Duisburg. .
Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland steht nach der Loveparade-Tragödie im Fokus der Kritik. Doch Fragen zur Schuld und Verantwortlichkeit müssen sich auch viele andere stellen lassen. Ein Überblick.
Unmut und Zorn der Öffentlichkeit fokussierten sich nach der Loveparade-Katastrophe auf eine Person: OB Sauerland. Er war Befürworter und Antreiber, der alles dafür tat, damit dieses Großereignis in Duisburg stattfinden konnte. Und er ist Chef der Verwaltung – damit derjenige, der für die Stadt als genehmigende Be-hörde verantwortlich zeichnete. Die Stadt hatte das Sicherheitskonzept mit entwickelt und auch genehmigt. Viele vergessen aber in ihrer aufgewühlten Emotionslage, dass es neben dem OB noch mehr Menschen gibt, die sich Fragen nach Schuld und Verantwortung stellen lassen müssen.
Es scheint, als habe Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe dem Veranstalter gestattet, das vorgeschriebene Mindestmaß an Notausgängen zu unterschreiten. Warum tat er das? Die Verantwortlichen der städtischen Feuerwehr schweigen seit der Katastrophe zu ihrer Rolle bei den Planungen und ihren Bedenken zur Durchführung. Wurde ihnen ein „Maulkorb“ von Rabe oder Sauerland verpasst? Falls ja, warum?
Fehlplanung erschien krasser
Warum haben Rabe oder Sauerland nicht bei der im TV übertragenen Pressekonferenz am Tag nach der Katastrophe auf den Tisch gebracht, dass die übertriebenen Besucherzahlen des Veranstalters Lopavent nur ein Schwindel waren? Die veröffentlichte Zahl von 1,4 Mio Besuchern stand nicht nur im krassen Gegensatz zur tatsächlichen (laut Polizei 400- bis 500 000). Sie ließ die Fehlplanung der Macher beim Blick auf die Gelände-Größe nur noch krasser erscheinen.
Warum sind Herrn Rabe und seinen Mitarbeitern nicht die falschen Berechnungen des Veranstalters aufgefallen? Der wollte laut einer Liste, die der Stadt im Vorfeld der Veranstaltung vorlag, am Tag der Loveparade von 17 bis 18 Uhr 90 000 Menschen aufs Gelände und zeitgleich 55 000 da-von herunter bringen. Also addiert 145 000 Menschen in 60 Minuten durch einen Tunnel – ein Tunnel, der laut Katastrophenforscher Dirk Oberhagemann pro Stunde aber maximal 30 bis 35 000 Menschen verkraften konnte.
Wieso hat Baudezernent Dressler, der in einer Baugenehmigung die Kapazität des Festivalgeländes auf 250 000 Besucher beschränkt hatte, seine Bedenken nicht vorher öffentlich gemacht? Warum ist Stadtdirektor Peter Greulich erst auf sanften Druck aus dem Urlaub zurückgekehrt? Warum ist Uwe Gerste als Chef von Duisburg Marketing nach der Katastrophe in den Urlaub gefahren und ist immer noch im selbigen? Seine Aussage, es gebe im Augenblick nichts zu vermarkten, ist vielen Bürgern sauer aufgestoßen. Gerade in diesen Tagen wäre es enorm wichtig, positive Bilder und Nachrichten zu erzeugen. Diese Aufgaben übernahmen für Gerste dann diverse Bürgerinitiativen.
Kontrolle der Zahl der Ordner
Wieso hat die Stadt nicht kontrolliert, ob Veranstalter Lopavent am Tag die geforderte Zahl an Ordnungskräften bereitstellte? Diese war augenscheinlich zu niedrig. Wieso hat die Kommunikation zwischen Polizei und Ordnern nicht immer funktioniert? Wie konnte ein Polizist ohne Weisungsbefugnis und ohne Funkgerät neben dem Crowdmanager im Container am Fuße der Hauptrampe sitzen? Wieso wurden Pläne akzeptiert, die die Hauptrampe zeitweise als einzigen Zugang und gleichzeitig als einzigen Ausgang vorsahen? Warum wurden Teile dieser Rampe entgegen der Genehmigung als Parkplatz für Polizeiwagen gesperrt? Warum durften auf ihr Verkaufsstände aufgebaut werden? Wieso gab es im Tunnel keinerlei Schilder, die zeigten, dass die Hauptrampe der Eingang zum Gelände war? Wieso gab es auf dem Gelände keine Schilder, die Ausgänge bzw. den Weg dorthin anzeigten? Warum haben es die Ordner nicht geschafft, den Kopf der Rampe und damit die einzigen Zugänge zum Festivalgelände zu räumen? Viele Ankommende blieben hier einfach stehen, schauten auf die Floats und feierten. So bildete sich ein Stau.
Warum erhielten die in der Masse eingezwängten Menschen keine Durchsagen per Megaphon seitens der Polizei? Das hätte zur Orientierung und vielleicht auch zur Beruhigung beigetragen. Wieso haben die Sperren auf der westlichen Seite, die das Nachrücken der Masse in den Tunnel verhindern sollten, nicht gehalten? Waren dafür die Ordner oder die Polizisten verantwortlich? Wieso waren laut Augenzeugen-Berichten die Vereinzelungsanlagen mal besetzt, mal konnten die Besucher unbehelligt durchgehen?
Die Rolle der Nebenrampe
Wie lange war die Nebenrampe auf der westlichen Seite des Tunnels, die laut Planungen als reiner Ausgang vorgesehen war, als Zugang geöffnet? Zu welcher Uhrzeit wurde sie geschlossen? Und warum? Wer hatte dort die Kontrolle und das Sagen? Wieso wurden die an der Hauptrampe Eingezwängten nicht darüber informiert, dass nur wenige Meter hinter ihnen mit der Nebenrampe ein Rettungsweg lag? Dieser war laut Augenzeugenberichten sogar zum Unglückszeitpunkt gegen 17 Uhr geöffnet und passierbar. Wieso fand sich an der Nebenrampe kein einziges Schild über ihre Funktion?
Wieso gab es Kommunikationsprobleme, wenn der Veranstalter doch einen „Bündelfunk“ versprochen hatte?
Wieso sind die Bedenkenträger bei Polizei und Feuerwehr, die im Vorfeld hausintern eindringlich vor den vielen Risiken des Veranstaltungsortes gewarnt hatten und teilweise ihren eigenen Kindern einen Besuch der Loveparade verboten hatten, nicht den Schritt an die Öffentlichkeit gegangen?
Nicht nur ein Schuldiger
Wieso haben sich Polizei und Feuerwehr bei der abschließenden Sitzung, als Sicherheitsdezernent Rabe zum letzten Mal die Frage nach Einwänden stellte, nicht zu Wort gemeldet? Das geht aus einem Sitzungsprotokoll hervor, das der WAZ vorliegt.
Wieso hat sich der damalige Polizeipräsident Rolf Cebin nach einer einzigen Rücktrittsforderung seitens der Duisburger CDU derart einschüchtern lassen, dass er seine öffentlich geäußerten Sicherheitsbedenken fortan für sich behielt?
Viele, viele Fragen. Und es gibt noch Dutzende mehr. Ihre Beantwortung wird dazu beitragen, aus Puzzlesteinen ein Gesamtbild zu schaffen.
Und dieses wird ganz sicher am Ende nicht nur einen Schuldigen zeigen.