Duisburg. .

Duisburg soll leuchten: An Allerheiligen soll in jedem Fenster der Stadt eine brennende Kerze stehen – in Gedenken der Opfer der Loveparade-Katastrophe. Dazu ruft die Initiative auf, in der sich Betroffene und Angehörige organisiert haben.

Exakt 100 Tage ist es am Montag her, dass sich im Tunnel an der Karl-Lehr-Straße die Loveparade-Tragödie ereignete. Um der 21 Opfer, deren Angehörigen sowie der verletzten und traumatisierten Menschen in würdiger Weise zu gedenken, wendet sich die Initiative „Loveparade-Sammelverfahren.de“ mit einer wunderschönen Idee an die Bevölkerung. Sie ruft dazu auf, an Allerheiligen ab 18 Uhr im gesamten Stadtgebiet mindestens eine Kerze in jedes Fenster zu stellen.

Duisburg soll leuchten.

„Diese Aktion soll ein Zeichen der Solidarität sein. Es soll jenen Menschen, die es an diesem Unglücks-Tag besonders schlimm getroffen hat, auf sichtbarem Wege zeigen, dass sie nicht vergessen sind.“ Der Mann, der das sagt, ist Jürgen Hagemann. Der 47-jährige Mann aus dem süd-westlichen Stadtteil Friemersheim ist nicht nur Vater einer Tochter, die selbst im Tunnel feststeckte und später seelisch und körperlich verletzt geborgen wurde. Er ist auch der Gründer jener Initiative, in der sich Betroffene und deren Angehörige organisiert haben.

Ex-Innenminister Baum vertritt die Interessen

Diese Menschen, die verletzt oder traumatisiert wurden oder einen Angehörigen verloren haben, setzen sich für die Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche aller Betroffenen ein. Ihre Interessen werden juristisch von der Düsseldorfer Kanzlei „Baum, Reiter & Collegen“ um den früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum vertreten. Er hat bislang 50 Mandate erhalten, weitere sollen folgen. „Es handelt sich hier um eine Bündelung von Einzelverfahren. Der von uns genutzte Begriff Sammelverfahren ist in der Öffentlichkeit geläufig, aus juristischer Sicht aber nicht korrekt“, erklärt Hagemann.

Neben dem zivilrechtlichen Verfahren ist für alle Beteiligten von „Loveparade-Sammelverfahren.de“ zwar auch eine strafrechtlich relevante Klärung der Frage nach den Verantwortlichen für diese Katastrophe wichtig. Noch entscheidender aber ist es, in dieser Gruppe endlich eine Möglichkeit des Austausches gefunden zu haben.

Viele Traumatisierte saßen in den ersten Tagen mit ihren Ängsten und Nöten oft allein mit überforderten Angehörigen da. „Wir verstehen uns inzwischen als eine Art Selbsthilfegruppe“, sagt Hagemann. Hier werde gemeinsam versucht, die Dinge aufzuarbeiten, zu begreifen – und zu verarbeiten. „Der Zufall hat uns zusammengeschweißt. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Aber es hilft jedem einzelnen nun enorm weiter, dass er nicht mehr allein dasteht“, so der Initiativen-Gründer.

Internetforum

Aus den Gesprächen in einem geschützten Forum auf der Internetseite (www.loveparade-sammelverfahren.de) erzählen die Menschen, wie tief das Trauma zum Teil sitzt. Viele finden nur schwer in den Schlaf. Albträume sind nächtliche Stammbegleiter. Immer wieder kommen die Bilder vor dem inneren Auge hoch – und verstören. „Am Anfang, als wir über unsere Internetseite andere Betroffene finden wollten, haben wir Mails mit ausführlichen Schilderungen der Einzelschicksale bekommen“, erzählt Hagemann. In den Tagen darauf folgten hunderte weitere Zuschriften. Jede einzelne wurde beantwortet. Und 80 bis 90 Personen sind es nun, die hier eine Diskussions-Plattform gefunden haben, auf der sachliche und gemäßigte Töne bevorzugt werden. Manche der Betroffenen konnten seit den Vorfällen am 24. Juli nicht mehr arbeiten. Andere haben den Job gar verloren.

Doch der Hauptgrund für die Verbitterung vieler, ist laut Hagemann ein anderer: „Von den Verantwortlichen wurde bislang nur über uns, aber noch kein einziges Mal mit uns geredet. Es gab keinen persönlichen Ausdruck des Bedauerns, keinen Anstandsbesuch.“ Und in Richtung Stadtspitze sagt er, dass die „Gutachteritis“, die zwischenzeitlich ausbegrochen war, sowie das Wegschieben von Verantwortung auf Dritte bei allen Betroffenen als besonders schäbig empfunden wurde. Und Hagemann formuliert, was alle aus der Gruppe fühlen: „Jetzt braucht von den Offiziellen auch niemand mehr anzukommen, das wäre pure Heuchelei.“

Viel wichtiger als Trost vom umstrittenen OB sei der Gruppe ein Zeichen der Bürger in dieser Stadt. In Form der Fenster-Kerzen zu Allerheiligen.

Duisburg soll leuchten.