Duisburg. Dreieinhalb Jahre nach der Loveparade-Katastrophe soll es nun zur Anklage kommen. Duisburgs Polizeidirektor Kuno Simon gehört wohl nicht mehr zu den Beschuldigten. Ein Düsseldorfer Anwalt kritisiert das Vorgehen der Staatsanwaltschaft.

Noch steht nicht fest, wer am Ende tatsächlich auf der Anklagebank sitzt. Doch bald dreieinhalb Jahre nach der Katastrophe der Loveparade hat die Staatsanwaltschaft Duisburg einen Entwurf der Anklage zu Papier gebracht, der nun von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf überprüft wird. Überraschend: Nicht alle der ursprünglich 16 Beschuldigten sollen wegen fahrlässiger Tötung angeklagt werden. Duisburgs Polizeidirektor Kuno Simon gehöre nicht mehr dazu, heißt es aus Ermittlerkreisen, um Rechtsdezernent Wolfgang Rabe „werde noch gerungen“.

Nur noch zehn oder elf Beschuldigte soll es nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Focus“ geben. Weder die Staatsanwaltschaft Duisburg noch die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf wollten dies kommentieren. Zum Kreis der Beschuldigten zählen damit auf jeden Fall der frühere Duisburger Dezernent für Bauordnung, Jürgen Dressler, mehrere Amtsleiter und Sachbearbeiter der Stadtverwaltung, die das Event genehmigt hatten, sowie Mitarbeiter des Loveparade-Veranstalters Lopavent, deren Chef der McFit-Unternehmer Rainer Schaller war.

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Bei der Loveparade am 24. Juli 2010 waren während einer Massenpanik im Zugangsbereich des Veranstaltungsgeländes 21 junge Menschen erdrückt oder zu Tode getreten worden. Hunderte Besucher wurden verletzt, vermutlich Tausende erlitten in dem Gedränge psychische Schäden. Die Staatsanwaltschaft hat bei ihren Ermittlungen 3500 Zeugen gehört, 1000 Stunden Videos angesehen und 404 Terrabyte Daten verarbeitet. Zuletzt war sie wegen der langen Dauer der Ermittlungen in die Kritik geraten.

Weitere Prüfung "kein ungewöhnlicher Vorgang"

Dass sie nun nicht direkt Anklage erhebt, sondern einen Entwurf durch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf prüfen lässt, ist sicherlich dem großen öffentlichen Interesse und der politischen Brisanz des Verfahrens geschuldet. „So etwas ist kein ungewöhnlicher Vorgang. In ganz bedeutenden Verfahren, die die Öffentlichkeit beschäftigen, wird eine Anklageschrift gern einmal einer weiteren Prüfung unterzogen“, erklärte Oberstaatsanwalt Schönwitz von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf ganz allgemein. Zu dem konkreten Fall lehne er jeden Kommentar ab.

Einer der wichtigsten Bausteine der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen stellt das Gutachten des britischen Panikforschers Professor Keith Still dar. Still kommt darin zu dem Schluss, dass das Sicherheitskonzept für die Loveparade durch das simple Addieren der Zahlen von ankommenden und weggehenden Ravern hätte überprüft werden können. Die Katastrophe hätte mit diesem Sicherheitskonzept gar nicht vermieden werden können.

Vor diesem Hintergrund werden auch den Mitarbeitern der Duisburger Stadtverwaltung eklatante Planungsfehler vorgeworfen. Duisburgs Ex-Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) und der Chef des Loveparade-Veranstalters Lopavent, Rainer Schaller, gehörten allerdings schon recht bald nicht mehr zu den Beschuldigten.

Beschuldigte zu spät informiert

Die Prüfung durch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf soll, so heißt es, bis Januar dauern. „Es verwundert, dass es keinen Angeklagten auf Seiten der Polizei gibt“, kommentierte Rechtsanwalt Julius Reiter, der zig Opfer vertritt, im WDR-Fernsehen. Die Organisation sei unzureichend gewesen. Unverständnis äußerte auch der Sprecher der „Betroffenen-Initiative LoPa 2010“, Jörn Teich. Die Polizei habe einen großen Anteil an der Katastrophe.

Gedenken an die Loveparade-Opfer

Angehörige der 21 Todesopfer haben sich am  dritten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe
Angehörige der 21 Todesopfer haben sich am dritten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
...am Magnolienhain in der Innenstadt getroffen.
...am Magnolienhain in der Innenstadt getroffen. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Mitten unter ihnen: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
Mitten unter ihnen: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Rund 60 Angehörige sind es, die  vom Hotel in der Innenstadt aufgebrochen sind...
Rund 60 Angehörige sind es, die vom Hotel in der Innenstadt aufgebrochen sind... © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
...um  jenen Weg zu gehen, der sie vom Hauptbahnhof über die Friedrich-Wilhelm-Straße und die Düsseldorfer Straße zum Karl-Lehr-Tunnel führt.
...um jenen Weg zu gehen, der sie vom Hauptbahnhof über die Friedrich-Wilhelm-Straße und die Düsseldorfer Straße zum Karl-Lehr-Tunnel führt. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Sie gehen fast den identischen Weg, den vor drei Jahren ihre Kinder zurückgelegt haben.
Sie gehen fast den identischen Weg, den vor drei Jahren ihre Kinder zurückgelegt haben. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Hin zu jenem Platz, auf dem 21 junge Menschen am 24. Juli 2010 den Tod fanden, als dort noch eine Rampe war, die nun Gedenkstätte ist. Duisburgs OB Sören Link begleitete die Angehörigen auf diesem Weg.
Hin zu jenem Platz, auf dem 21 junge Menschen am 24. Juli 2010 den Tod fanden, als dort noch eine Rampe war, die nun Gedenkstätte ist. Duisburgs OB Sören Link begleitete die Angehörigen auf diesem Weg. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Hin zu jenem Platz, auf dem 21 junge Menschen am 24. Juli 2010 den Tod fanden, als dort noch eine Rampe war, die nun Gedenkstätte ist.
Hin zu jenem Platz, auf dem 21 junge Menschen am 24. Juli 2010 den Tod fanden, als dort noch eine Rampe war, die nun Gedenkstätte ist. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Dieser gemeinsame Fußmarsch am dritten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe bedeutet für viele Hinterbliebene nicht nur eine Rückkehr an den Ort der Tragödie. Sie beschreiten in stillem Gedenken auch den Weg zu sich selbst.
Dieser gemeinsame Fußmarsch am dritten Jahrestag der Loveparade-Katastrophe bedeutet für viele Hinterbliebene nicht nur eine Rückkehr an den Ort der Tragödie. Sie beschreiten in stillem Gedenken auch den Weg zu sich selbst. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Am Mittwoch, den 24.07.2013 finden in Auf der Suche nach Trost, Antworten und zumindest einem Stückchen inneren Frieden.
Am Mittwoch, den 24.07.2013 finden in Auf der Suche nach Trost, Antworten und zumindest einem Stückchen inneren Frieden. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Während die Hinterbliebenen am Unglücksort trauern, ist der Karl-Lehr-Tunnel für die Öffentlichkeit gesperrt. Die Familien und Freunde sollen in Ruhe, unbeobachtet von Fernsehkameras und Fotografen der Opfer gedenken können.
Während die Hinterbliebenen am Unglücksort trauern, ist der Karl-Lehr-Tunnel für die Öffentlichkeit gesperrt. Die Familien und Freunde sollen in Ruhe, unbeobachtet von Fernsehkameras und Fotografen der Opfer gedenken können. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
An der neuen Gedenkstätte am Unglücksort legten dei Trauernden Blumen und Kränze nieder.
An der neuen Gedenkstätte am Unglücksort legten dei Trauernden Blumen und Kränze nieder. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Begleitet wurden sie von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Oberbürgermeister Sören Link, die ebenfalls Kränze niederlegten.
Begleitet wurden sie von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Oberbürgermeister Sören Link, die ebenfalls Kränze niederlegten. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
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Für alle, die an diesem Tag nicht unter vielen Menschen sein wollen – aber auch nicht alleine in der Wohnung sitzen möchten...
Für alle, die an diesem Tag nicht unter vielen Menschen sein wollen – aber auch nicht alleine in der Wohnung sitzen möchten... © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
...hat der Verein Loveparade Selbsthilfe ein gemeinsames Picknick organisiert.
...hat der Verein Loveparade Selbsthilfe ein gemeinsames Picknick organisiert. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Duisburgs OB Sören Link und der Ombudsmann für  die Betroffenen der Loveparade, Pfarrer Jürgen Widera.
Duisburgs OB Sören Link und der Ombudsmann für die Betroffenen der Loveparade, Pfarrer Jürgen Widera. © dpa
In der Salvatorkirche fand dann zum Abschluss am Abend die offizielle Gedenkfeier statt.
In der Salvatorkirche fand dann zum Abschluss am Abend die offizielle Gedenkfeier statt. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Die einstündige Zeremonie war gespickt mit Gänsehautmomenten. : Der Atem stockte vielen, als die laut vorgelesenen Vornamen der 21 Opfer im Hall des Kirchenschiffs erklangen. Zu jedem Namen wurde eine Kerze entzündet.
Die einstündige Zeremonie war gespickt mit Gänsehautmomenten. : Der Atem stockte vielen, als die laut vorgelesenen Vornamen der 21 Opfer im Hall des Kirchenschiffs erklangen. Zu jedem Namen wurde eine Kerze entzündet. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
In seiner Ansprache sagte OB Sören Link: „Niemand kann wieder gutmachen, was am 24. Juli 2010 passiert ist, kann Leid und Verletzungen ungeschehen machen. Aber wir können den Opfern ein würdiges Gedenken schaffen.“
In seiner Ansprache sagte OB Sören Link: „Niemand kann wieder gutmachen, was am 24. Juli 2010 passiert ist, kann Leid und Verletzungen ungeschehen machen. Aber wir können den Opfern ein würdiges Gedenken schaffen.“ © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Link weiter:
Link weiter: "Ich wünsche mir für alle Beteiligten, dass das lange Warten auf juristische Klarheit endlich seinen Abschluss findet". Hannelore Kraft übersetzte die Worte für eine spanische Famlilie und sprach vielen anderen Angehörigen Trost und Mut zu. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
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Die zentrale Botschaft an Hinterbliebene, Verletzte, Traumatisierte und alle Helfer lautete...
Die zentrale Botschaft an Hinterbliebene, Verletzte, Traumatisierte und alle Helfer lautete... © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
"Ihr seid nicht allein!" © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
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Am Vorabend des Jahrestages hatte der Gründer der Berliner Loveparade, Dr. Motte, bei der
Am Vorabend des Jahrestages hatte der Gründer der Berliner Loveparade, Dr. Motte, bei der "Nacht der 1000 Lichter" Kritik am Sicherheitskonzept von Lopavent geübt. Der Veranstalter hätte nach größeren Paraden wie in Dortmund sogar mit noch mehr Besuchern rechnen müssen. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Am Jahrestag selbst weilte Dr. Motte wieder in Berlin. Unter der Siegessäule hielten sie mit einigen Mitstreitern ein stilles Gedenken für die Opfer Duisburger Loveparade ab.
Am Jahrestag selbst weilte Dr. Motte wieder in Berlin. Unter der Siegessäule hielten sie mit einigen Mitstreitern ein stilles Gedenken für die Opfer Duisburger Loveparade ab. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Bereits am Vorabend hatten viele Menschen bei der Nacht der 1000 Lichter der Opfer gedacht.
Bereits am Vorabend hatten viele Menschen bei der Nacht der 1000 Lichter der Opfer gedacht. © dpa
Mehr als 1500 Betroffene und Bürger dieser Stadt hatten sich an der neu gestalteten Gedenkstätte im Karl-Lehr-Tunnel versammelt, um eines der weißen Grablichter zu entzünden.
Mehr als 1500 Betroffene und Bürger dieser Stadt hatten sich an der neu gestalteten Gedenkstätte im Karl-Lehr-Tunnel versammelt, um eines der weißen Grablichter zu entzünden. © Stephan Eickershoff/WAZ FotoPool
Später gesellten sich auch die Hinterbliebenen der 21 Todesopfer hinzu.
Später gesellten sich auch die Hinterbliebenen der 21 Todesopfer hinzu. © dpa
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Von einer „Verrohung der Sitten im Strafprozessverfahren“ sprach der Düsseldorfer Rechtsanwalt Jürgen Wessing, der den früheren Baudezernenten Jürgen Dressler vertritt. Weder er noch sein Mandant seien darüber informiert gewesen, dass es inzwischen einen Entwurf der Anklageschrift gäbe. „Es ist ein Unding, dass Beschuldigte den Verfahrensablauf aus der Presse erfahren, anstatt durch die Staatsanwaltschaft selbst“, erklärte Wessing gegenüber dieser Zeitung.

Chronik einer Katastrophe - die Loveparade-Funksprüche