Duisburg. Duisburger Arbeitnehmer sind häufiger krank als die Menschen in anderen Städten. Die Fehlzeiten liegen mit 14,4 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Fast jeder fünfte Krankheitstag ist auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Nur Muskel-Skelett-Erkrankungen sind häufigere Ursache.

14,4 Prozent höher als der Bundesdurchschnitt liegen die Fehlzeiten der Duisburger laut dem jüngsten Gesundheitsreport der Barmer GEK. In ihm werden die Daten von 3,5 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland erfasst, 842.000 davon in NRW. Bundesweit seien die Fehlzeiten im Vergleich zum Vorjahr um 4,2 Prozent angestiegen, in NRW um 4,4 Prozent. Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) errechnet für Duisburg einen Krankenstand von 3,8 Prozent des Erwerbsjahres. Der NRW-Durchschnitt: 3,5 Prozent.

19,2 Prozent aller Fehlzeiten in Duisburg sind auf psychische Erkrankungen zurückzuführen, heißt es weiter bei der Barmer. Nur Muskel-Skelett-Erkrankungen (22 Prozent) sind häufigere Ursache. Die Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen liegt in Duisburg um 24 Prozent über der durchschnittlichen Zunahme in NRW.

99.802 Tage haben sich die 6190 Beschäftigten der Stadtverwaltung im Jahr 2011 krank gemeldet. Das sind 7,9 Prozent der Gesamtarbeitszeit oder 20,7 Tage pro Vollzeitstelle. Die Quote steigt damit seit Jahren kontinuierlich an. 2010 lag sie bei 7,3 %, im Jahr 2008 noch bei 6,4 %. Frauen sind mit Fehlzeiten von derzeit neun Prozent deutlich häufiger krank als ihre männlichen Kollegen (6,9 %). Die hohen Ausfallzeiten waren bereits bei der letzten Personalversammlung im Dezember Thema: Immer mehr Arbeit werde auf immer weniger Schultern verteilt, bemängelte der Personalratsvorsitzende Rainer Hagenacker und sprach von einer „chronischen Überbelastung“ der städtischen Mitarbeiter.

5 Prozent betrug 2011 der Krankenstand bei der Sparkasse in Duisburg, allerdings inklusive der Fehltage ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Damit liege man in etwa im Durchschnitt aller Sparkassen am Niederrhein. „Wir sind ein Dienstleister und haben täglich mit Menschen zu tun. Deswegen gibt es bei uns auch öfter Infektionskrankheiten“, so ein Sprecher der Sparkasse über den im Duisburger Vergleich leicht überdurchschnittlichen Wert.

Null Überraschung lösen diese Zahlen bei den Gewerkschaften aus. „Wir haben immer mehr Arbeitsverdichtung und immer weniger Regenerationszeiten. Das grenzt in manchen Bereichen schon an Selbstausbeutung, allein schon weil wir immer und überall erreichbar sein sollen“, sagt der Duisburger Verdi-Geschäftsführer Thomas Keuer, „insofern überraschen mich die Zahlen nicht“.

Ähnlich sieht es Angelika Wagner vom Duisburger DGB: „Speziell in Duisburg geht vom Arbeitsmarkt ein gewisser Druck aus, ob er jetzt bewusst oder unbewusst wahrgenommen wird. Und wir haben hier nach wie vor viele Berufe, die auch körperlich anstrengend sind. Was die Vorsorge und die Gestaltung von Arbeitsabläufen angeht, müssen wir da noch viel tun.“

Wie ein junger Duisburger seine Depression erlebte und sie überwand 

Stefan* ist gerade mal 26, war aber im letzten Jahr schon einmal komplett am Ende. Gutes Abi, Master in Regelstudienzeit, ein gelungener Arbeitseinstieg und dann: nichts. Depression, keine Lust auf gar nichts. Über die Tücken dieser Krankheit und seinen Ausweg daraus sprach der Duisburger mit NRZ-Volontär Bastian Angenendt.

Wie geht es Ihnen heute?

Es ist fast ein bischen zu heiß. Aber Sommer und Sonne finde ich klasse.

Hätte Sie das gute Wetter im letzten August auch begeistert?

Nein. Ich glaube, da hat mich gar nichts begeistert. Außer vielleicht mein Bett.

Sie hatten einen Burnout.

Ich sage lieber Depression, weil ich mittlerweile das Gefühl habe, das manche Leute „Burnout“ sogar schick finden. Auch, wenn es recht gut beschreibt, was mit mir los war. An den schlimmsten Tagen war meine Höchstleistung, einmal aufzustehen, um eine Banane zu essen. Den Rest des Tages über lag ich im Bett.

Wie hat das angefangen?

Im Nachhinein frage ich mich eher, wann das war. Es gab auch im Studium schon Tage, an denen ich platt war. Aber das ging immer relativ schnell vorbei. Das dachte ich letztes Jahr auch. Im August hatte ich Urlaub. Ein paar Wochen musste ich mich vorher schon zur Arbeit schleppen. Aber der Job war mir wichtig. Ich dachte, das kriegst du im Urlaub wieder hin. Aber als er da war, wurde es erst richtig krass.

Inwiefern?

Ich hatte keinen Hunger, war einfach völlig demotiviert. Es war so, als ob einer die Gefühle abgestellt hätte. Ich konnte mich nicht auf irgendwas freuen, mir war’s nur egal. Ich bin nicht ans Telefon gegangen. Als der Urlaub langsam zu Ende ging, bekam ich Ängste. Das kann sich wirklich keiner vorstellen. Man geht in den Supermarkt und bekommt schwitzige Hände, weil man sich unsicher fühlt. An der Stelle denkst du dann auch, du bist bekloppt.

Wie haben Sie Hilfe gefunden?

Gar nicht. Eine Freundin hat mich zum Arzt geschleppt. Ich dachte bis zuletzt, das wird schon irgendwie.

Wie ging es weiter?

Es war gut zu hören, dass da jemand ist, der wusste, was mit mir los ist. Da musste ich nicht mehr so viel grübeln. Am Anfang haben mir Tabletten geholfen, Gespräche, Literatur über die Krankheit. Die Familie und Freunde waren ganz wichtig. Ein paar wussten zwar erst nicht, was sie davon halten sollen, aber sie haben mir nie das Gefühl gegeben, dass ich unnormal wäre. Da ist mir dann auch wieder aufgefallen, dass ich ein Privatleben habe. Drei Monate habe ich nicht gearbeitet.

Wie läuft es jetzt?

Ich kann wieder ein gutes Pensum gehen, aber ich versuche besser darauf zu achten, wann ich Pause machen oder Nein sagen muss. Das ist schwer, aber man kann es lernen.

(*Name geändert)

„Betroffene sind manchmal uneinsichtig“ - Drei Fragen an: Dr. Eva-Renate Fries 

Dr. Eva-Renate Fries arbeitet für den Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Duisburg. Im Gespräch mit der NRZ erzählt die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie über ihre Arbeit und mögliche Gründe für den Anstieg psychischer Erkrankungen in Duisburg.

Viele Menschen wissen nicht, dass die Stadt einen sozialpsychiatrischen Dienst unterhält. Was genau leistet er?

Fries: Psychisch kranke Menschen oder Suchtkranke können sich an uns wenden, aber auch deren Angehörige. Wir führen Beratungsgespräche, kümmern uns um Nachsorge nach stationären Aufenthalten, machen auch Hausbesuche. Unsere Angebote ist kostenfrei. Therapien bieten wir nicht an. Aber wir sind gut vernetzt in der Stadt und vermitteln weitere Hilfsangebote.

Was könnten die Ursachen für die gestiegene Anzahl psychischer Erkrankungen sein?

Psychische Erkrankungen werden mittlerweile öffentlich wahrgenommen, mehr Menschen gehen zum Arzt. Aber auch zu hohe soziale Belastungen sind ein Grund. Hier in Duisburg ist Arbeitslosigkeit immer wieder ein Thema, die fehlende Tagesstruktur, die damit einhergeht.

Suchen bei Ihnen mehr Menschen Hilfe in letzter Zeit?

Es sind mehr geworden. Auch Angehörige, die eine Krankheit bei einem Familienmitglied vermuten. Leider gibt es mehr Erkrankte als die, die Hilfe suchen. Denn ein Symptom mancher psychischer Erkrankungen ist, dass man uneinsichtig ist und die Krankheit nicht wahrhaben will.