Duisburg. .

Kann es würdigere Anlässe geben als einen 100. Geburtstag, um einen Herzenswunsch auszusprechen? Das gilt auch für den Verein für Literatur und Kunst. Dessen Vorstandsmitglied Jan-Pieter Barbian nutzte die Gunst der runden Jubiläumsstunde, um eine neue Debattenkultur in Duisburg einzufordern. „Ich vermisse eine öffentliche Diskussion darüber, wohin sich unsere Stadt in den nächsten Jahren entwickeln will. Dafür braucht es dringender denn je eine engagierte Bürgerschaft, die mithilft, um für unsere zerklüftete Stadtgesellschaft eine einheitliche und verbindende Identität zu finden.“ Der Literaturverein wolle den Menschen ein Forum dafür bieten, so Barbian, schränkte aber ein: „Wir können nur eine Option sein. Viele andere sind nötig.“

Ein neuer Vorsitzender

Mit diesem als Wunsch formulierten Appell erinnerte Barbian, im Berufsleben der Leiter der Stadtbibliothek, ein Stück weit an die Anfangszeiten des im Januar 1912 gegründeten Vereins für Literatur und Kunst. Schon kurz nach dem Start gehörten ihm rund 700 Mitglieder an. Sie tauschten sich bei den Treffen natürlich über Literatur aus, aber auch über andere elementare Dinge des Zusammenlebens im Alltags. Es war ein Ort für manch aufrüttelndes Wort. Doch die Zahl der Mitglieder sank kontinuierlich – in den 50er und 60er Jahren auf rund 400. Heute sind es 150.

„Wir würden uns freuen, wenn wir wieder mehr Verbündete finden.“ Der Mann, der das sagt, ist Thomas Diederichs. Der Vorstand der Volksbank Rhein-Ruhr ist seit Ende März der neue 1. Vorsitzende des Vereins für Kunst und Literatur. Er tritt in die Fußstapfen seines Vorgängers Jörg Bickenbach und ist erst der elfte Inhaber dieses Spitzenamtes in der Vereinshistorie. Bickenbach stand den Literaturfreunden und -förderern von 2003 bis 2012 vor. „Ich bin froh, den Vorsitz beim zweitältesten Kulturverein dieser Stadt ausgerechnet in dessen Jubiläumsjahr übernehmen zu dürfen“, sagte Diederichs. Er selbst bekundet ein großes Interesse an Literatur und Lesungen, gibt aber auch offen zu, dass er sich erst noch intensiver mit der langen Geschichte des Vereins beschäftigen müsse.

Mehr als 1000 Autoren in 100 Jahren

Dazu bietet ihm vor allem das neue Buch „Literatur ist Herzenssache“ eine wundervolle Gelegenheit. Das im Essener Klartext-Verlag mit einer Startauflage von 800 Exemplaren erschienene Werk wurde pünktlich zum 100. Geburtstag veröffentlicht. Es ist aber nicht eine dieser faden Vereins-Chroniken, die mit dem Abdruck alter Versammlungsprotokolle langweilen. Im Gegenteil: Auf diesen 120 Seiten wird Vereinsgeschichte lebendig. Dank starker, kluger Texte. Aber auch dank einer formidablen Foto-Auswahl. Die Bilder zeigen eine Auswahl jener Autoren, die im Laufe des vergangenen Jahrhunderts zu Lesungen in Duisburg zu Gast waren. Darunter Größen wie Thomas Mann, der bereits zwei Jahre vor der Verleihung des Literatur-Nobelpreises (1929) zweimal hier auftrat. Auch Bertolt Brecht oder Stefan Zweig lasen in Duisburg. An Veranstaltungen mit Publizisten wie Werner Höfer, Marion Gräfin Dönhoff oder Peter Scholl-Latour wird ebenso in Wort und Bild erinnert wie an die noch nicht lang zurückliegenden Lesungen von Georg Stefan Troller oder Henryk M. Broder. „In diesen 100 Jahren waren weit über 1000 Autoren und Sprecher zu Gast“, sagt Jan-Pieter Barbian.

Und welcher von ihnen war nun am häufigsten da? „Eindeutig Christian Brückner. Seit seiner Duisburg-Premiere in 2002 war er schon über ein Dutzend Mal bei uns“, so Barbian. Vielleicht ziert Brückner auch deshalb das Titelbild des aufwändig produzierten Jubiläums-Buches.