Duisburg. 55 von 58 Heimen in Duisburg wurden bei der jährlichen Prüfung vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit „Sehr gut“ bewertet. Kritiker bemängeln, dass es zu leicht sei, gute Noten zu erhalten. Selbst diejenigen, die Bestnoten einfahren, kritisieren die Art der Überprüfung.

Duisburg, Stadt der sehr guten Pflege. Auf dem Papier. Bei der jährlichen Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) schneiden die örtlichen Einrichtungen hervorragend ab. 55 der 58 Vollzeitpflegeheime mit insgesamt 5100 Plätzen haben eine Eins vor dem Komma. Schon eine Zwei ist ein auffälliger Ausreißer nach unten.

Dass diese Musternoten tatsächlich etwas über die Versorgung aussagen, ist umstritten. Der jährlich durchgeführte und für jeden einsehbare „Pflege-TÜV“ des MDK steht in der Kritik. Für viele Kritiker liegt das Hauptproblem in der Entstehung der Endnote. Der Transparenz-Bericht umfasst dutzende Kriterien, aus denen eine Gesamtnote gebildet wird. Alle Punkte werden gleich gewichtet. Ein Sommerfest kann mangelnde medizinische Versorgung ausgleichen, ein gut lesbarer Speiseplan schlechtes Essen.

Dass das wenig sinnvoll ist, weiß der für Duisburg zuständige MDK-Nordrhein selbst und empfiehlt genauer hinzuschauen. Im Transparenz-Bericht sind auch die Einzelnoten aufgeschlüsselt. Wer es versteht sie richtig zu lesen, kann sich ein genaueres Bild von der Pflege-Qualität machen.

Geprüft wird, was in den Akten steht

Rund 2400 Heime und Pflegedienste kontrolliert der MDK Nordrhein im Auftrag der Krankenkassen jährlich. Im Gegensatz zu nicht-öffentlichen Prüfverfahren würden so Transparenz und Vergleichbarkeit geschaffen. „Bei aller berechtigter Kritik stellen wir fest, dass durch die Veröffentlichung der Noten ein Wettbewerb um bessere Qualität unter den Anbietern begonnen hat“, sagt Wolfgang Machnik, Geschäftsführer des MDK Nordrhein.

Die wichtigsten Punkte beim Pflege-TÜV

82 Kriterien umfasst der Transparenz-Bericht. Sechs davon sind laut MDK für Pflege und Versorgung besonders wichtig. Hier sollte ein Heim unbedingt gut abschneiden:

Kriterium 7: Werden erforderliche Dekubitusprophylaxen (Vorbeugung gegen Druckgeschwüre) durchgeführt?

Kriterium 15: Ist der Ernährungszustand angemessen?

Kriterium 18: Ist die F lüssigkeitsversorgung angemessen?

Kriterium 20: Erfolgt eine systematische Schmerzeinschätzung?

Kriterium 23: Werden bei Bewohnern mit Inkontinenz bzw. mit Blasenkatheter die erforderlichen Maßnahmen durchgeführt?

Kriterium 26: Werden erforderliche Prophylaxen gegen Stürze durchgeführt?

Der MDK-Bericht für jedes Pflegeheim ist auf www.pflegenoten.de einsehbar. Verschiedene Kassen bereiten die Informationen unterschiedlich auf.

Dass durch den öffentlichen Druck die Qualität steigt, bestreiten die Heime nicht. Auch nicht, dass die Berichte wichtige Hinweise geben. Doch selbst diejenigen, die Bestnoten einfahren, kritisieren die Art der Überprüfung. „Das Hauptaugenmerk liegt zu sehr auf der Dokumentation. Die soziale Betreuung kommt zu kurz“, sagt Hans-Bernd Wiemann, Leiter der St. Vincenz Klinik.

Geprüft wird hauptsächlich, was in den Akten steht. Zwar werden wenige, zufällig ausgewählte Bewohner befragt. Ihre Bewertung fließt aber nicht in die Endnote ein. „Das Wesentliche, die Qualität der Beziehung von Mensch zu Mensch, kann bedingt durch Noten leider nicht dargestellt werden“, sagt Ricardo Wormann, Pflegedienstleiter bei der Evangelischen Altenhilfe.

Pflege-TÜV wird 2014 überarbeitet 

Nach der massiven Kritik am Pflege-TÜV und den zu guten Noten soll die Prüfung ab 2014 verschärft werden. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen sich dann besser über die Qualität der Heime informieren können. Wichtige Kriterien sollen hervorgehoben werden, Spitzennoten nicht mehr so leicht zu bekommen sein. Ein Schritt, der MDK-Chef Machnik nicht weit genug geht. „Die Pflegenoten müssen dringend weiterentwickelt werden, damit sie Betroffenen eine zuverlässige Orientierung bieten können. Dazu gehört aus unserer Sicht, dass wichtige Kriterien zur Bewertung der Pflegequalität stärker gewichtet werden müssen.“

Statt verbesserter oder verschlimmbesserter Prüfungen wünschen sich die Heimleiter, dass endlich die Rahmenbedingungen für die Pflege stimmen. „Pflegeeinrichtungen werden mittlerweile mehr überprüft als Atomkraftwerke“, sagt Wormann. „Es kann nicht sein, dass der Pflege bundesweit so ein Misstrauen entgegengebracht wird.“

Pflegenoten im Internet

Die Heimleiter wollen keine zusätzlichen Prüfer in ihren Einrichtungen, sondern lieber mehr Pflegekräfte. „Solange die Politik die Pflege und Betreuung von Menschen nicht stärkt und eine Aufwertung des Pflegeberufs erfolgt, halte ich eine Verschärfung für nicht richtig, die Mitarbeiter kommen täglich psychisch und physisch an Ihre Belastungsgrenzen“, sagt Wiemann.

Die Ergebnisse der MDK-Prüfer sind für jeden kostenlos im Internet abrufbar. Unter www.pflegenoten.de gibt es einen Überblick sowie zusätzliche Informationen zum Pflege-TÜV. Die Krankenkassen AOK, BKK, vdek und die Knappschaft bieten jeweils einen eigenen Service an, um die Transparenz-Berichte zu durchsuchen.

Experten-Tipps: Die Suche nach dem richtigen Heim 

Sie suchen ein Pflegeheim? Für sich selbst, für Angehörige? Dann vertrauen Sie nichts und niemandem blind. „Machen Sie sich ein eigenes Bild von den Heimen“, rät Richarda Gisbertz. „Tests – egal wie gut sie sind – können nur Anhaltspunkt geben.“

Gisbertz weiß wovon sie spricht. Seit 12 Jahren überprüft sie im Auftrag des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) Pflegeheime und leitet seit eineinhalb Jahren den Fachbereich Qualitätssicherung beim MDK Nordrhein. Die Pflege-Prüferin kennt die kritischen Punkte in Heimen und weiß, wie auch medizinische Laien gute von schlechten Einrichtungen unterscheiden können.

„Sprechen Sie immer vor Ort mit der Heimleitung“, sagt die Expertin. Dabei gilt: Viel Zeit mitnehmen und fragen, fragen, fragen. Haben die Bewohner einen eigenen Schlüssel zum Haus? Welche Freizeitmöglichkeiten gibt es? Und, ganz wichtig: Was passiert wenn sich der Zustand plötzlich ändert, wenn mehr Pflege, eine intensivere Betreuung nötig wird?

Ein genauer Blick schützt vor Überraschungen

Doch allein die Einschätzung der Heimleitung reicht für eine fundierte Entscheidung nicht aus. „Versuchen Sie mit Bewohnern selbst ins Gespräch zu kommen – ohne Heimleitung und Pflegepersonal“, sagt Gisbertz. Auch Nachbarn oder andere Angehörige sind ein gute Informationsquelle. Sie können Erfahrungen aus erster Hand schildern.

Grundsätzlich gilt: Erfahrung macht klug. Nehmen Sie deshalb am Heimalltag selbst teil. „Setzen Sie sich mal in die Cafeteria und schauen sich um. Probieren Sie das Mittagessen für die Bewohner“, rät Gisbertz. Nehmen Sie beim Erkunden der Heime mögliche Problemstellen genau unter die Lupe, die Sanitäranlagen zum Beispiel. „Ist das Pflegebad eine bessere Abstellkammer, sollte man sich schnell woanders umschauen“, sagt Gisbertz.

Ein Blick in ein bewohntes Zimmer ist immer ratsam. Die Räume sollten nicht nur sauber sondern auch behinderten- und seniorengerecht sein, Waschbecken und Türgriffe leicht zu erreichen.

Keine Scheu vor Fragen an die Heimleitung

Bei der Entscheidung für ein Pflegeheim geht es um viel: um die Lebensqualität, vielleicht sogar um das Leben selbst. Haben Sie deshalb auch bei der Heimleitung keine Scheu vor Fragen und der Bitte, den Heimalltag einmal hautnah erleben zu dürfen. „Wenn eine Einrichtung das nicht zulässt, würde ich schon schwer schlucken“, sagt Gisbertz.

Und noch einen letzten Ratschlag hat die Pflege-Prüferin: „Die Verantwortung der Angehörigen hört nicht an der Heimtür auf.“ Wer sich in der Einrichtung engagiert, wer Ausflüge und Feste mitbetreut, der ist immer ganz nah dran an seinen Liebsten und merkt schnell wo der Schuh drückt.