Duisburg. .

Bärbel Bas und Hans Pflug, die Duisburger Vertretung im Bundestag, im Gespräch über Katastrophen und Kriege, Atomausstieg und Außenwirkung, Wahlen und Windräder.

Hinter Ihnen liegen erst eine Sitzungswoche im Bundestag und dann eine terminreiche Woche im Wahlkreis. Was ist schwieriger, in Berlin abzustimmen oder sich in Duisburg dafür zu rechtfertigen?

Bärbel Bas: Die Glaubwürdigkeit ist für mich das Wichtigste. In Berlin wie Duisburg muss ich zu meinen Grundsätzen stehen können, aber Kompromisse gehören dazu. Beispiel: Hartz-IV-Reform. Ich habe zugestimmt, weil die Menschen viel zu lange auf ein Ergebnis warten mussten und weil die SPD im Kampf gegen Kinderarmut und für faire Löhne einiges erreicht hat. Trotzdem hatte ich Bedenken, die ich zumindest in einer Persönlichen Erklärung im Bundestagsprotokoll ausgedrückt und auf meine Homepage gestellt habe.

Johannes Pflug: In der überwiegenden Zahl aller Fälle stimme ich in Berlin so ab, wie man es nach 31 Abgeordneten-Jahren von mir in meinem Wahlkreis erwartet. Ansonsten stelle ich mich frühzeitig der Diskussion. Das ist alles in der Opposition nun einfacher. Bei der Agenda 2010 hatte ich heftige Diskussionen mit den heimischen Gewerkschaftern. Wichtig ist, bei seiner Linie zu bleiben.

Sie beide haben sofort nach der Reaktor-Katastrophe in Fukushima erklärt, Atomkraft sei nicht beherrschbar, alte Meiler in Deutschland müssten endgültig vom Netz. Darf man dann in Duisburg Alternativen wie neue Kohlekraftwerke oder Windräder überhaupt kritisch sehen?

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Bas: Natürlich darf man auch sie kritisch sehen, mittelfristig brauchen wir aber beide. Für die SPD ist völlig klar: Das Zeitalter der Atomenergie muss beendet werden, die Reaktorkatastrophe in Japan hat das endgültig klar gemacht.

Pflug: Ich war immer und bin nun erst recht für den Ausbau der regenerativen Energien, insbesondere auch der Windkraft. Dafür gibt es genügend geeignete Flächen, auch in Duisburg. Ich bin ebenso für den Einsatz der heimischen Kohle in umweltfreundlichen Kraftwerken.

Die Debatte über Windrad-Standorte in der Stadt erscheint dabei aber geradezu provinziell, auch in der SPD. Das Thema hat das rot-rot-grüne Ratsbündnis sogar aus der Kooperation ausgeklammert. Warum fällt hier eine klare Position so schwer?

Bas: Wir wollen den Umstieg auf Erneuerbare Energien und wir wollen ihn jetzt beschleunigen. Auf dem Weg müssen wir die Leute aber mitnehmen und einbinden. Wir können ihnen nicht einfach ein Kraftwerk oder ein Windrad direkt an den Vorgarten stellen.

Pflug: Es muss auch Windrad-Standorte in Duisburg geben. Sie müssen ja nicht im Landschaftsschutzgebiet liegen. Sie sollten allerdings von den kommunalen Stadtwerken im Rahmen eines Gesamtenergiekonzeptes betrieben werden. Für Standorte-Aktivismus in Heimwerkermanier ist das Thema zu ernst.

Würden Sie Ihr Festhalten an der Kohle denn fortschrittlich nennen?

Bas: Die Zukunft gehört den Erneuerbaren. In Duisburg haben wir aber auch Verantwortung für unsere Industriebetriebe und die Arbeitsplätze. Ohne unsere Industrie wäre Deutschland sicher nicht so gut durch die Wirtschaftskrise gekommen. Außerdem müssen Strom- und Heizkosten für alle Menschen bezahlbar bleiben.

Pflug: Wir Sozialdemokraten im Ruhrgebiet waren immer die politische Vertretung der Industriearbeitnehmer, das war das Land von Kohle und Stahl. Die Arbeitsplätze in beiden Bereichen sind heute hochmodern und umweltfreundlich. Diese Entwicklung einer immer stärker auf den tertiären Sektor ausgerichteten Gesellschaft zu vermitteln, ist sehr schwierig.

Welches Fazit für das politische Klima ziehen Sie aus den Ergebnissen der drei Landtagswahlen in den beiden vergangenen Wochen?

Bas: Schwarz-Gelb ist am Ende und die FDP wird für ihre Klientelpolitik abgestraft. Wir sollten als SPD aber auch ehrlich sein: Wir haben weniger davon profitiert, als wir uns erhofft hatten. Uns ist es noch nicht gelungen, das Vertrauen zurück zu gewinnen. Zum Glück spielten die Rechten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz keine Rolle, das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt macht schon Sorgen.

Pflug: Die SPD muss ihr Profil als ökologisch orientierte Arbeitnehmerpartei gegenüber den ökologisch-bürgerlichen Grünen deutlicher machen. Die FDP wird sich in Richtung linksliberal neu orientieren müssen, sonst geht sie unter. Sie wird sich für Ampelkoalitionen und als Koalitionspartner der SPD öffnen. Es gibt einen Bedarf an bürgerlich-ökologischer und konservativer Politik, Frau Merkels Machtpolitik der Beliebigkeit und Konzeptlosigkeit wird dem nicht gerecht.

Sie sprechen heute tatsächlich von einer Kooperation mit der FDP?

Pflug: Das setzt einen Umbruch voraus, eine Rückbesinnung der FDP auf ihre Freiburger Thesen. Ich denke, dass es so kommen wird. Westerwelle, Brüderle und Homburger werden gehen.

Auf Bundesebene liegt Rot-Grün in Umfragen klar vor Schwarz-Gelb, die CDU aber weiter deutlich vor der SPD. Schwimmt ihre Partei nur im Fahrwasser der Grünen?

Bas: Wir freuen uns erst einmal, dass die Menschen Rot-Grün mehr zutrauen als Schwarz-Gelb. Zuletzt waren vor allem die Themen der Grünen auf der Tagesordnung: Stuttgart 21 und vor allem die Atomkraft. Für uns muss gelten: Die Grünen machen Politik für einen Ausschnitt der Gesellschaft, wir machen als Volkspartei Politik für die ganze Gesellschaft.

Pflug: Sie sagen es ja. Rot-Grün, nicht Grün-Rot. Aber die SPD muss ihr Profil schärfen, man muss klar zwischen SPD und Grünen trennen können.

Herr Pflug, was sagen Sie als Außenpolitiker zum deutschen Kurs beim Libyen-Einsatz?

Pflug: Die Koalition hat es versäumt, sich um eine Einigung der Europäer und der NATO-Partner zu bemühen. Sie hat es versäumt, den UN-Sicherheitsrat, die demokratischen Kräfte in der Arabischen Liga sowie die Afrikanische Union in einer wichtigen Frage zu unterstützen. Nun läuft sie den Partnern hinterher und bietet Substitutionshilfe an. Merkel und Westerwelle hatten deshalb auch nicht den Mut mit Nein zu stimmen. Sie haben den ständigen Sitz im Sicherheitsrat möglicherweise verspielt. Gaddafi wird mit Unterstützung der NATO stürzen. Deutschland war nicht beteiligt. Aus allen diesen Gründen hätte ich für die deutsche Beteiligung gestimmt.

Ihr Fraktionschef Steinmeier hat die Enthaltung im Sicherheitsrat verteidigt…

Pflug: Die SPD war wie auch die anderen Fraktionen in dieser Frage gespalten. Ich war, wenn man so will, immer so etwas wie ein ethischer Interventionist. Ich wäre damals für eine militärische Intervention beim Massenmord in Ruanda und in Bosnien-Herzegowina gewesen. Ich bin kein Pazifist, respektiere aber eine pazifistische Überzeugung. Steinmeier hatte Bedenken hinsichtlich einer längerfristigen Verstrickung Deutschlands in Libyen und eine mögliche Überforderung der Bundeswehr. Ich sehe das anders.

Sie hätten deutsche Soldaten in den Libyen-Einsatz geschickt?

Pflug: Bodentruppen sind ohnehin ausgeschlossen, der Einsatz hätte sich auf die Marine und die Awacs-Flieger beschränkt, die jetzt die Kräfte in Afghanistan verstärken.

Damit steigt das Afghanistan-Kontingent noch einmal um 350 Soldaten. Auch Sie haben dem zugestimmt, davor aber auch noch vom Truppen-Abzug gesprochen.

Pflug: Das Mandat für den AWACS-Einsatz erlaubt die Entsendung von 300 Soldaten im Rahmen der bisherigen Mandatsobergrenze. Es ändert sich also vor allem die Zusammensetzung des deutschen Kontingentes, der Truppenabzug kann wie geplant 2011/12 beginnen.

Frau Bas, Ihr Spezialgebiet ist das Gesundheitswesen. Dort fürchten Sie um das Solidaritätsprinzip. Warum?

Bas: Das Solidaritätsprinzip lebt davon, dass dieses System wie folgt finanziert wird: Gesunde für Kranke, Junge für Alte und Singles für Familien. Jeder nach seiner Leistungsfähigkeit, auch Arbeitgeber sind paritätisch beteiligt. Jetzt ist der Arbeitgeberbeitrag jedoch eingefroren und künftige Kosten müssen alleine von den Versicherten über Zusatzbeiträge getragen werden. Das ist nicht solidarisch. Zudem werden die Zusatzbeiträge einkommensunabhängig erhoben, Bezieher niedriger Einkommen werden stärker belastet als hoher Einkommen. Das nenne ich auch noch ungerecht.

Auf Eines ist nach jeder Debatte Verlass: Am Ende steigen für die Versicherten immer die Beiträge. Warum kommen die Krankenkassen nicht mit dem Geld aus?

Bas: Die SPD will eine solidarische Bürgerversicherung einführen, eben weil wir eine breite Einnahmebasis im Gesundheitssystem brauchen. Hohe Arbeitslosigkeit, Lohndumping oder prekäre Beschäftigung bedrohen viele Menschen, daraus ergeben sich sinkende Einnahmen für die Krankenkassen. Gesundheitspolitik ist aber immer auch die Abwehr von Begehrlichkeiten. Wir müssen vor allem bei der Pharmaindustrie ansetzen und natürlich fordern auch wir gesetzlich Versicherten immer mehr Leistungen von unseren Krankenkassen.

Sie sind beide gesetzlich versichert?

Bas: Ja, ich habe vorher bei einer Krankenkasse gearbeitet und dort meine Ausbildung gemacht. Ich stehe zu diesem Prinzip.

Pflug: Ich war schon als Student bei meiner jetzigen Krankenkasse versichert und halte das auch für eine Frage der Solidarität.

Müssen Sie auch wochenlang auf Termine warten oder erhalten Sie eine Sonderbehandlung?

Bas: Wenn ich zum Arzt gehen muss, vermeide ich es, erkannt zu werden. Sonst gibt es meist lange Debatten mit den Ärzten über das Gesundheitssystem.

Pflug: Ich habe auch schon acht Wochen auf einen Facharzt-Termin gewartet. Und ich habe mich schrecklich aufgeregt, als ich mit einem Nabelbruch im Krankenhaus erst lange warten musste und dann alles ganz schnell ging, nachdem man von meiner privaten Zusatzversicherung fürs Krankenhaus erfahren hatte.

In der Stadt wird derzeit viel um Image und Außenwirkung diskutiert. Was sagen Ihre Gesprächspartner in Berlin, wenn Sie hören, dass Sie aus Duisburg kommen?

Bas: Leider ist es immer noch so, dass den meisten Gesprächspartnern als erstes die Loveparade-Katastrophe einfällt. Mich macht das alles immer noch sehr traurig und zornig zugleich, aber es ist auch Teil meines Abgeordnetenjobs für meine Heimatstadt zu werben.

Die Meisten sind überrascht, was wir an Natur und Kultur zu bieten haben. Zur Imagepflege tragen ebenso kräftig MSV, FCR, EVD oder OSC bei.

Pflug: Hinzu kommt auch oft die Frage, warum der Oberbürgermeister nicht zurücktritt. Ich versuche dann, positive Werbung für Duisburg zu machen. Leider ist es aber offensichtlich so, dass sich die Sponsoren für Großprojekte wie Akzente oder Traumzeit rar machen.

Es gibt einen Termin, der für Sie geradezu prädestiniert ist: Der MSV steht am 21. Mai in Berlin im Pokalfinale. Haben Sie schon Karten?

Bas: Ich kämpfe gerade darum, noch eine Karte zu bekommen, werde aber in jedem Fall zum Pokalspiel in Berlin sein.

Pflug: Karten sind bestellt und ein langer Tisch im Restaurant meines Freundes für die Siegesfeier.

Ihr ehrlicher Tipp: Holt der MSV den Pott?

Bas: Klar, 5:4 für den MSV nach Elfmeterschießen. Ich wette, dass wir an diesem Tag bis zur letzten Sekunde alles an Nervenkitzel geboten kriegen.

Pflug: Im Pokal ist alles möglich, auch ein Sieg des MSV.