Duisburg. Wenn es um die Auffassung des Rechtsamtes der Stadt Essen geht, hätten sich Duisburger Lokalpolitiker die 14 Stunden ersparen können: In Essen lehnte der OB die geheime Abstimmung ab. Sie sei bei der Gremienbesetzung durch Verhältniswahl gar nicht vorgesehen. Duisburg bleibt anderer Auffassung.

War die stundenlange Tortur im Duisburger Stadtrat am Montag womöglich überflüssig? Hätte das Rechtsamt den geheimen Abstimmungsmarathon verhindern können? Zumindest in der Stadt Essen hat man eine offenbar praktikable Lösung gefunden haben, wie sich die Provokation der rechtspopulistischen Splitterpartei ProNRW vermeiden lässt. Denn in Essen sah sich der Rat mit dem gleichen Problem konfrontiert. Doch der dortige Oberbürgermeister Reinhard Paß bügelte den Antrag auf geheime Abstimmung ab — und verhinderte damit die langatmige Prozedur.

Denn in Essen liest man die Gemeindeordnung offenbar anders als in Duisburg, zumindest hält man einen anderen Absatz des §50 für entscheidend. Demnach bestehe kein Anspruch auf geheime Abstimmungen, wenn Gremien im Verhältnis zum Wahlergebnis besetzt werden. Allein bei der Wahl einer einzelnen Person sei man zur Durchführung einer geheimen Abstimmung verpflichtet, lautet die Rechtsauffassung in Essen.

„Rechtlich keinen Spielraum“

Und was sagt man im Duisburger Rathaus dazu? Man habe die Rechtslage selbstverständlich im Vorfeld geprüft, sagte Stadtsprecherin Anja Kopka auf Nachfrage. Das eigene Rechtsamt vertrete jedoch eine andere Auffassung als die Kollegen in Essen. So verweise auch der führende Kommentar zur Gemeindeordnung auf § 50 Absatz 2, der besagt: „Wahlen werden, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt oder wenn niemand widerspricht, durch offene Abstimmung, sonst durch Abgabe von Stimmzetteln, vollzogen.“

„Den Widerspruch jedoch hat es gegeben - weswegen wir die Auffassung vertreten haben, rechtlich keinen Spielraum zu haben, ohne ein hohes Klagerisiko in Kauf nehmen zu müssen“, sagte Kopka.

Peinlich und ärgerlich: Ein Kommentar von Ingo Blazejewski 

Keine Frage: Mit ihrer Auslegung der Gemeindeordnung stehen die Essener deutlich besser da. Sie haben nicht nur eine Marathonsitzung bis zum Morgengrauen verhindert, sondern auch den Spieß umgedreht. Sollten die Rechten auch im Nachgang auf geheime Abstimmungen pochen, müssen sie diese erst einmal einklagen. Wie die Gerichte in einem solchen Fall entscheiden, sei dahin gestellt. In Essen lässt man es drauf ankommen.

Doch warum hätte nicht auch Duisburg mit derartiger rechtlicher Raffinesse reagieren können? Warum hat man hier diese Möglichkeit nicht gesehen ? Oder sind die Experten in Essen einfach cleverer?

Gut vorbereitet? Rechtsdezernent wusste keine Antwort!

Den Eindruck, sich in Duisburg auf mögliche Fragen und problematische Anträge vorbereitet zu haben, hat der Duisburger Rechtsdezernent Wolfgang Rabe jedenfalls schon während der Sitzung deutlich getrübt. Ob die NPD-Vertreterin als einzelnes Ratsmitglied denn auch für die RVR-Verbandsversammlung kandidieren könne, vermochte er nicht zu beantworten. Auch nicht nach einer Sitzungsunterbrechung und der Rücksprache mit seinem Rechtsamtsleiter. Die Frage komme überraschend, aus „heiterem Himmel“, stammelte Rabe, man könne nicht auf alles sofort eine Antwort parat haben. Dabei soll der Antrag schriftlich vorgelegen haben.

Wie die Rechten von der geheimen Abstimmung profitiert haben könnten

Das ist peinlich. Gravierend und ärgerlich ist aber, dass die Rechten durch die geheime Abstimmung profitiert haben könnten. Die Kandidatenliste der vierköpfigen ProNRW-Fraktion erhielt jeweils acht Stimmen. Zu vermuten ist, dass die Unterstützung neben der NPD-Frau auch von den drei AfD-Vertretern kam. Öffentlich hatte sich die AfD bisher vor einer Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen verwehrt. Die geheime Wahl bietet ihr einen Deckmantel. Damit konnten die Rechtspopulisten einen Platz in diversen Aufsichts- und Beiräten ergattern.

Sollte daher die wenig wehrhafte Rechtsauffassung im Rathaus den Einzug der rechten Hetzer in Gremien wie den Polizeibeirat geebnet haben, wäre das besonders bitter. Konsequenz? Keine. Der Rechtsdezernent ist ohnehin bereits abgewählt.