Duisburg. . Sie haben keinen Schulabschluss, sind oft langzeitarbeitslos. Auf dem zweiten Bildungsweg bekommen sie eine neue Chance - viele ergreifen sie. Aber die Wartelisten sind lang, die Abbrecherquoten hoch.

Der abendliche Unterricht beginnt mit einem Test. Zehn Fragen zur Prozentrechnung, zu Flächenmaßen, Textaufgaben. „Acht Richtige? Das wäre ne Zwei“, lobt Johannes Jaroschek. In seinem Hauptberuf lehrt er an einer Gelderner Realschule. Für Jugendliche und junge Erwachsene, die ohne Schulabschluss und meist arbeitslos sind, pendelt er regelmäßig nach Duisburg, um Mathe an der VHS zu unterrichten. Im zweiten Bildungsweg werden hier Hauptschulabschlüsse nach Klasse 9 vermittelt oder Mittlere Schulabschlüsse.

Philippe holt die Mittlere Reife nach. Er lobt seinen Lehrer, „der bringt uns was bei, ohne uns zu verwirren“. Dabei jagt Jaroschek im Parforceritt durch den Stoff der Sekundarstufe 1: „Wir fangen beim Bruchrechnen der sechsten Klasse an und geben dann Gas hoch bis ins zehnte Schuljahr.“ Das nötigt ihm selbst Respekt ab: „Ich ziehe den Hut vor allen, die das schaffen.“ Arbeitgebern könne er solche Bewerber nur empfehlen, denn Biss hätten diese Absolventen. Bis zum Uni-Professor haben es seine Schüler schon gebracht, erzählt er stolz.

Dirk will Bankkaufmann werden

Soweit denkt Dirk noch nicht. Er träumt davon, Bankkaufmann zu werden. Der 19-Jährige hätte schon im ersten Anlauf Abitur machen können, „aber da hab ich Schule sausen lassen“, erzählt er hörbar verärgert über sich selbst. Aufgeschreckt wurde er durch erste Begegnungen im Arbeitsamt. „Da hab’ ich von vielen gehört, dass das Geld nicht reicht, und so will ich nicht leben.“ Drei Jahre habe er verloren, jetzt will er Vollgas geben.

Mitschülerin Esme ist schon 25, sie hängt neun Jahre hinterher. Tagsüber arbeitet sie in ihrem eigenen Kiosk, abends drückt sie die Schulbank. Denn der Vertrag läuft bald aus, und da habe sie Panik bekommen: „Ich will nicht putzen gehen.“ Deshalb sei jetzt Kämpfen angesagt, um später einen guten Job zu bekommen. „Ich streng’ mich an, ich will das wirklich.“ Als Teenager hätte sie das nicht gesagt, „da habe ich nur im Heute gelebt“.

„Ich war faul, aber jetzt macht die Schule richtig Spaß!“

Philippe sagt es noch deutlicher: „Ich war faul, aber jetzt macht die Schule richtig Spaß!“ Er hat schon einiges versucht, Holztechnik auf der Berufsschule, Call-Center-Agent, „aber ich hoffe auf eine angesehene Arbeit, Physiotherapeut oder Fitness- Kaufmann“. Nach dem Unterricht bleibt der 24-Jährige oft, um mit den anderen zu lernen, etwa mit Sebastian. Der nennt es gar „Glückssache, hier hereinzukommen“. Der Kurs war viel voller, zwölf sind schon abgesprungen, „das ist total ungerecht für die, die wirklich was wollen“, beklagt der 24-Jährige.

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Die Wartelisten sind lang, bedauert auch VHS-Direktor Gerhard Jahn. Die „Riesennachfrage“ könne er nicht bedienen. Künftig werde man stärker auswählen, denn die Abbrecherquote ist immens. Eine Hürde in Form eines Eignungstests wird künftig vorgeschaltet, sagt Bereichsleiterin Inga Schürger. Das Ergebnis sei kein Ausschlusskriterium, entscheidend sei ein erkennbarer Wille zum Lernen. Problematisch seien auch die ehemaligen Förderschüler, die beruflich nicht Fuß fassen, für die es zu wenig Maßnahmen gebe. Personell und räumlich sind der VHS da enge Grenzen gesetzt. Vom Land kommt über das Weiterbildungsgesetz ein Zuschuss von 130.000 Euro, den viel höheren Rest trägt die Stadt. Andere Städte hätten sich vom zweiten Bildungsweg aus Kostengründen verabschiedet, sagt Jahn. Duisburg nicht, aber dennoch fallen viele langzeitarbeitslose Jugendliche durchs Raster.