Gäbe es nicht bereits einen begnadeten Dokumentarfilm mit dem Titel „Die Spielwütigen“, müsste man den Namen glatt erfinden für den Jugendclub am Theater Duisburg, der 2005 erstmals im Foyer III mit dem „Glöckner von Notre Dame“ die Bühne betrat.
Allein am vergangenen Wochenende bestritten die jungen Darsteller an zwei Tagen drei Vorstellungen mit drei unterschiedlichen Produktionen. Seit Beginn des neuen Jahres präsentierten sie bereits zwei Premieren („Rose und Regen, Schwert und Wunde“ am 3. Januar, „Ein Spiel vom Jedermann“ am 5. Januar), das Schauspielangebot im Januar und Februar wird überwiegend vom Jugendclub geliefert. Der „Spieltrieb“ hat sich längst zu einer festen Größe im Programm gemausert. Aus dem ehemaligen Projekt, dem Spiel für Jedermann, der mitmachen will, hat sich inzwischen sogar ein festes Ensemble entwickelt.
Kaderschmiede
„Das ist so. Dass unser aktuelles Programmheft für diese Saison eine Szene aus einer Spieltrieb-Produktion trägt, ist schon ein deutliches Statement“, bestätigt Michael Steindl, der 2004 als Künstlerischer Leiter Schauspiel ans Duisburger Haus kam und im Jahr darauf den Jugendclub gründete. „Das Traurige daran ist, dass ich die jungen Leute nach wie vor nicht bezahlen kann.“ Sie kommen dennoch, ackern stundenlang auf der Bühne neben der Schule, dem Studium, der Berufsausbildung, übernehmen sogar inzwischen in Eigenregie Bühnenausstattung und Kostümherstellung. Vielleicht weil ihnen das Theaterspiel etwas gibt, was unbezahlbar ist, vielleicht weil es für manchen der erste Schritt auf dem Weg ins Bühnenfach ist.
Ist der „Spieltrieb“ zur Kaderschmiede für den Schauspielnachwuchs geworden? „Ich hoffe, dass es ein paar gibt, die den Sprung in die Schauspielschule schaffen. So wie Luisa Charlotte Schulz, die jetzt an der Ernst-Busch-Schule in Berlin lernt“, sagt Steindl. Mehrere andere aus der Truppe hätten bereits Vorsprechtermine an anderen Ausbildungsstätten. Aber genau das war eigentlich nicht das Ziel, das Steindl ehedem angesteuert hat, als er die Idee aus Essen mitbrachte. „Na, ja“, gibt er lächelnd zu, „die Klammer war damals, wir machen ein Projekt und jeder, der will, kann mitmachen. Aber mir geht’s halt ums Theatermachen. Ich bin kein Pädagoge.“
Deshalb hat er die offene Struktur vor etwa vier Jahren durchkreuzt und Mitglieder der Gruppe gezielt angesprochen. Den Anstoß dazu gab „Hautnah“ von Patrick Marber, eines seiner Lieblingsstücke. „Das ist eines der tollsten Theaterstücke der letzten 15 Jahre, wahnsinnig gut konstruiert mit super geschliffenen Dialogen für vier Personen.“ Aber auch mit für Jugendliche schwierigen Szenen, geht es doch um die ersten und letzten Momente in Beziehungen, um Zärtlichkeit und Nähe, um professionelle Anmache und im Internet verabredeten Sex. Keine leichte Aufgabe für Jugendliche im Alter von 17 bis 23 Jahren, und gerade deshalb ein idealer Gradmesser für darstellerisches Können.
"Güldene Zeit" des Erfolges
„Ich hab’ Passagen aus dem Stück immer wieder genutzt, um zu testen, was die einzelnen Leute können. Auch als wir für den trojanischen Krieg eine Helena suchten“, so Steindl. Gefunden hat er in der Spieltrieb-Truppe eine hervorragende Alice. Hanna Kertesz übernahm den Part der Stripperin aus „Hautnah“, und mit ihr setzten Jennifer Riahi, Stefan Kolkenbrock und Behzad Sharifi in diesem Beziehungsdrama die Akzente. Und das derart gekonnt, dass Steindl im April 2011 von dem Ehepaar Lichterfeld eine Einladung erhielt, mit dem „Hautnah“-Ensemble eine Woche als „artist in residence“ in Süd-Frankreich zu verbringen und eine Vorstellung in ihrem hauseigenen Freilufttheater zu geben, das die Lichterfelds im Sommer stets Künstlern zur Verfügung stellen. Die Fahrt im August, September letzten Jahres wurde dann noch erweitert um ein Gastspiel an einer deutschen Schule im spanischen San Sebastian. Eine tolle Erfahrung für alle und ein Gewinn für die Akteure, findet Steindl. „Sie haben gelernt, sich auf andere Begebenheiten einzustellen. Das hatte so etwas von ,fahrendes Volk’. Dadurch lernst du dich selbst anders kennen.“
Gewonnen haben die vier „festen“ Darsteller, zu denen sich als fünfter im Bunde Kevin Barz gesellt, in all den Jahren aber auch an Profil, wie Steindl bestätigt: „Die können richtig was. Das sind alles keine ausgebildeten Schauspieler, aber sie haben schon eine beachtliche Qualität erreicht. Deshalb versuchen wir das Aberwitzige, verlassen das Foyer III als Spielstätte und gehen auf die große Bühne.“ Zusammen mit den drei Profis Michael Altmann, Peter Götz und Dieter Malzacher proben zwölf junge Laiendarsteller ab dem 21. Januar im Theater Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ (Premiere: 5. April).
„Das könnte eine große Eruption für die Spieltrieb-Mitglieder sein“, freut sich Steindl und ahnt, dass diese „güldene Zeit“ des Erfolges bald vorbei sein könnte. „Ganz viele sind ja eben auf dem Weg in die Schauspielschulen.“
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