Duisburg. .

Der Tunnel in Duisburg, wo sich das Loveparade-Drama ereignete, hat sich in den sechs Wochen der Trauerzeit verändert. Doch die Menschen müssen bald wieder den Autos weichen: Am Wochenende wird die Sperrung für den Verkehr aufgehoben.

Manche kamen fast jeden Tag hierher. Hallenden Schrittes gingen sie durch den Tunnel, hielten an der Rampe inne, betrachteten den Ort des Un-fassbaren, lasen zum x-ten Mal die auf Plakaten und Transparenten hinterlassenen Botschaften. Dieser Akt des Trauerns und Verarbeitens, er hatte für viele Menschen etwas Rituelles, war lieb gewonnene Gewohnheit. Doch nun endet die Trauerzeit für die Opfer der Loveparade-Katastrophe. Nur noch bis Samstag ist der Tunnel an der Karl-Lehr-Straße das, was er in den vergangenen sechs Wochen war: eine verkehrsberuhigte, begehbare Trauerstätte. Bald kehren die Autos zurück. Und es heißt Abschied nehmen vom stillen Abschiednehmen.

Es ist Mittwoch, 12 Uhr. Aus der Ferne ist das Mittagsläuten der Kirchturms-Glocken zu hören. Sonst nichts. Die wenigen Menschen, die um diese Zeit im Tunnel unterwegs sind, verlieren kein einziges Wort. Sie grübeln nur. Lesen stumm. Oder schauen gedankenverloren ins Leere. Nur ab und an dringt ein schriller Ton ins Ohr. Es ist die Klingel eines Fahrrades. Für diese gilt das allgemeine Durchfahrts-Verbot auf dieser innerstädtischen Ost-West-Achse nicht. Doch selbst die eiligsten Radler respektieren hier das ungeschriebene Gesetz der Ruhe.

Im kollektiven Gedächtnis

Noch dürfen keine Autos durch den Unglücks-Tunnel in Duisburg fahren. Foto: Stephan Eickershoff/WAZFotoPool
Noch dürfen keine Autos durch den Unglücks-Tunnel in Duisburg fahren. Foto: Stephan Eickershoff/WAZFotoPool

Wer genau hinschaut, der entdeckt hier und da noch Überbleibsel von jenem Tag, an dem 21 junge Menschen den Tod fanden und der deshalb unauslöschlich im kollektiven Gedächtnis klebt. Am Tunneleingang aus Richtung Neudorf kommend hängt noch die Orientierungstafel aus Plastik mit Nummer 382 am Laternenmast. Mit deren Hilfe konnten ortsunkundige Loveparade-Besucher damals den Rettungskräften ihren genauen Standort verraten. Auch der Container am Fuße der Unglücksrampe, in dem der Crowdmanager und Polizeibeamte zwecks Überwachung der Menschenmassen saßen, ist noch da. Sein Blechdach wurde für manche zuvor eingezwängten Besucher zum Weg in die Freiheit. Und natürlich ist auch diese schmale Treppe noch da, in deren unmittelbarer Umgebung die meisten der 21 Opfer von der Masse überrannt wurden. Ein einziger Blick auf die Szenerie genügt, schon erscheinen vor dem inneren Auge wieder die schrecklichen TV-Bilder. Auch sie sind unvergesslich.

Doch das Gesamtbild des Tunnels hat sich verändert. Leider nicht zum Positiven. Das Meer der Kerzen, das diesen unwirtlichen Ort nicht nur Nacht für Nacht in ein faszinierend flackerndes Licht tauchte, sondern ihm selbst in kältesten Stunden eine wohlige Wärme verlieh, es ist erloschen. Die Blätter der Blumensträuße sind braun und verdorrt. Selbst das einst weiße Fell des einsam zwischen Teelichtern kauernden Stoff-Teddybären ist nach fast sechs Wochen ergraut. Der Zahn der Zeit, er nagt eben auch an Trauergaben unnachgiebig.

Steine und Figuren

Doch manches Stück trotzte beharrlich der Witterung. Etwa jene kleinen Gedenksteine mit eingravierten Anklagen gegen sich wegduckende Verantwortliche. Oder die Engelsfiguren aus Ton und Porzellan. Oder jener Rahmen, hinter dessen Glas die lachenden Gesichter von sieben jungen Menschen zu sehen sind. Junge Menschen, die nun tot sind. Nein, vieles von dem, was jetzt hier steht, wird keinen Platz in jenem Kubus finden können, der als Lagerstätte für besondere Trauergaben dienen soll. Vieles ist kaputt, zerfallen, vergangen oder vertrocknet. Vieles wird auf dem Müll landen.

Das Befüllen des Kubus am Samstag soll ja sichtbares Zeichen für das offizielle Ende der Trauerzeit sein. Doch der vorgesehene Lageplatz auf einem Grünstreifen an der Karl-Lehr-Straße/Ecke Wegnerstraße trifft schon auf Widerspruch. Direkte Anwohner wie Reinhard Küpper fürchten, dass der Strom der Pilger in den nächsten Jahren nicht enden und die Hoffnung auf eine Rückkehr von Normalität an dieser Stelle zum Ding der Unmöglichkeit wird. Er wolle doch nur seine Ruhe und seinen Alltag zurück. Eine Sehnsucht, die derzeit so viele Menschen dieser Stadt umtreibt.