in dem die Verhandlung stattfindet – am Tag. Die Räume am Landgericht Duisburg sind für die vielen Verfahrensbeteiligten nicht groß genug. In dem 754 Quadratmeter großen Saal, wo sonst Messen und Hauptversammlungen stattfinden, haben 500 Menschen Platz. 85 sind für die Presse vorgesehen. Auch aus den Herkunftsländern der Toten – wie Spanien, Italien oder China – werden Medienvertreter erwartet.
10 Angeklagte müssen sich dem Verfahren stellen: sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg sowie vier des Veranstalters Lopavent. Die Vorwürfe unter anderem: fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung. Die Beschuldigten werden von 30 Anwälten verteidigt. Gemessen an der Zahl der Verfahrensbeteiligten ist der Loveparade-Prozess der größte Strafprozess in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
1,7 Millionen Euro veranschlagt das NRW-Justizministerium allein für die Personalkosten für den Prozess. 42 Planstellen wurden eigens geschaffen: für zwei Staatsanwälte, 30 Wachtmeister und zehn Mitarbeiter der Geschäftsstelle, unter anderem Protokollführer. Sie sollen nach Abschluss des Prozesses auf freie Stellen in der Landesjustiz wechseln.
Das ist der Saal des Loveparade-Prozesses