Duisburg. .
Es klang vor einigen Monaten beinahe wie ein Vorwurf: Obwohl in Berlin das Gesetz über Bildung und Teilhabe für Kinder aus Familien, die Hartz IV oder Sozialhilfe beziehen, gerade in Kraft war, wunderte man sich über die relativ geringe Zahl an Anträgen.
Doch das war kein Desinteresse von Eltern: Das Gesetz war in Kraft, aber wer es ausführen sollte, war anfangs unklar. Andrea Bestgen, Leiterin des Amtes für Soziales und Wohnen: „Erst hieß es, die Agentur für Arbeit sollte die Anträge bearbeiten, dann war es das Jobcenter, schließlich landete es bei den Kommunen.“
Erst im Juni wurde Bearbeitungsstelle geschaffen
Bei der Stadt wurde erst im Juni eine entsprechende Bearbeitungsstelle geschaffen. Für viele, die tatsächlich bereits Anträge für die Finanzierung von Nachhilfeunterricht gestellt hatten, kam das fast zu spät. So im Fall von Michael, der die 6. Klasse eines Duisburger Gymnasiums besuchte. Sein Problem: Latein. Drei Klassenarbeiten waren im zweiten Halbjahr angesetzt, zwei fielen mangelhaft aus.
Damit Michael Müller (Name geändert) Hilfe bekommen konnte, brauchte er eine Bestätigung der Schule, dass es dort keine Möglichkeiten gebe, ihn zu fördern und deshalb Nachhilfe-Unterricht zwingend notwendig sei. Bei seiner Mutter schrillten die Alarmglocken, die in Aussicht gestellt Hilfe durch das neue Gesetz käme goldrichtig, wenn da nicht die Bürokratie wäre. Schließlich finanzierte Michaels Großmutter die Nachhilfe vor, während der Antrag bei der Stadt einging. Doch ob man das Geld wiederbekommen würde, stand zunächst in den Sternen: Der Nachhilfe-Lehrer muss den Segen von der Stadt haben und dort registriert sein. Die Schule empfahl einen pensionierten Latein-Lehrer. Kurz vor Ende des Schuljahres kam dann die Bewilligung für 35 Stunden (maximal 20 € pro Stunde). Michaels Nachhilfe hatte Erfolg.
Anfangs gab es keine Rechtsgrundlage
Andrea Bestgen: „Für uns bestand das Problem darin, dass wir anfangs keine Rechtsgrundlage hatten, wir aber im Nachhinein kontrolliert werden, ob wir alles richtig gemacht haben. Auf der anderen Seite müssen wird die Interessen und Bedarfe der Leistungsempfänger sehen. Wir müssen sehen, dass wir das ,Verwaltungsmonster BuT’ (Bildung- und Teilhabegesetz, die Red.) praktikabel umgesetzt bekommen.“
Die nun von der Stadt getroffenen Regelungen gelten auch für die Klienten des Jobcenters. Bestgen: „Dort wird nach unseren Arbeitsanweisungen verfahren.“ Im Sozialamt werden die vorliegenden rund 2000 Anträge derzeit von acht Mitarbeitern bearbeitet; vier mehr als eigentlich vorgesehen, um den Antragsstau zu beseitigen. „Wir müssen in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten.“ In der Anfangsphase wurden mangels Formulare auch formlose Anträge entgegengenommen, die nun nachgearbeitet werden müssen. Werden die Anträge bewilligt, wird gezahlt. Erstattet wird aber unter Umständen nicht an den Antragsteller: So werden Vereinsbeiträge an die Vereine überwiesen, die wiederum müssen den Mitgliedern das Geld zurücküberweisen, falls der Beitrag vorher schon gezahlt wurde.
Lehrer sollen entlastet werden
Kurz vor den Ferien ging es auch um die Kosten von ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten, die nun ebenfalls auf Antrag übernommen werden können. In den nächsten Wochen erwartet das Sozialamt zudem verstärkt Anträge für den Schulbedarf. Während Hartz-IV-Bezieher das Geld automatisch zum neuen Schuljahr bekommen, müssen Bezieher von Wohngeld und Kindergeldzuschlag hierfür eigens Anträge stellen. „Nach den Ferien erwarten wir viele Anträge für das Mittagessen für Schüler, weil das Landesprogramm ,Kein Kind ohne Mahlzeit’ ausläuft“, so Andrea Bestgen. Man versuche, die Lehrer so weit wie möglich zu entlasten: „Sie sollen nicht Anträge ausfüllen, sondern die Eltern ansprechen und auf die Möglichkeiten aufmerksam machen. Aktiv werden muss der Leistungsberechtigte.“
Nach praktikablen Lösungen wird noch für die Voraussetzungen für Nachhilfe-Unterricht gesucht: In den ersten beiden Klassen der Grundschule und den Klassen fünf und sechs der weiterführenden Schule kann die Versetzung nicht gefährdet, wohl aber Nachhilfe nötig sein. Andrea Bestgen: „Es gibt mehrere Voraussetzungen für die Gewährung von Nachhilfe. Manchmal sind sind sie etwas weiter weg von der Realität. Wir entscheiden nach Einzelfall. Es ist ein wichtiges Thema und wir geben uns alle Mühe.“