Der „Runde Tisch Loveparade“ hatte den rund 100 Teilnehmern erhellende Momente, aber auch erschreckende Erkenntnisse zu bieten.
Bei diesem Treffen von Experten und Betroffenen am Samstag im Veranstaltungszentrum „Der Kleine Prinz“ stand über allem die Frage nach der Verantwortung für die Katastrophe mit 21 Toten und 500 Verletzten, die sich am 24. Juli 2010 im Tunnel an der Karl-Lehr-Straße ereignet hatte.
Am Ende dieser vom Selbsthilfeverein Massenpanik und dem Internet-Nachrichtenportal DocuNews.org organisierten Veranstaltung gingen viele Teilnehmer emotional aufgewühlt nach Hause. Die dort präsentierten Dokumente und Fakten hatten sie zu dem Schluss kommen lassen, dass die Loveparade in dieser Form niemals hätte genehmigt werden dürfen. Viele Betroffene zeigten sich auch erleichtert, weil dieser Tag für sie ein Schritt in Richtung Aufklärung der Umstände war.
"Mehr als 20 gesetzliche Vorschriften missachtet"
Eines vorweg: Dieses Treffen geriet nicht zu einer von persönlichen Schuldzuweisungen geprägten Demonstrationsveranstaltung. Nein, alle Expertenvorträge und Diskussionsbeiträge waren geprägt von hoher Sachlichkeit. Etwa bei Kai Abrell. Der Meister für Veranstaltungstechnik zeigte auf, dass bei der Planung der Rettungswege und Notausgänge für das Veranstaltungsgelände gesetzliche Vorschriften umgangen worden seien.
Wegen der Umzäunung des Geländes galt an diesem Tag eine Sonderbauverordnung. „In den Tunnelabschnitten gab es keine vorgeschriebenen Notausgänge. Wenn es nicht genügend Rettungswege gibt, hätte die zulässige Besucherzahl zwingend entsprechend reduziert werden müssen.“ Das sei nicht erfolgt, so Abrell. Der Wittener Rechtsanwalt Dr. Frank Eikmeier ergänzte, dass über 20 gesetzliche Vorschriften missachtet wurden.
Als Beispiele nannte er den nicht zulässigen Zauntyp, der verwendet wurde. Oder eine fehlende Sicherheits- und Notbeleuchtung, die gerade in den Abendstunden nach dem geplanten Veranstaltungs-Ende gegen Mitternacht von großer Bedeutung gewesen wäre. Oder eine nicht vorhandene separate Lautsprecheranlage, über die in Notfällen alle Besucher lebensrettende Anweisungen hätten erhalten sollen. Jeder einzelne Punkt für sich wäre schon ausreichend gewesen, dass die Stadtverwaltung die Loveparade nicht hätte genehmigen dürfen. All diese Punkte hätten aber auch bei der Abnahme des Geländes durch die Behörden, die erst am Morgen der Veranstaltung stattfand, auffallen müssen. Doch ein Protokoll über die pflichtmäßige Begehung des Geländes durch die Berufsfeuerwehr sei bislang in den Akten nicht aufgetaucht.
Zugang "ein nicht lösbares Problem"
Dass der einzige Eingang zum Gelände gleichzeitig als Hauptausgang dienen sollte, hatten Sachbearbeiter der Verwaltung schon im März 2010 als „nicht lösbares“ Problem bezeichnet. Prof. Dr. Henning Ernst Müller von der Juristischen Fakultät der Uni Regensburg zitierte aus einem vorliegendem Dokument. Aus seiner Sicht sei der Zeitraum für die Planung eines Ereignisses dieser Größenordnung viel zu knapp bemessen gewesen. Er vermisste zudem eine Beschilderung, die im Tunnel und an der Rampe den Weg zum Veranstaltungsgelände gewiesen hätte.
„Wenn auf Recht und Gesetz gepocht worden wäre, hätte die Veranstaltung nicht stattfinden dürfen“, sagte Lothar Evers von DocuNews.org, einer der beiden Veranstalter des Runden Tisches. Viel zu oft sei seitens der Verwaltung eine Faust in der Tasche gemacht worden, statt zu kontrollieren. Diese Kompromissbereitschaft fasste Anwalt Dr. Eikmeier so zusammen: „Die Verwaltung hat hier nicht als Korrektiv fungiert, sondern sie hat sehr eng mit dem Veranstalter kooperiert.“ Und das immer unter der Prämisse, dass die Veranstaltung auf jeden Fall stattzufinden habe.
Evers wies zudem anhand von offiziellen Listen nach, dass von den 1300 für diesen Tag vorgesehenen Ordnern rund 40 (!) Prozent nicht zum Dienst erschienen waren. Für Unmut im Publikum sorgte die Erkenntnis, dass Lopavent aus seiner Sicht die beiden Tunnelstücke und den unteren Teil der Rampe – also jene Orte, wo sich die Katastrophe abspielte – nicht zu seinem Veranstaltungsgelände hinzuzählt. Es würde sich hier nur um den „Ein- und Ausgangsbereich des Veranstaltungsgeländes“ handeln. Laut Polizei-Sicht begann das Veranstaltungsgelände jedoch hinter den Vereinzelungsanlagen, also vor den Tunnel-Zugängen.
Angesichts dieser unklaren Definitionslage fragte der frühere Innenminister Gerhart Baum laut: „Wann bekommen wir kompetent Antworten, was passiert ist? Und von wem? Wer ist verantwortlich dafür? Man hat ja inzwischen das Gefühl, als sei diese Katastrophe vom Himmel gefallen.“ Damit rannte Baum auch bei den Landtagsabgeordneten Horst Engel (FDP) und Anna Conrads (Die Linke) offene Türen ein. Ihre Fraktionen hatten im Landtag bereits zweimal einen Untersuchungsausschuss zur Loveparade beantragt. Zweimal wurde die dafür nötige Stimmenzahl verfehlt. „Alle Stellen mauern. Man trifft bei Veranstalter, Stadt und Polizei auf eine Wagenburg-Mentalität“, so Engel. „Wir wollen aber Licht ins Dunkel bringen.“
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.