Duisburg. . Zwei Untersuchungen der Uni Duisburg befassen sich mit Hartz IV. Nach zwölf Jahren ist der Arbeitsmarkt nicht gesünder geworden, sondern nur zu Lasten der Arbeitnehmer flexibilisiert worden und darum erstarrt. Eine weitere Studie besagt, dass Menschen in Städten stärker von Leistungen abhängig sind.
Zwölf Jahre nach den Hartz-Reformen zieht der Duisburger Forscher Dr. Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen in einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung Bilanz. Das Ergebnis: Trotz des „deutschen Beschäftigungswunders“ seien auf dem Arbeitsmarkt keineswegs rosige Zeiten angebrochen, vielmehr sei Erstarrung eingetreten. Knuth: „Es erscheint nötig, eine Diskussion über einen zukunftsfähigen Arbeitsmarkt jetzt zu beginnen und nicht erst auf dem Tiefpunkt des nächsten Abschwungs.“
Was bleibt von den Reformen, zwölf Jahre, nachdem die Hartz-Kommission ihren Abschlussbericht an Bundeskanzler Schröder übergab? Trotz Erholung des Patienten sei der Arbeitsmarkt durch die Hartz-Reformen nicht „gesünder“ geworden. „Aber nicht alle Gebrechen sind auch Folgen der Reformen.“ So seien stagnierenden Löhne, zunehmende Ungleichheit und der wachsende Niedriglohnsektor vor allem auf die Schwächung des Tarifvertragssystems zurückzuführen, so der Duisburger Forscher.
Chancen für Langzeitarbeitslose nicht verbessert
Die Strukturreformen hätten zwar für schnellere Übergänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit gesorgt. Die Chancen der Langzeitarbeitslosen hätten sich dabei jedoch nicht verbessert. Der Beschleunigungseffekt beschränke sich auf diejenigen, die nur kurz ohne Job sind und den Abstieg in die Grundsicherung mit Prüfung der Bedürftigkeit vermeiden wollen.
„Aus dem gleichen Grund hat die Angst vor Arbeitslosigkeit zugenommen. Um ihren Arbeitsplatz zu erhalten, sind Beschäftigte zu größeren Opfern bereit als zuvor“, erklärt Knuth. Diese Anpassungsbereitschaft habe 2008/09 zur Krisenbewältigung beigetragen. Zugleich verringere die Angst aber auch die Bereitschaft zum Risiko.
Fluktuation bei Arbeitskräften gesunken
Die Wirtschaft wächst, mehr Menschen stehen in Lohn und Brot, und doch ist die Fluktuation von Arbeitskräften insgesamt gesunken, stellt Knuth weiterhin fest; die Dauer von Beschäftigungsverhältnissen habe zugenommen, obwohl es mehr und mehr flexible Beschäftigungsformen gibt.
Die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes habe sich folglich verschlechtert. Grund dafür dürfte nicht nur sein, dass die Hartz-Reformen Arbeitnehmer einschüchtern. Auch wurden in neuen Beschäftigungsverhältnissen niedrigere Einstiegslöhne gezahlt, während die Wechselbedingungen für bereits Beschäftigte oft unattraktiv waren: Neue Jobs lohnten sich nicht.
„Eine einseitige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in der Form, dass nur die Arbeitgeber mehr Optionen haben, macht ihn nicht flüssiger“, so das Fazit von Prof. Knuth, „sondern führt gerade zu der Erstarrung, die mit den Reformen bekämpft werden sollte“.
Studie: Hartz IV ist ein Stadtphänomen
Hartz IV ist zwischen Stadt und Land sehr unterschiedlich verteilt: Fast jeder sechste Einwohner Duisburgs unter 65 Jahren (17,6 Prozent) hat ein so geringes Einkommen, dass es auf das Existenzminimum aufgestockt werden muss; im Kreis Coesfeld sind weniger als fünf Prozent auf Hilfe angewiesen.
Das Informationsportal Sozialpolitik Aktuell des Instituts Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg Essen (UDE) hat für einen NRW-Regionalvergleich Daten der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet. Dabei wurde auch festgestellt, dass die Hartz-IV-Betroffenheit trotz der günstigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage fast überall gestiegen ist, im NRW-Durchschnitt um 2,65 Prozent.
Menschen in Ruhrgebietsstädten stärker betroffen
Regionale Unterschiede werden durch die wirtschaftliche Lage und die Situation auf dem Arbeitsmarkt verursacht. „Städte im Strukturwandel, die unter hoher Arbeitslosigkeit leiden, haben hohe Empfängerquoten“, stellt Prof. Dr. Gerhard Bäcker fest. „Dass die Menschen in Ruhrgebietsstädten besonders von Hartz IV abhängig sind, überrascht deswegen kaum.“
Aber nicht allein Arbeitslose und ihre Kinder erhalten Grundsicherung. Von Arbeitslosengeld II leben auch jene, die wegen Betreuungs- oder Pflegeaufgaben nicht arbeiten können. Viele Erwerbstätige mit Niedriglöhnen müssen zudem aufstocken. „Die Unterschiede zwischen Stadt und Land rühren deshalb auch daher, dass sich im großstädtischen Raum die sozialen Problemlagen konzentrieren: Hier gibt es viele Alleinerziehende und Ein-Personenhaushalte“, erläutert Bäcker.