Duisburg. Im Venator-Werk in Duisburg sollen 462 Stellen gestrichen werden. Die Konzernführung erklärt die Gründe und Perspektiven im exklusiven Gespräch.

Es ist ein hartes Frühjahr für die Beschäftigten des Chemiewerks Venator in Homberg, das viele Duisburger noch unter dem traditionsreichen Firmennamen Sachtleben kennen. Hunderte Arbeitsplätze sollen abgebaut und Titandioxid schon bald nur noch in Uerdingen produziert werden. In der Belegschaft wächst die Angst vor einem kompletten Aus des Standorts.

Die Konzernführung blickt deutlich optimistischer in die Zukunft, erklären im exklusiven Gespräch mit dieser Redaktion Fried-Walter Münstermann und Arjen de Leeuw Den Bouter.

Sie sind zwei von fünf neuen Mitgliedern im Board des Konzerns mit Sitz in Großbritannien, die seit dem Ende eines US-Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung („Chapter-11“) im Oktober 2023 im Amt sind. Das Sagen bei Venator haben seither die ehemaligen Gläubiger, die die Schulden in Anteile an dem Unternehmen umgewandelt haben.

Konzernführung: Produktionskosten von Titandioxid sind stark gestiegen

„Wir sind fest davon überzeugt, die Standorte in Duisburg und Uerdingen nachhaltig profitabel betreiben können“, erklärt Fried-Walter Münstermann. Die Abwicklung des traditionsreichen Chemie-Standorts am Essenberger Rheinufer sei nicht das Ziel, betont auch Den Bouter, der als „Chief Transformation Officer“ für die Neuausrichtung verantwortlich ist.

Arjen de Leeuw Den Bouter verantwortet als „Chief Transformation Officer“ die Neuausrichtung der Venator-Werke.
Arjen de Leeuw Den Bouter verantwortet als „Chief Transformation Officer“ die Neuausrichtung der Venator-Werke. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Münstermann bezeichnet Titandioxid als „Alleskönner“, der Stoff stecke als Farbpigment zum Beispiel in Bau-Anstrichmitteln, Automobillacken und Zahnpasta. Die Produktion benötige jedoch viel Energie. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs seien die Produktionskosten rasant gestiegen.

Der Hauptgrund für die Verluste beim Geschäft mit Titandioxid sei jedoch die konjunkturbedingt geringe Nachfrage. Außerdem drückten immer größere Mengen, die aus China auf den europäischen Markt drängen, den Preis. Venator hat deshalb gemeinsam mit anderen Produzenten ein Anti-Dumping-Verfahren bei der EU angestrengt.

Werke in Duisburg und Uerdingen „seit Jahren hoch defizitär“

Nach dem Amtsantritt im Oktober 2023 „war uns direkt klar, dass wir in Deutschland tiefe Einschnitte vornehmen müssen“, berichtet Münstermann. Venator-Germany mit den beiden Werken in Duisburg und Uerdingen sei „seit Jahren hochdefizitär“ gewesen.

An beiden Standorten sei die Auslastung der Anlagen mit 60 bis 65 Prozent relativ niedrig. Dafür seien die Fixkosten sehr hoch: In Duisburg liegen sie bei rund 100 Millionen US-Dollar, in Uerdingen bei etwa 70 Millionen US-Dollar, meint Münstermann. „Es war klar, dass man zwei Standorte mit hohen Fixkosten und geringer Auslastung so nicht weiterfahren kann.“

Im Moment sehen wir nicht, dass die Anlage noch einmal hochgefahren wird, weil wir nicht erwarten, dass die Nachfrage steigt.
Arjen de Leeuw Den Bouter - Chief Transformation Officer bei Venator

Das Unternehmen habe entschieden, die Titandioxid-Produktion von Duisburg nach Uerdingen zu verlagern, „weil man zwei Drittel der Titandioxid-Menge aus Duisburg dort zu deutlich geringeren Fixkosten produzieren kann“, erklärt Arjen de Leeuw Den Bouter.

Der Transfer sei in etwa acht Monaten möglich. Die Produktion umgekehrt von Uerdingen nach Duisburg zu verlegen, „hätte dreimal mehr gekostet und zudem drei Jahre gedauert“, erläutert er.

Titandioxid-Anlage in Duisburg wird absehbar nicht wieder hochgefahren

Zurzeit wird die Titandioxid-Anlage in Duisburg wegen der niedrigen Nachfrage heruntergefahren. Das bedeute zwar nicht zwangsläufig ihren endgültigen Stillstand, meint Münstermann. „Dass man eine Anlage an- und wieder abfährt, kommt in der chemischen Industrie regelmäßig vor, zum Beispiel bei Wartungsarbeiten.“

Die Anlage werde in einem funktionsfähigen Zustand gehalten, „sodass wir sie wieder hochfahren könnten, sollte die Nachfrage wieder steigen“. Damit rechnet Arjen de Leeuw Den Bouter aber nicht: „Im Moment sehen wir nicht, dass die Anlage noch einmal hochgefahren wird, weil wir nicht erwarten, dass die Nachfrage steigt.“

Geschäft mit funktionellen Additiven „derzeit schon profitabel“

Nach der geplanten endgültigen Stilllegung der Titandioxid-Produktion bleibt in Duisburg das Geschäft mit funktionellen Additiven, kurz: FAD. Bisher hat es nach Unternehmensangaben nur knapp 35 Prozent des Umsatzes in Duisburg erzielt.

Die Titandioxidanlage des Venator-Werks in Duisburg: Bald will das Unternehmen den Stoff nur noch in Uerdingen produzieren.
Die Titandioxidanlage des Venator-Werks in Duisburg: Bald will das Unternehmen den Stoff nur noch in Uerdingen produzieren. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Wegen des geringeren Konkurrenzdrucks und niedrigeren Fixkosten sei das FAD-Geschäft jedoch zukunftsfähig, meint Münstermann: „Die FAD-Produktion ist derzeit schon profitabel und wir sind fest davon überzeigt, dass wir die Anlage in Homberg nachhaltig wirtschaftlich betreiben können.“

Er glaubt, Venator könne „die remanenten Fixkosten in einem vertretbaren Maß halten und über die Zeit abbauen“. Dadurch ließen sich im Duisburger Werk wieder Gewinne erzielen.

Zu wenige Investitionen? „Es ist alles getan worden, um das Werk am Laufen zu halten“

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) und der Betriebsrat des Duisburger Venator-Werks hatten gegenüber dieser Redaktion im Februar erklärt, seit der Übernahme durch den US-Konzern Huntsman in 2014 seien „nur Kleckerbeträge“ investiert worden, um das Werk zu modernisieren.

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Arjen de Leeuw Den Bouter findet jedoch: „Nur um das Werk am Laufen zu halten, sind erhebliche Investitionen getätigt worden.“ Teile der Anlagen und Drehöfen stammten aber noch aus dem 1950er Jahren, „und es gibt Anlagenteile, die noch älter sind“, ergänzt Münstermann.

Er sagt: „Es ist alles getan worden, um das Werk am Laufen zu halten, aber Erweiterungsinvestitionen sind nicht getätigt worden, weil die Auslastung dafür nicht ausgereicht hat.“

Sozialplan: Woran sich das Angebot des Konzerns orientiert

Bei der Kundgebung zum 1. Mai kritisierte Dieter Lieske, zweiter Vorsitzender des DGB in Duisburg, dass Venator viele Jobs streiche, während der Konzern „Boni in Millionenhöhe für verkommene Manager“ zahle.

Dem entgegnet Transformations-Chef de Leeuw Den Bouter: „Wir kommen gerade aus einem Insolvenzverfahren und haben in den vergangenen Jahren große Verluste gemacht. Die Eigentümer haben viel Geld verloren. Es gibt gar kein Geld, um diese Millionen überhaupt zu zahlen.“

Wir haben alle Positionen, die zurzeit in Uerdingen frei sind, auch in Duisburg ausgeschrieben und würden uns freuen, wenn möglichst viele Kollegen, die in Duisburg ihren Arbeitsplatz verlieren, hier eine neue Tätigkeit finden.
Fried-Walter Münstermann - Aufsichtsratsmitglied bei Venator

Der Betrag, den die Venator-Führung für den Sozialplan angeboten habe, sei „ein erheblicher Teil der noch zur Verfügung stehenden Mittel“, sagt Münstermann. Er orientiere sich nicht an den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Duisburger Werks, sondern an denen der ganzen Unternehmensgruppe. „In Deutschland können wir diese Mittel schon gar nicht erwirtschaften“, so Münstermann.

Stellen in Uerdingen: Diese Perspektive haben Duisburger Mitarbeiter

Dennoch gebe es für einen Teil der vom Stellenabbau betroffenen Mitarbeiter eine Perspektive im Unternehmen. In Uerdingen seien aktuell 35 Stellen unbesetzt. Zudem prüfe der Konzern, ob noch mehr Arbeitsplätze für Mitarbeiter aus Duisburg in Uerdingen geschaffen werden können, sagt Arjen de Leeuw Den Bouter.

Münstermann erklärt: „Wir haben alle Positionen, die zurzeit in Uerdingen frei sind, auch in Duisburg ausgeschrieben und würden uns freuen, wenn möglichst viele Kollegen, die in Duisburg ihren Arbeitsplatz verlieren, hier eine neue Tätigkeit finden.“

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