Düsseldorf. Im Prozess um die Duisburger Loveparade sagt auch eine Oberhausenerin aus. Was die junge Frau damals erlebt hat, lässt sie bis heute nicht los.

Die Zeugin aus Oberhausen hat Angst gehabt vor diesem Tag. So viel Angst, dass sie wieder kaum geschlafen hat, wie so oft. Dass sie am Vortag eigentlich eine Einweisung bekam in die Psychiatrie. Aber sie erscheint trotzdem vor Gericht im Düsseldorfer Loveparade-Prozess: „Ich will es endlich hinter mich bringen.”

Es wird tatsächlich ein harter Tag für die 31-Jährige. Denn an vieles an jenem 24. Juli 2010 in Duisburg kann sie sich nicht mehr erinnern. Nicht daran, wie sie dem Gedränge entrann, nicht daran, wie sie nach Hause kam, nicht daran, wo ihre Schuhe geblieben sind. Sie sei von Osten gekommen, sagt sie, dann wieder von Westen. Sie hat einen Polizeiwagen gesehen, sagt sie, dann aber doch nur gehört.

Giftige Atmosphäre vor Gericht

Vielleicht sind es die normalen Erinnerungslücken nach siebeneinhalb langen Jahren, vielleicht ist es auch das Trauma, das aber bis heute kein Psychologe bestätigt hat – weil die Zeugin bei keinem war. Sondern sich selbst mit Videos von der Loveparade auseinandergesetzt hat, jeden Abend, jahrelang.

Jedenfalls ist es der Punkt, an dem die Verteidigung der zehn Angeklagten einhakt. Immer wieder weisen die Anwälte darauf hin, dass Zeugen die Wahrheit sagen müssten, dass andernfalls eine Strafe droht. So giftig wird die Atmosphäre zwischen Verteidigern und Nebenklägern zwischendurch, dass der Vorsitzende Richter Mario Plein eingreift: „Bitte seien Sie etwas zurückhaltend!” Man komme nicht weiter, „wenn die eine Seite auf die andere losgeht”.

„Ich will hier nur noch raus“

Und vorne sitzt diese schmale Frau, zitternd, ihr Taschentuch knetend. So leise spricht sie, dass sie wieder und wieder ermahnt wird, sich dem Mikrofon zu nähern; die Saalkamera sieht auf ihren tief gebeugten Kopf von hoch oben herab.

Die Oberhausenerin erzählt ja nichts anderes als das, was schon vier Zeugen vor ihr sagten: wie eng es war bei der Loveparade, wie es nicht mehr vor- noch zurückging, wie Menschen stürzten, wie aufgeregt, laut, aggressiv die Leute waren. Bis zu dem Moment, an dem sie dachte: „Ich will hier nur noch raus.”

Die 31-Jährige wird oft nachts wach, „aber meistens schlafe ich gar nicht erst ein”. Allgemeinmediziner einer Kurklinik für Mutter und Kind schrieben vor Jahren Essstörungen, Panikattacken, Erschöpfungs- und Angstzustände in einen nie weiter verwerteten Bericht.

Bohrende Fragen

Trotzdem bekam die Altenpflegeschülerin vor zwei Jahren erst eine Entschädigung von der Versicherung des Veranstalters; wofür, wollen die Verteidiger wissen. Sie stellen bohrende Fragen. Und der Anwalt der Frau hilft ihr nicht. Wendet sich ab, greift nicht ein, spricht in den Prozesspausen nicht mit ihr. Leise weinend sitzt die 31-Jährige in der ersten Reihe, allein.

Als sie entlassen wird, vorläufig, geht sie mit einem Stoßseufzer. „Ich kann nicht mehr.”

>>> Der neunte Prozesstag in Düsseldorf

Der Prozess um die Duisburger Loveparade erlebte am Mittwoch seinen neunten Prozesstag. In einem Saal des Düsseldorfer Congress-Centers müssen sich sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier des Veranstalters Lopavent wegen fahrlässiger Körperverletzung und Tötung verantworten.

Sie sollen Fehlerbei Planung und Genehmigung gemacht haben. Am 24. Juli 2010 starben bei der Loveparade 21 Menschen, mindestens 650 wurden verletzt.