Duisburg. Das neue Bundesteilhabegesetz soll Menschen mit Behinderung mehr Freiheiten geben. Seither steckt eine Duisburger Familie in der Bürokratie fest.
Lucia ist ein pfiffiges, aufgewecktes Kind. Mit ihren vier Jahren kann sie schon ihren Namen schreiben, ein bisschen lesen. In ihre Kita in Duisburg-Neudorf ging sie in den vergangenen Monaten trotzdem nicht, denn hier konnte es sein, dass sie explodiert: Mit Kratzen, Beißen, Schlagen reagierte sie aus lauter Hilflosigkeit auf die Überforderung, die der Regelkindergarten für sie darstellt. Lucia ist Asperger-Autistin – und ihr Fall zeigt, dass das neue Bundesteilhabegesetz seine Tücken hat.
Das Gesetz „stellt den behinderten Menschen in den Mittelpunkt“, betont das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, „eine gemeinsame Betreuung behinderter und nichtbehinderter Kinder ist anzustreben“.
Ein langer Weg bis zur Diagnose Asperger-Syndrom
Das wollen auch die Eltern von Lucia, aber so einfach ist es eben nicht. Jasmin Torres Badilla hat eine harte Zeit hinter sich. Die Intensivkrankenschwester hat an der Uni-Klinik Düsseldorf seit fast zwei Jahren täglich nur mit Covid-Patienten zu tun.
Die restliche Zeit hat sie sich um ihr Kind gekümmert, bei dem sie schnell merkte, dass irgendetwas besonders ist. Lucia ist distanzlos und lebhaft, nimmt Dinge anders wahr, kann die Bedürfnisse anderer nicht erkennen. Die Diagnose stand erst nach dem dritten Geburtstag im Frühling fest: Autismus-Spektrumsstörung, auch Asperger-Syndrom genannt.
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Die Atmosphäre in einem Regelkindergarten kann für autistische Kinder überfordernd sein
Lucia kann nichts ausblenden, alles ist gleichermaßen laut. In der Regelkita, wo auf 26 Kinder zwei Erzieher kommen, führte das schnell zu einem „sensorischen Overload“, beschreibt die Mutter. „Meltdown“, nennt Badilla das, wenn Lucia explodiert, weil sie die Situation nicht mehr aushalten kann.
Das Bundesteilhabegesetz gesteht Kindern wie Lucia das Recht auf einen Kita-Platz zu. Eine Einrichtung für behinderte Kinder würde nicht passen, „Lucia ist nicht geistig behindert, sie hat einen IQ von 125“, sagt die Mutter. Aber ohne eine Inklusionskraft, die das Kind im Blick hat und bei Anzeichen einer Überforderung das Kind aus der Situation herausnimmt, mit ihm rausgeht, funktioniert es im Regel-Kindergarten nicht.
Großer bürokratischer Aufwand für eine Integrations-Assistenz
Eine Genehmigung für eine Integrations-Assistenz hat die Familie vorliegen – der Weg dahin war ein bürokratischer Irrgarten, „ich weiß nicht, wie Eltern das schaffen sollen, die nicht so hinterher sind oder wo womöglich sprachliche Hürden hinzukommen“, fragt sich Badilla.
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Es kostete sie zig Telefonate, um die Zuständigkeiten zu klären. Auch eine Autismustherapie wurde erst nach vielen Formalia gewährt. Wer eine Kita-Assistenz haben möchte, muss vom LVR Basisleistungen bekommen. Die gibt es nur, wenn eine entsprechende Diagnose gestellt wurde, die aber nur von weitergebildeten Ärzten oder Psychologen stammen können.
Als die Familie diese Hürden genommen hatten, ging es mit der ersten Assistenz schief: „Lucia hat sie gleich in den ersten Tagen gebissen, danach hat sie sich krank gemeldet“, erzählt Badilla. Eine neue Assistenz wird derzeit gesucht.
Kinderbetreuung im Schichtsystem
Die Eltern arbeiten hintereinander, damit ihre Tochter betreut ist. Die Mutter übernimmt bis mittags, dann fährt sie ins Krankenhaus und der Fernseher überbrückt, bis der Vater seinen Homeoffice-Tag gegen 15 Uhr beenden kann. Seit acht Monaten geht das so.
Ab Mitte August soll Lucia wieder in den Kindergarten gehen, „in dem Wissen, dass es nicht die beste Lösung ist“, sagen die Eltern, denn schon der Morgenkreis ist ihr eigentlich zu laut. Bei der dünnen Personaldecke kann aber nicht jedes mal jemand mit ihr rausgehen.
Hinzu kommt: Autismus ist eine seelische Behinderung, die Kinder kann man nicht wie andere erziehen, erklärt Badilla. Lucia ist sehr ich-bezogen, hat einen starken Willen. Um das zu verbessern, muss sie Sozialverhalten lernen – am besten mit anderen Kindern in einer Kita.
Sie weiter zuhause zu betreuen, würde nach Ende der Homeoffice-Pflicht aber auch nicht gehen: „Das wäre unser finanzieller Ruin.“ Apropos: Das Geld für die Monate ohne Kinderbetreuung – acht mal 315 Euro – kann die Familie wohl auch abschreiben.
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Die Stadt Duisburg erklärt, dass nach dem neuen Bundesteilhabegesetz alle Kindertageseinrichtungen verpflichtet sind, Kinder mit anerkannter oder drohender Behinderung aufzunehmen. „Somit gibt es keine sogenannten inklusiven Plätze mehr“, erklärt ein Stadtsprecher. Die Finanzierung für die Kinder mit Behinderung erfolge über den LVR.
Der Träger der Einrichtung erhält auf Grund von Anträgen, die die Eltern stellen müssen, sogenannte Basisleistungen für jedes Kind. Davon können zusätzliche Personalstunden, Fachberaterstunden und Fortbildungen finanziert werden. Zusätzlich können die Eltern bei der Fallmanagerin vom LVR vielfältige, individuelle Leistungen, die die Teilhabe des Kindes begünstigen - dazu gehören z.B. Inklusionsassistenz und Therapien- beantragen.
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Der Sprecher betont, dass alle Kinderärzte und Diagnosezentren durch den LVR über die Änderungen informiert worden seien. Aktuell gebe es aber die die Situation, dass einige Ärzte noch immer zu einem Platz in einer integrativen Einrichtung raten.
Streitfälle seien nicht bekannt und Wartelisten gebe es nicht, da die Bedarfsanmeldung über das Portal Kita-Place erfolgt.