Duisburg. .

Als am 24. Juli bei der Loveparade das Unfassbare geschah, mussten Richard Bannert und die ehrenamtlichen Seelsorger zuhören, um zu helfen. Bannert wird am Freitag von Bundespräsident Wulff geehrt. Er blickt auf den Tag des Unglücks zurück.

Richard Bannert. Foto: Stephan Eickershoff/WAZFotoPool
Richard Bannert. Foto: Stephan Eickershoff/WAZFotoPool © WAZ FotoPool

Zum Auftakt der WAZ-Aktion „Wir helfen den Helfern“ blickt der Leiter der Notfallseelsorge, Richard Bannert, auf den Tag der Loveparade zurück. Der 53-Jährige gehört zu den zwölf Mitarbeitern der Notfall- und Polizeiseelsorge, die Bundespräsident Christian Wulff am Freitag im Schloss Bellevue für ihren Einsatz bei der Loveparade ehren wird.

Ein offenes Ohr als Erste Hilfe

Rückblick.

Richard Bannert hört zu. Der Diakon sitzt in einem Rettungswagen. Draußen eilen Ersthelfer umher. Ärzte versorgen auf dem Asphalt liegende Schwerstverletzte. Hier, hinter verschlossenen Autotüren, ist es etwas ruhiger. Und Bannerts Gegenüber braucht diesen geschützten Raum, um das Grauen zu schildern, das er soeben miterleben musste. Der Körper des jungen Mannes scheint unverletzt, die Seele ist es nicht – wie bei so vielen anderen Opfern der Loveparade-Katastrophe auch. Es ist der 24. Juli 2010. Das Unfassbare ist erst vor einer Stunde geschehen. Und Richard Bannert sowie alle anderen ehrenamtlichen Notfallseelsorger aus Duisburg müssen in diesem Moment der Extreme funktionieren. Sie müssen zuhören, um zu helfen

„Viele der Besucher, die das alles hautnah mitbekommen haben, waren total geschockt. Wir wollten versuchen, sie psychisch zu stabilisieren. Und wir wollten, dass sie in Gesprächen mit uns rauslassen können, was sie da gerade an schrecklichen Bildern gesehen haben. Für viele ist in solchen Momenten die wichtigste Erste Hilfe ein offenes Ohr“, schildert Bannert. Wer heute mit dem 53-jährigen Wanheimerorter spricht, der trifft auf einen Mann, der die Erlebnisse dieses Tages zwar – wie so viele andere Menschen auch – noch immer tief in sich trägt, der sich aber mit ihnen aus-einandergesetzt hat.

Stadt hat sich bis heute nicht bedankt

Genau das, so Bannert, sei ein wichtiger Ansatz für die Nachbetreuung von betroffenen Besuchern oder traumatisierten Einsatzkräften. Vor allem bei letzterer Gruppe sei es oft so, erzählt der Notfallseelsorger, dass der große Schock erst dann einsetzt, wenn sich nach beendetem Einsatz der Adrenalinspiegel senkt und der Körper zur Ruhe kommt.

„Wir hatten an diesem Tag Rettungskräfte aus ganz Deutschland hier. Die wollten in der Nacht erst mal nur nach Hause“, sagt Bannert. Doch in den Tagen danach wäre zu jeder einzelnen Helfer-Einheit telefonischer Kontakt hergestellt worden. Und immer wurde die Frage gestellt: Gibt es bei euch im Team jemanden, der Hilfe braucht? Und es gab auch in Duisburg manche, die mit „Ja“ antworteten.

Bannert und seine Mitstreiter suchten Betroffene dann fast immer daheim in deren vier Wände auf. „In ihrer vertrauten Atmosphäre fällt es den meisten leichter, sich für ein Gespräch zu öffnen.“

Die Notfallseelsorger behandeln den Inhalt jeder Unterredung stets vertraulich, deshalb beließ es Bannert auf Nachfrage bei Allgemeinem: Ja, es gab viele, die nach dem Einsatz unter Schlafstörungen gelitten haben oder es sogar heute noch tun. Ja, das Lob und der Dank seitens der Anwohner und der Bürgerschaft hätten diesen Menschen gut getan und ihnen ein Stück weit über das Erlebte hinweggeholfen. Nein, seitens der Stadtverwaltungs-Spitze hat es bis heute kein Verantwortlicher für nötig gehalten, sich persönlich bei den Kräften von Feuerwehr und Rettungsdiensten für ihren Einsatz zu bedanken. Ja, das habe das Vertrauen zu diesen Leuten zerstört. Für immer.

Seelsorger, keine Therapeuten

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Von WAZ Duisburg

Bei manchen war die Loveparade-Katastrophe aber auch nur der Tropfen gewesen, der das mit schlimmen Erinnerungen an frühere Einsätze gefüllte Emotions-Fass zum Überlaufen brachte. Wobei es Bannert wichtig ist, klarzustellen, dass er und seine Kollegen Seelsorger sind – und eben keine Therapeuten. „Wir können helfen und stabilisieren.Wir können Betroffenen sagen: Redet, redet, redet – das ist die beste Form der Verarbeitung. Reicht all das nicht, können wir auf Wunsch an einen Therapeuten weitervermitteln.“

Die hiesige Notfallseelsorge beackert der Diakon Bannert als deren Leiter übrigens in seiner Freizeit. Ehrenamtlich. Sein Gehalt – oder „Brötchengeld“, wie er es nennt – verdient er bei den Theodor-Fliedner-Werkstätten in der Nachbarstadt Mülheim. Die Koordinierung von über 50 evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrern (und seit kurzem auch von einigen katholischen Geistlichen, die bei der Notfallseelsorge nun mitmachen), frisst viel Zeit.

Auch deshalb bedürfe es einer Professionalisierung. Und die kostet Geld. Geld, das der Kirchenkreis Duisburg allein nicht aufbringen kann. Geld, das nun auch durch die Spenden der WAZ-Leser zusammenkommen soll.