Düsseldorf. .

Nach dem tragischen Loveparade-Drama nehmen gegenseitige Schuldzuweisungen weiter zu. Auch Adolf Sauerland berichtet bei der Sitzung des Innenausschusses des NRW-Landtags nichts Neues.

Adolf Sauerland atmet einmal tief durch, und wie schon bei anderen öffentlichen Auftritten zuvor, liegt in seiner Stimme ein gewisses Tremolo, das seine Anspannung widerspiegelt. Doch wer vor der Sitzung des Innenausschusses des NRW-Landtages erwartet hätte, der Oberbürgermeister von Duisburg würde mehr als eine allgemeine Verantwortung in dieser Funktion übernehmen, würde Abläufe in seiner Verwaltung in Frage stellen, der wurde bald eines Besseren belehrt.

Alles also wie gehabt. Fast sechs Wochen nach dem tragischen Tod 21 junger Menschen auf der Duisburger Loveparade nehmen gegenseitige Schuldzuweisungen aller Beteiligten sogar eher noch zu. So betont der vom Innenministerium mit einem Gutachten beauftragte Bonner Prof. Thomas Mayen, dass die Stadt Duisburg durch Absprachen ihre Zuständigkeiten nicht auf den Veranstalter Lopavent oder auf die Polizei delegieren konnte. Die Polizei sei nur für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit zuständig gewesen. Und auch der Inspekteur der Polizei, Dieter Wehe, listet akribisch die Fehler des Veranstalters Lopavent auf, die für Probleme am Tag des Unglücks gesorgt haben:

Erstens: Die zu späte Öffnung des Veranstaltungsgeländes. Statt um 11 Uhr wurden erst um 12.04 Uhr die Tore geöffnet. Dadurch habe es bereits früh große Staus an den beiden Eingängen gegeben.

Zweitens: Fehlende Ordner an den Eingangsschleusen. Zu Beginn hätte nur ein Drittel der zugesagten Menge bereitgestanden.

Drittens: Das Konzept mit den Pushern habe nicht funktioniert.

Viertens: Lautsprecherdurchsagen seien nicht bei den Besuchern angekommen. Es habe eine entsprechende Ausschilderung für die Zu- und Abgänge gefehlt.

Fünftens: Die Floats hätten zu lange gestanden. Dadurch konnten sich die Besucher nicht auf dem Veranstaltungsgelände verteilen. Dazu äußerte der SPD-Innenexperte Thomas Stotko später einen bösen Verdacht: „Standen die Floats, weil Schaller ein Interview im WDR gab und der McFit-Wagen im Hintergrund war?“

Innenminister Jäger hatte sich kurz zuvor verärgert über die „unglaublichen Vorwürfe“ gezeigt, die in den letzten Tagen gegen Polizisten geäußert worden seien. „Ich will, dass die Ereignisse, die zu dem Unglück führten, vollständig aufgeklärt werden“, so Jäger. Dennoch bleibe er dabei, dass es unrealistisch sei, bei dem „unfassbaren Chaos auf Veranstalterseite einen fehlerfreien Polizeieinsatz zu erwarten“. So viel Selbstkritik war von anderen nicht zu hören.

Polizei auf dem Gelände zuständig

Auch nicht von Anwältin Ute Jasper, die mit ihrer Düsseldorfer Kanzlei ein Gutachten für die Stadt Duisburg über die Abläufe der Loveparade erstellt hat. Reduzierte man ihren Vortrag auf einen wesentlichen Gedanken, so bliebe wohl dieser eine: Die Polizei hatte die Überwachung des Geländes aus der Luft per Hubschrauber übernommen, sie hat die Entscheidung getroffen, den Tunnel und die Rampe zu sperren und war sehr wohl auch auf dem Gelände zuständig.

Dazu passen die anschließenden Worte von Oberbürgermeister Sauerland sehr gut, der auffällig häufig die enge, ja landesweit gar „richtungsweisende“ Zusammenarbeit zwischen Stadt und Polizei lobt. Auch diesmal klingen Sauerlands Bekundungen, wie „entsetzlich alle Duisburger und ich besonders“ unter dem schrecklichen Unglück leiden, wie auswendig gelernt. Er mag es so empfinden, aber die Worte wirken leer. Vor allem deshalb, weil er wie so oft zuvor, sein eigenes Verhalten wie das seiner Verwaltung nicht in Frage stellt. Einzig, dass er dieses Mal von der Verantwortung spricht, die er als Oberbürgermeister der Stadt trage, eben weil es in Duisburg geschah.

Stotko: „Nach diesem Gutachten hat alles funktioniert. Können Sie mir sagen, warum die Menschen im Land einen anderen Eindruck haben?“

Genau das wirft ihm etwas später auch Thomas Stotko, Sprecher der SPD-Fraktion im Innenausschuss, vor: „Sicher ist das für Sie, Herr Sauerland, heute schwer. Aber das Gutachten, das für die Stadt erstellt worden ist, anders als sie sagen, keine kritische Würdigung. Nach diesem Gutachten hat alles funktioniert. Können Sie mir sagen, warum die Menschen im Land einen anderen Eindruck haben?“

Rainer Schaller, der Veranstalter, hatte sich damit begnügt, zwei Rechtsanwälte in den Innenausschuss zu schicken. Die blieben merkwürdig kurz angebunden, stellten vor allem Fragen wie: Wer hat den Befehl für die Polizeikette auf der Rampe gegeben?

Bis in die Abendstunde

Die Sitzung dauert bis in die Abendstunden, geht erst nach sechs Stunden zu Ende. Sauerland ist die ganze Zeit anwesend, ergreift auch ab und dann das Wort. Nur einmal fällt er aus der Rolle, als ihn Sören Link (SPD), statt Fragen zu stellen, Großmannssucht und Inkompetenz unterstellt. Sauerlands Replique ging in Richtung der Ausschussvorsitzenden Dü-ker (Grüne) zu: „Muss ich mir das gefallen lassen?“ Der Oberbürgermeister räumt auch einen Fehler ein: Er habe am Abend der Katastrophe die Öffentlichkeit falsch über die Ursache informiert. Nun bedauert er dies, entschuldigt sich dafür. Die Fehlinformation sei aufgrund einer Informationen eines Notfall-Mediziners zustande gekommen.

Alles wie gehabt also. Jeder gibt dem anderen die Schuld, einzig Innenminister Jäger ließ einen Hauch von Selbstkritik spüren. Doch Peter Biesenbach, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, kündigte schon vor der Sitzung an, wie es bald weitergehen soll: Er wolle ernsthaft über einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss nachdenken. Zu klären sei die Verantwortung aller Beteiligter, der Stadt, Lopavents und der Polizei. Auch wenn er alle drei nennt, am Ende konzentriert er sich auf letztere. „Geschah das Unglück womöglich erst durch die Kettenbildung, kam es dadurch zu der drangvollen Enge in dem Bereich?“ fragt Biesenbach. Sein nachgeschobenes „Ich weise keine Schuld zu!“ kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen: An diesem Tag wird vor allem eins getan: Mit dem Finger auf den anderen gezeigt.