Duisburg. Der von der EU eingeführte Handel mit „Verschmutzungsrechten“ soll Firmen eigentlich dazu bringen, weniger Kohlendioxid in die Luft zu pusten. Da viele jedoch viel mehr kostenlose Zertifikate zugeteilt bekommen haben, als sie benötigen, wird das Klimaschutz-Instrument zum einträglichen Zusatz-Geschäft.

Ein Klimaschutz-Instrument als Geldspritze für Duisburger Konzerne? Das zumindest legt der Bericht „Klimagoldesel 2013“ nahe, den der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und die Klimaschutzorganisation Sandbag vor einigen Wochen veröffentlichten.

Die Autoren des Berichts wollen herausgefunden haben, dass vielen Unternehmen durch den Emissionshandel keine zusätzlichen Ausgaben, sondern vielmehr satte Einnahmen entstehen. Unter den „Top Ten“ der Emissionshandel-Profiteure befinden sich auch drei Duisburger Unternehmen, eines davon führt mit weitem Vorsprung die Gewinner-Liste an: die Arcelor-Mittal Ruhrort GmbH.

Auch Thyssen und Krupp Mannesmann sind unter den Top Ten

19 Millionen überschüssige Zertifikate soll der Stahlkonzern zwischen 2008 und 2011 angehäuft haben. Damit besaß das Unternehmen mehr als doppelt so viele kostenlose Verschmutzungsrechte, wie es eigentlich benötigt hätte.

Auch die Thyssen Krupp Steel Europe AG (TKS) und die Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH (HKM) tauchen unter den Top Ten auf, jeweils mit einem Überschuss von neun und vier Millionen Zertifikaten.

Laut BUND sind diese Zahlen allerdings nicht darauf zurückzuführen, dass die Konzerne ihre Anlagen mit neuen emissionsärmeren Technologien ausgestattet hätten, sondern vielmehr darauf, dass die benötigten Berechtigungsmengen von vornherein zu hoch angesetzt worden seien. Hinzu kam die Wirtschaftskrise: „Die Unternehmen konnten immense Mengen an Zertifikaten einsparen, da sie nicht auf Vollproduktion liefen“, so Kerstin Ciesla vom BUND Duisburg, „und Zertifikate haben ja kein Verfallsdatum.“ Die Konzerne hätten die überschüssigen Berechtigungen verkaufen oder für später „bunkern“ können.

Mit Zahlen zu ihrem tatsächlichen CO2-Ausstoß halten sich die Duisburger Unternehmen gegenüber der Öffentlichkeit jedoch wohlweislich zurück. „Die Berichterstattung ist oft populistisch“, sagt HKM-Pressesprecher Daniel Bouwhuis entschuldigend. Deshalb müsse sich die Geschäftsführung erst darüber abstimmen, ob Zahlen veröffentlicht werden dürften. Das könne dauern.

Kostenlose Zertifikate trotz Millionen-Überschuss

Abgesehen von der STEAG GmbH, die ihre jährlichen Emissionen auf 1,43 bis 2,2 Millionen Tonnen CO2 beziffert, und den Stadtwerken, die sieben Millionen Tonnen CO2 zwischen 2008 und 2012 angeben, erlaubt bei anderen Unternehmen nur die vorläufige Zuteilung der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) einen vagen Rückschluss auf den CO2-Ausstoß.

Unangefochtener Spitzenreiter ist hier TKS. Die Zertifikatsmengen für die einzelnen Anlagen bewegen sich bis auf eine Ausnahme jeweils im mindestens fünfstelligen Bereich, das Hüttenwerk soll für 2013 bisher 16 464 880 kostenlose Zertifikate erhalten, ungeachtet der bisherigen Überschüsse. Auf Platz zwei folgt HKM mit über 7,2 Millionen, dahinter Arcelor-Mittal (über 1,7 Mio.).

Was die Zukunft des europäischen Emissionshandels angeht, schlägt man auf Unternehmerseite dennoch gänzlich andere Töne an als beim BUND: TKS kritisiert die Vergabepraxis in einer offiziellen Stellungnahme. Man befürchte einen absehbaren „Zukaufsbedarf im zweistelligen Prozentbereich“. Außerdem wehrt sich der Konzern vehement gegen die Pläne der EU-Kommission zur Verteuerung der Zertifikate. Neue Technologien, wie von der EU zur Senkung der Emissionen gefordert, würden erst weit nach 2020 industriell einsetzbar sein.

BUND wirft Unternehmen vor, nicht genug in den Klimaschutz zu investieren

Dem hält Kerstin Ciesla entgegen, dass die Unternehmen viel früher Geld in die Erforschung neuer, klimaschonender Technologien hätten investieren müssen. „Das Kyoto-Protokoll ist schließlich nicht vom Himmel gefallen!“

Außerdem glaubt sie aus Gesprächen mit Umweltbeauftragten einzelner Firmen zu wissen: „Die Technologien sind da, aber das Geld wird von der Geschäftsleitung nicht dafür freigegeben.“ Wenn man bei Konzernen nachfrage, wie sie sich beispielsweise die Stahlproduktion in der Zukunft vorstellten, erhalte man aber keine klaren Aussagen.

Der Pressesprecher des Chemiekonzerns Sachtleben Axel Markens betont indes, dass der Konzern zur Senkung des Energiebedarfs bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen habe, wie zum Beispiel die Sensibilisierung der Mitarbeiter „für mögliche Energieverschwendung“. Über eine solche Aussage kann Kerstin Ciesla nur lachen.

IHK kritisiert europäischen „Alleingang“

Der deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat im Januar gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) eine Erklärung herausgegeben. Sie befasst sich mit den Plänen der EU, Zertifikate, die eigentlich jetzt versteigert werden sollen, bis zum Ende der Handelsperiode zurückzuhalten, damit der Preis wieder steigt, sog. „Backloading“. Die Autoren kritisieren diesen „Alleingang der EU“. Der „klima- und fiskalpolitisch motivierte Eingriff in den Emissionshandel“ sei ein „Systembruch“, der die Planungs- und Investitionssicherheit der Unternehmen beeinträchtige.

„Jammern auf hohem Niveau“, nennt Kerstin Ciesla das. Die Autoren des „Klimagoldesel 2013“ prognostizieren nämlich, dass viele Unternehmen auch bis 2020 kaum Zertifikate zukaufen müssten, für Arcelor-Mittal erwarten sie einen Überschuss von 52 Prozent.

BUND unterstützt Backloading-Pläne der EU

Zwar haben sie für TKS und HKM ein voraussichtliches Zertifikats-Defizit von 13 und 18 Prozent berechnet – lasse man jedoch das Budget an außereuropäischen Zertifikaten mit einfließen, reduziere sich dieses Defizit wiederum auf drei und zwei Prozent.

Derartige Zahlen, so sie denn der Wirklichkeit entsprechen, scheinen als „Druckmittel“ zur Emissionssenkung wenig geeignet. So lautet die deutliche Handlungsanweisung von BUND und Sandbag denn auch, den Backloading-Vorschlag der EU-Kommission zu unterstützen und außerdem die Anzahl an verfügbaren Zertifikaten weiter zu verknappen. Angesichts der Widerstände der Unternehmen, erinnert Kerstin Ciesla an die Einführung der ersten Luftschutz-Grenzwerte: „Da hat die Industrie auch geschrien: ‘Das ist der Untergang, wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig!’ Aber die Firmen haben sich eben umgestellt, verschwunden ist deswegen keine.“ Genau das müsse heute eben auch passieren. (gls)