Duisburg. .

Bei Eisglätte und Schneechaos häufen sich die Unfälle mit tödlichem Ausgang. Bernhard Ludwig ist dann einer der ersten vor Ort. Er ist hauptamtlicher Notfallseelsorger im Kreis Wesel - und hat damit einen Job, den es Duisburg so nicht gibt.

Es ist der Winnetou-Effekt, der das Arbeiten manchmal schwierig macht. Indianer kennen keinen Schmerz - und Feuerwehrleute schon gleich gar nicht. Tun sie doch. Das weiß der Moerser Wehrleiter Christoph Rudolph, der selbst miterlebte, „wie sich Kollegen totgesoffen oder weggehängt haben“, weil sie der Belastung nicht standhielten.

Deshalb hat der Kreis Wesel - im Gegensatz zu Duisburg - einen hauptamtlichen Notfallseelsorger, dessen Kosten sich der Evangelische Kirchenkreis Moers und der Kreis Wesel brüderlich teilen. Halbe Halbe ist denn auch das Aufgabengebiet von Bernhard Ludwig: halb ist er Notfallseelsorger für Zivilisten, die nach Unfällen oder anderen Unglücken seiner Hilfe bedürfen, und halb ist er für die Einsatzkräfte da. Beides natürlich mit vollem Herzen und aus Überzeugung.

Bärbeißiger Theologe mit lila Joppe

Überzeugend ist der bärbeißige Theologe mit dem wuscheligen Haar an Haupt und Kinn ohnehin: „Ich hab als Opa noch die Feuerwehrausbildung gemacht, ich weiß also, wovon die reden“, erklärt der 54-Jährige. Ein Atemschutzgerät passt ihm, schon wegen des Barts, nicht mehr, „aber ich kann Funkgeräte bedienen, verstehe die Sprache, kann in Ausnahmefällen auch mit einem Feuerwehrwagen los“, beschreibt Ludwig die Vorteile. Immer dabei: die lila Joppe, an der Notfallseelsorger überall zu erkennen sind. Dass sogar ein lila Kuli in seiner Brusttasche steckt, sei aber Zufall. Über einen Pieper bekommt Ludwig alle Einsätze kreisweit mit, kann dann entscheiden, ob er zur Unterstützung mit rausfährt oder ob andere Fachkompetenz gefragt ist: „Bei Kindern braucht man notfallpädagogisch ein anderes Gerüst“, erklärt der Seelsorger. Ohnehin hat auch seine Hilfe Grenzen: „Wir beraten und begleiten kurz- und mittelfristig, alles was darüber hinausgeht, wird ans Traumazentrum Krefeld verwiesen.“

Ludwig arbeiten sieben der 100 Mann starken Moerser Wache zu, sie sind geschult in „PSU“ - Psychosozialer Unterstützung. Sie haben ein extra wachsames Auge auf ihre Kollegen und sind immer ansprechbar. Geschult hat Ludwig auch Kollegen von DRK, THW, Johannitern, DLRG, selbst der Rettungshundestaffel. Dass sich dieses Engagement auch finanziell rechnet, steht für Feuerwehrchef Christoph Rudolph außer Frage: „Das hat sich schon bei einem Hauptbrandmeister, der vor der Dienstunfähigkeit bewahrt wird, amortisiert.“

Ehrenamtliche Notfallseelsorger unterstützen

Wieso jemand, der täglich mit Katastrophen konfrontiert wird, überhaupt umknicken kann, macht Ludwig an Kleinigkeiten fest: Da ist das verunglückte Kind, dessen verbeultes Fahrrad genauso gelb ist wie das des eigenen Kindes. Oder der Mensch, der bei einem Vollbrand noch im Haus vermutet wird, ist genauso alt, wie man selbst. Zwar werden die Unfallopferzahlen jedes Jahr veröffentlicht, aber dem Tod begegnen die Leute von Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei drei mal so oft: durch Suizid in all seinen erfindungsreichen Varianten. Noch während des Interviews wurde ein Selbstmord mit Schusswaffe gemeldet.

Neben rund 200 Einsätzen, die sich Ludwig mit weiteren ehrenamtlich tätigen Notfallseelsorgern teilt, und regelmäßigen Besuchen auf allen Wachen, steht viel Büroarbeit an: Über die Homepage www.hilfe-loveparade.de bitten viele um Hilfe per Web-Beratung. Obwohl Ludwig der Schweigepflicht unterliegt, ist vielen der anonyme Kontakt per Mail oder Chat lieber. Nach den Erkenntnissen aus der Rammstein-Katastrophe, deren Opfer auch heute noch, 23 Jahre später, Betreuung brauchen, stellt er sich in Sachen Loveparade ebenso auf einen langen Atem ein. Sich selbst gönnte Ludwig nach der Duisburger Katastrophe und über 600 Stunden Nachsorge-Gesprächen mit den Einsatzkräften zusätzliche Supervision.

"Ich streite auch mit dem Chef da oben"

Insgesamt fühlt er sich gut gerüstet für den Job: „Mein Glauben trägt mich“, erzählt der dreifache Vater, der den Pfarrersberuf von Vater und Großvater übernahm. „Das ist auch eine Berufung“, glaubt er, „ich begleite Menschen an Schnittpunkten ihres Lebens, arbeite mit ihnen an den Übergängen. Mein Beruf ist nachhaltig, und Rückmeldungen bekomme ich auch.“ Umgekehrt hadere er auch mal, „dann streite ich mit dem Chef da oben“. Am Ende gehe er aber immer als Christ in jede neue Aufgabe, und wenn nichts mehr geht, segnet er direkt an der Unfallstelle aus, spricht ein Gebet. „Das ist mir wichtig.“