Duisburg. Im neuen deutschen Bundestag in Berlin wird Duisburg durch Bärbel Bas und Johannes Pflug vertreten. Mit den beiden SPD-Bundestagsabgeordneten sprach Wilhelm Klümper über Integration und die Zukunft der SPD - und die Frage, ob die SPD heute noch sexy ist.
Bärbel Bas und Hans Pflug
Im neuen deutschen Bundestag in Berlin wird Duisburg durch die beiden SPD-Abgeordneten Bärbel Bas und Hans Pflug vertreten.
Hans Pflug ist seit 1998 Mitglied des Bundestages. Bärbel Bas zieht erstmalig in den Bundestag ein. Beide sind gebürtige Duisburger und kennen mithin die sozialen Verhältnisse in der Stadt aufs Beste.
Ihr sozialdemokratischer Parteigenosse Thilo Sarrazin hat großen Teilen der türkischen und arabischen Bevölkerung in Berlin den Integrationswillen in die deutsche Gesellschaft abgesprochen.
Im Interview sprechen die beiden Duisburger SPD-Bundestagsabgeordneten Bärbel Bas und Hans Pflug mit Wilhelm Klümper über Integration und die Zukunft der SPD.
Sie arbeiten in Berlin und leben in Duisburg. Ist Sarrazins Kritik auf die türkische Bevölkerung in Marxloh oder Hochfeld zu übertragen?
Johannes Pflug: Thilo Sarrazins arrogante Wortwahl lehne ich entschieden ab. In der Beurteilung, dass es erhebliche Integrationsdefizite gibt, liegt er aber durchaus richtig. Die Probleme, die Sarrazin beschreibt, gibt es auch in Duisburg.
Herr Pflug, Sie haben Mitte der 90er Jahre vergeblich gefordert, dass der Anteil von Migranten und sozial Schwachen in Marxloh nicht zu groß werden darf. Hätte das die Ghettobildung verhindert?
Pflug: Davon bin ich überzeugt. In einigen nördlichen Stadtteilen lebt heute über ein Viertel der Bevölkerung ohne berufliche und ökonomische Perspektive.
Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Was tun?
Pflug: Wir brauchen eine von Kommunen, Land und Bund abgestimmte Bildungsoffensive, um den Menschen Perspektiven zu geben. Das muss in den Migranten-Familien bereits mit Deutschkursen ansetzen.
Diese Forderung ist doch nichts Neues. Die Wohlfahrtsabteilung der SPD, die Arbeiterwohlfahrt, ist in Duisburg für die Betreuung der Türken zuständig. Bereits Ende der 70er Jahre gab es Sprachkurse, interkulturelle Begegnungsstätten und vieles mehr. An Angeboten hat es wahrlich nicht gemangelt in dieser Stadt. Muss man das Erlernen der Sprache nicht nur anbieten, sondern verpflichtend einführen?
Pflug: Ja. Bereits bei der Anmeldung zum Kindergarten muss die Sprachkompetenz der Kinder geprüft werden. Wenn die nicht vorhanden ist, dann sollte ein Teil des an die Eltern gezahlten Kindergeldes einbehalten werden, von dem dann die Sprachkurse für Kinder finanziert werden. Das gilt auch für Kinder aus deutschen Familien. Einzelne Organisationen wie Awo oder Caritas können da wenig machen, das muss auf breiter Front durch Kommunen, Land und Bund geschehen.
Können wir in Duisburg von rechtsfreien Räumen reden, wenn sich - wie geschehen - auf der Weseler Straße in Marxloh Hunderte von Ausländern eine Straßenschlacht liefern, ohne dass die Polizei einschreitet?
Pflug: Das sehe ich nicht so. Aber es ist schon ein Skandal, was die normalen Bürger so alles in dieser Gesellschaft ertragen müssen. Wir haben ja auch ,Bandidos', Jugendbanden, Rotlichtviertel, Betrunkene bereits am frühen Morgen im Stadtbild, offenes Dealen und Drogenkonsum. Es gibt bei uns eine Unkultur des Wegsehens, der falsch verstandenen Toleranz. Da, wo Rechtsverstöße vorliegen, muss die Polizei einschreiten. Allerdings darf man dann nicht noch Polizeistellen abbauen.
Der Name Duisburg fällt häufiger im Zusammenhang mit islamistischem Terror. Die Attentäter von Djerba und des 11. September hatten Kontakte zu in Duisburg lebenden Islamisten. Wird Ihnen da nicht mulmig?
Pflug: Es ist leider so, dass Duisburg im Zusammenhang mit islamistischen Terror häufiger genannt wird. Ich glaube aber nicht, dass wir hier eine Hochburg von Islamisten haben
Duisburg hat jetzt in Marxloh die größte Moschee Deutschlands. Allenthalben gibt es Lob über die dort anzutreffende Transparenz und Offenheit. Was ist aber mit den vielen Hinterhofmoscheen und den muslimischen Kinderinternaten in der Stadt? Wissen Sie genau, ob dort nicht Hass gepredigt wird?
Pflug: Die Moschee wirkt äußert stabilisierend auf die muslimische Bevölkerung in unserer Stadt. Wir brauchen mehr große, offene Moscheen. Die dubiosen Hinterhofmoscheen müssen verschwinden. Auch bei den Internaten müssen wir genau hinschauen.
Hat die in Duisburg jahrzehntelang regierende SPD bei der Integrationspolitik nicht auf der ganzen Länge versagt?
Pflug: Es gab eine Menge von Angeboten verschiedenster Einrichtungen. Aber eine in sich geschlossene konzeptionelle Integrationspolitik hat es doch nie gegeben.
Liegt es vielleicht auch an den vielen Lehrern und Sozialpädagogen in der SPD, die seit den 70er Jahren eine Multikulti-Idylle propagiert haben?
Pflug: Multikulti ist eine blauäugige Illusion. Das ist sicherlich sehr nett im Umfeld der Hochschule, meinetwegen in Heidelberg und Freiburg. Multikulti wird dann aber schwierig, wenn ich es mit Bevölkerungsgruppen ohne Perspektiven zu tun habe. In der SPD haben sich doch nur die Intellektuellen mit Multikulti beschäftigt und Toleranzappelle losgelassen. Das ist zumindest in den Arbeiterstadtteilen nicht angekommen.
Früher stand die SPD für Fortschritt und Aufstieg der kleinen Leute. Heute kommt sie manchmal als verzagte Partei daher, die nicht so recht weiß, wo es langgehen soll. Hier im Ruhrgebiet wollen aber die meisten Menschen klare Kante von couragierten Kümmerern. Kann das die SPD noch leisten?
Bärbel Bas: Wir müssen alle mitnehmen. Unser Problem ist das alte Denken in den Strukturen von Großkonzernen. Vornehmlich die älteren Genossen denken noch in Kategorien wie SPD im Gleichklang mit den Gewerkschaften. Dies ist leider nicht mehr so. Die Strukturen in den Konzernen und auf dem Arbeitsmarkt haben sich völlig verändert, da haben wir Stammbelegschaften und Leiharbeiter. Früher war es einfacher, klare Ziele wie den Kampf für Arbeitsplätze in der Stahlindustrie plakativ zu formulieren.
Die Arbeiterherrlichkeit von einst ist für die SPD also dahin. In Duisburg ist die SPD eingekeilt zwischen einer starken Linken, einer sozialdemokratisierten CDU mit einem innerhalb seiner Partei eher links stehenden christdemokratischen Oberbürgermeister Sauerland und linksliberalen Grünen.Wo ist für die SPD auf Dauer die Lücke?
Bas: Das ist genau die Frage. Die SPD war ja immer stark darin, ein gesellschaftliches Bild zu vermitteln. Sei es gerechte Bildung, Chancengerechtigkeit. Den Wettlauf um Wohltaten werden wir mit den Linken nicht bestehen. Die setzen immer noch einen drauf. Wir brauchen Botschaften, die ein möglichst breites Spektrum der Bevölkerung anspricht. So haben wir bei den Frauen dramatisch verloren, die für uns früher wegen unserer progressiven Familien- und Bildungspolitik eine Bastion waren.
Die SPD ist heute also für viele einfach nicht mehr sexy?
Bas: Das stimmt. Die SPD muss wieder für den gesellschaftlichen Konsens stehen. Der Sozialstaat muss auch wieder von der Mittelschicht, zu der auch die Facharbeiter gehören, gewollt und getragen werden.
Pflug: Wir haben auch die Künstler und Intellektuellen verloren. Unser Image als weltoffene, vorwärtsgewandte Partei ist weg. Da haben wir viel an die Grünen verloren.
Wie ist die Haltung in der Duisburger SPD zur Linkspartei und einer Koalition Rot-Rot-Grün?
Bas: Das Schlimme ist, dass die Linken auf der Landesebene so furchtbar schwierig sind. Insgesamt ist bei uns in Duisburg die Stimmung innerhalb der SPD gemischt. Die älteren Genossen, die noch die DDR, die SED und den kalten Krieg miterlebt haben, raten uns von einer Zusammenarbeit ab. Die haben Angst. Bei den Jüngeren gibt es dagegen weniger Berührungsängste. Die sehen Rot-Rot-Grün als Alternative zu Union und FDP.
Kommt die SPD auf Dauer überhaupt an einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei vorbei?
Bas: Daran führt auf Dauer auch im Bund kein Weg vorbei, wenn wir eine Machtoption für unsere Politik beanspruchen.
Pflug: Die Linkspartei muss sich aber auch für uns öffnen.
Braucht die SPD nun die klare Kursdebatte in den eigenen Reihen?
Bas: Wir haben an der Basis zu lange die Faust in der Tasche gemacht und die Regierungspolitik unserer Genossen mitgetragen. Wir müssen nun klare Kante zeigen und den Leuten sagen, wohin wir wollen. Aber Flügelkämpfe können wir nicht gebrauchen.
Soweit die große Politik. Muss sich auch in der Kommunalpolitik etwas Gravierendes ändern?
Pflug: Kommunalpolitik ist doch derzeit etwas für Zeitreiche. Rentner, Verbandsfunktionäre, freigestellte Lehrer haben die Zeit, schon nachmittags an Sitzungen teilzunehmen. Dem gegenüber steht ein professionalisierter Verwaltungsapparat. So kann Kommunalpolitik auf Dauer nicht funktionieren. Die Fraktionen in den Räten müssen mit mehr Fachkompetenz beispielsweise durch wissenschaftliche Referenten ausgestattet werden. Und insbesondere jüngeren Leuten müsste man eine Chance geben, vorübergehend Kommunalpolitik zu machen, indem sie später eine Wiedereingliederungshilfe in ihren eigentlichen Beruf bekommen.