Duisburg. Ganz Duisburg fiebert dem WM-Finale entgegen. Während sich wieder viele zum Rudelgucken verabreden, müssen andere wie Straßenbahnfahrer Johann Vogt arbeiten. Das muss Ezequiel Alaniz nicht. Der Industriemechaniker bei Thyssen-Krupp stammt aus Buenos Aires und hofft auf einen Sieg der Argentinier.

Wenn morgen Abend pünktlich um 21 Uhr im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro das Finale der Fußball-WM zwischen Deutschland und Argentinien angepfiffen wird, steht Johann Vogt an der Scholtenhofstraße in Laar. Und das fahrplanmäßig. Der 46-Jährige ist Straßenbahnfahrer bei der Duisburger Verkehrs-Gesellschaft (DVG). Und weil es der Dienstplan so wollte, hat er diese für Nationalelf-Daumendrücker denkbar ungünstigste Schicht erwischt. Der Rumeln-Kaldenhausener sitzt dann in der Bahnlinie 901 „auf dem Bock“ und chauffiert seine Fahrgäste zwischen Obermarxloh und Mülheim Hauptbahnhof durch die Nacht. Doch Vogt zeigte sich im en WAZ-Interview nicht deprimiert: „WM-Gucken macht Spaß, ich bin aber nicht süchtig nach Fußball.“ Soll heißen: Er wird den akuten Endspiel-Entzug überstehen.

55 DVG-Kollegen teilen am Sonntagabend Vogts Schicksal. 44 von ihnen sitzen in Bahnen oder Bussen, die zu dieser Stunde unterwegs sind. Neun weitere Kräfte gehören zur Aufsicht, etwa die Fahrdienstleitung oder die Kollegen in der Leitstelle. Und zwei DVG-Mitarbeiter sind für technische Notfälle auf Abruf bereit, wenn Aufzüge und Rolltreppen streiken oder es Störungen an Fahrzeugen und Anlagen gibt. „Einige der Betroffenen hätten die Schicht liebend gern getauscht“, weiß DVG-Sprecherin Anamaria Preuss. „Aber sie haben nicht einen gefunden, der mit ihnen tauschen wollte.“

Immer das Radio dabei

Ganz abgeschnitten vom Informationsfluss ist Vogt in seiner Fahrerkabine natürlich nicht. „Die Kollegen in der Leitstelle übermitteln die Zwischenstände per Funk. Ich kann das dann den Fahrgästen über die Sprechanlage weitergeben. Aber die meisten wissen das dann schon aus ihrem Handy“, erzählt der Bus- und Bahnfahrer, der aus Kasachstan stammt, seit 20 Jahren in Duisburg lebt und seit 1999 bei der DVG beschäftigt ist.

An den beiden Endpunkten der Bahnlinie hat Vogt zudem zwischen 10 und 20 Minuten Pause. „Dann höre ich Radio, das habe ich immer mit.“ Zudem wird er nach seinem Dienstschluss um 0.51 Uhr das Spiel noch daheim in aufgezeichneter Form nacharbeiten. „Aber wahrscheinlich nicht mehr alles, sondern nur die wichtigsten Ausschnitte.“

Schon das WM-Halbfinale gegen Brasilien hatte Vogt nur zur Hälfte gesehen: „Ich bin zur Halbzeit ins Bett gegangenen, weil ich am nächsten Morgen um 5 Uhr raus musste. Da stand es ja auch schon 5:0 für uns“, erzählt der passionierte Freizeitsportler, der gern Wasserski läuft und joggt. Und was tippt er nun für das große Spiel? „Vor der WM hatte ich Uruguay als Weltmeister getippt. Jetzt sage ich 2:1 für Deutschland.“ Welch weltmeisterliche Prognose!

Arbeiten statt WM-Finale

Auch andere Duisburger Arbeiter werden das Spiel der Spiele verpassen. So wie die Schichtarbeiter bei Thyssen-Krupp und HKM oder die Ärzte und das Pflegepersonal im Klinikum Duisburg. Sie alle werden vom Finale nichts oder nur wenig mitbekommen. „Klar ist, dass wir den Hochofen nicht einfach ausstellen können“, sagt Pressesprecher Erik Walner von Thyssen-Krupp. Auch einen Fernseher in der Nähe des Hochofens werde es nicht geben, so Walner. „Die Arbeiter dürfen sich nicht ablenken lassen, das wäre einfach zu gefährlich. Ein Radio in den Pausenräumen wird aber sicher laufen.“ Bei HKM sind um 21 Uhr rund 300 Mitarbeiter im Werk. „Die Aufmerksamkeit muss dem Prozess gelten“, sagt auch HKM-Pressesprecherin Karin Aust.

Im Klinikum Duisburg gilt diese den Patienten. „Alle sind viel zu sehr eingespannt, als dass sie Zeit für das Spiel hätten“, sagt Kirsten Quint aus der Presseabteilung. Auch hier gibt es lediglich ein Radio im Aufenthaltsraum. „Ein, zwei Minuten mit einem der Patienten im Zimmer schauen wäre aber möglich, wenn es gerade spannend wird“, sagt Quint. Im Vorfeld seine Schicht zu tauschen, blieb all denen, die unbedingt das Spiel sehen möchten. „Bei uns gibt es immer ein paar Kollegen die sagen, dass es ihnen nicht so wichtig ist und dann tauschen“, sagt Quint. Bei HKM sah das jedoch anders aus. „Wir konnten keine Abweichungen zu normalen Sonntagen feststellen“, sagt Karin Aust.

Ezequiel Alaniz will die Revanche der Argentinier feiern 

Die Fieberkurve steigt natürlich auch bei den Argentiniern. So freut sich Ezequiel Alaniz, Industriemechaniker bei Thyssen-Krupp, nach zwei Nachtschichten auf das Fußballfest. Er war zwölf, als er 2003 mit seinen Eltern und zwei Schwestern aus Buenos Aires nach Voerde kam – gut zwölf Kilometer entfernt von seinem heutigen Arbeitsplatz. Für den 23-Jährigen, der seit Januar einen festen Vertrag im Stahlwerk in Beeckerwerth in der Tasche hat, kommt das freie Wochenende goldrichtig. Wohnung und Garten seines Elternhauses werden zum Finale ein kleines argentinisches Zentrum am Niederrhein sein. 25 Gäste, allesamt Argentinier, sind aus Orten bis hin nach Bocholt zu Gast. Im Garten wird gegrillt. Alaniz, früherer Schwimmsportler, stellt dann argentinische Steaks, würzigen Käse, Chips, Salami, Bier und Fernet Branca bereit.

„Wir feiern am Sonntag Revanche gegen Deutschland – 2:0“, tippt der Argentinier. Schließlich gab es gegen Deutschland zuletzt jeweils Viertelfinal-Niederlagen bei den Fußball-Weltmeisterschaften 2006 und 2010. „Allerdings bin ich zu jung, um Ergebnisse aller sieben WM-Begegnungen dieser Nationen parat zu haben.“ 1986, als Argentinien in Mexiko Deutschland schlug, sowie 1990 Deutschland im italienischen WM-Finale Argentinien, war er noch nicht einmal geboren.

„Bis zum Halbfinale habe ich mir Nächte um die Ohren gehauen, um jetzt dieses Finale zu sehen“, sagt Beatriz Meier (58), aus Argentinien stammende Biochemikerin im TKS-Forschungsbereich. Nach über 30 Jahren abseits von Argentinien schwingt beim Finale kaum Nationalstolz mit. „Weil ich seit zehn Jahren hier zu Hause bin, kommt mein Wohnzimmer jetzt in Schwarz-Rot-Gold daher.“ Sie hält mit Sohn und Nachbarn am Sonntag den „Alemanes“ die Daumen. „Unsere Jungs müssen einen coolen Kopf bewahren, ich erwarte, dass sie den vierten Stern für Deutschland holen.“

Rudelgucken in der Stadt

Rudelgucken ist am Sonntag zum WM-Finale zwischen Deutschland und Argentinien wieder in Duisburg angesagt. 3500 Leute haben Platz auf dem Parkplatzgelände des ehemaligen Delta Musik Park, Hamborner Straße 40, in Meiderich. Bereits ab 19 Uhr heizt DJ Bocky den Fans ein. Der Eintritt ist frei, der Mindestverzehr beträgt 6 Euro. Gleiches gilt für das Public Viewing am Hotel Sittardsberg, Sittardsberger Allee 10, in Buchholz. Dort beginnt für maximal 480 Leute die Party um 18 Uhr.

Der Steinhof, Düsseldorfer Landstraße 347, in Huckingen öffnet um 19.30 Uhr seine Türen und stellt zum Rudelgucken 350 Sitzplätze und weitere 400 Stehplätze zur Verfügung. Dafür ist der Eintritt frei und einen Verzehrzwang gibt es auch nicht.

Darüber hinaus wird überall in der Stadt, etwa in diversen Kneipen und Gaststätten, ab 21 Uhr gebannt auf die Bildschirme geschaut, wenn Jogis Jungs gegen die Gauchos nach dem vierten WM-Stern greifen wollen.