Duisburg. 2012 belegte Anja Tegatz einen Marathonkurs des Laufclubs Duisburg - heute ist sie dem Ultralaufsport verfallen. Nachdem sie Deutsche Meisterin im 24-Stunden-Lauf geworden ist, stellt sie sich nun ihrer größten Herausforderung: Der Camp David Expedition 2014 durch Patagonien.
Früher, da stand Anja Tegatz auf dem Markt. In aller Herrgottsfrühe. Regen. Wind. Kälte. Das stoppte die heute 39-Jährige nicht. Acht Jahre lang verkaufte sie Wurst und Käse. Auch das ist ein Ausdauerleistung. Und ganz offenbar ist es auch eine perfekte Vorbereitung darauf, ein Ultraläufer zu werden. „Ultra“, das sind die Läufe noch jenseits des Marathons.
100-Kilometer-Läufe zum Beispiel, oder 24-Stunden-Rennen. Oder aber man läuft, klettert, fährt mit einem Kajak, kämpft sich zu Fuß durch Wasserläufe quer durch Patagonien von Punta Arenas, der südlichsten Großstadt der Welt in Chile, runter nach Puerto Williams, der südlichsten Stadt der Welt. Genau das wird die Duisburgerin im Februar in Angriff nehmen.
Norm für die Deutsche Meisterschaft
„Wenn ich etwas mache, dann sofort und zu 100 Prozent“, sagt Anja Tegatz über sich selbst. Mit einem Lächeln fügt sie hinzu: „Da spricht dann das Herz.“ Das war schon im Frühjahr 2012 so. Damals nahm sie gerade an einem Marathonkurs des Laufclubs Duisburg teil, um in ihrer Heimatstadt zum ersten Mal die „antike“ Strecke von 42,195 Kilometern anzugehen. Dabei schnappte sie etwas vom Nachtlauf in Biel auf. 100 Kilometer durch eine Stadt in der Schweiz. „Ich saß dann bis nachts vor dem Computer und wusste: Das willst du machen.“
Also meldete sie sich an. Ohne ihren Trainern etwas zu sagen. „Die hätten mich noch vor meinem ersten Marathon doch für verrückt erklärt.“ Im Juni 2012 bewältigte sie nicht nur die 100 Kilometer, sie schaffte die Norm für die Deutsche Meisterschaft. Im September 2013 wurde sie schließlich Deutsche Meisterin im 24-Stunden-Lauf – nachdem sie zuvor ein ähnliches Rennen in Breitscheid gewonnen hatte. Nicht nur in ihrer Altersklasse, nicht nur in der Frauenwertung – sondern noch vor dem schnellsten Mann.
Vom Marktstand auf die Laufstrecke
Wer hätte das zuvor gedacht, als sie auf den Märkten in Buchholz und Wanheim stand – und schon damals bei ihren Kunden sehr beliebt war. „Man muss mit den Leuten reden können, wissen, was sie kaufen“, sagt Tegatz. „Vorher dachte niemand, dass ein Job als Marktfrau für mich das richtige wäre.“ Doch kaum hatte sie ihren Wagen zum ersten Mal aufgebaut, war klar: Sie hatte es drauf – und wie. „Eine Freundin meiner Mutter hatte damals den Wagen verkaufen.“ Die Folge war eine dieser Herzensentscheidungen.
Das „Herz“, das sie mitbringt, wird ihr aber auch entgegengebracht. An dem Tag, als ihre Tochter Frieda vor rund sieben Jahren geboren worden ist, stand sie morgen noch auf dem Markt. „Abends bin ich dann ins Krankenhaus gegangen und zwei, drei Wochen später stand ich wieder auf dem Markt.“ Als sie wieder da war, gab es auch gleich Geschenke für „Friedchen". Vor zweieinhalb Jahren traf sie die nächste Herzensentscheidung. Sie wurde Schulsekretärin an der Leibniz-Gesamtschule in Hamborn. „Da gehe ich aber nicht mehr weg.“
„Man sucht einfach die eigenen Grenzen“
Das gab ihr aber auch die Gelegenheit, sich dem Laufsport, oder besser dem Ultralaufsport, zu widmen. „Ich merkte einfach, dass mich die normalen Strecken nicht an meine Grenzen geführt haben.“ Fünf Kilometer, 42 Kilometer, 100 Kilometer. „Man sucht einfach die eigenen Grenzen.“
In diesem Jahr geht es auf die „Tortour de Ruhr“ – 230 Kilometer quer durchs Ruhrgebiet. „Der letzte Kilometer“, verrät sie, „ist immer der schlimmste.“ Auf diesen unfassbar langen Strecken genießt sie zunächst noch die Umgebung – bis dann das so genannte „Runners’ High“ einsetzt. „Dann läufst du nur noch.“
Größte Herausforderung: Die Camp David Expedition
Nun steht ihr das größte Abenteuer bevor: Die Camp David Expedition 2014 durch Patagonien – ausgelobt vom gleichnamigen Textilhersteller. Schon der Weg dorthin war weit. 2000 Bewerber gab es, 200 wurden eingeladen. Eine Hälfte für die Laufstrecke, die andere für eine Strecke auf dem Wasser. Die Prüfungen hatten es in sich. Ein Mountainbike-Parcours durch den Matsch, Hangeln, Klettern, ehe es ins Wasser ging. „Es war sechs, sieben Grad. Und mein Neoprenanzug war drei Nummern zu groß."
Die Folge: Anja Tegatz bibberte und schlottere. „Aber ich habe alles mitgemacht. Ich wollte unbedingt nach Chile.“ Und sie weiß sich zu verkaufen: „Immer wenn eine Kamera in der Nähe war, habe ich da rein gelächelt.“ Zudem war sie gut vorbereitet: Für die angekündigte Klettertour hat sie beim Deutschen Alpenverein mal eben einen Kletterschein gemacht. „Ich weiß also, wie ich mich und andere sichere.“ Mehrere Prüfungen später stand fest: Die 39-Jährige ist eine von 18 Teilnehmern, die es geschafft haben. Trotz blauer Hände und Lippen. „Da habe ich sogar einen Kaffee abgelehnt. Ich wollte keine Extrawurst.“ Am 16. Februar geht es los – angeführt von Extremsport-TV-Promi Joey Kelly.
Für viele wäre das nur eine Qual. Für Anja Tegatz ist es ein Traum.