Duisburg. Ein Duisburger Unternehmer bekämpft den Pflegenotstand mit Auszubildenden aus Indien. Warum alle Beteiligten davon profitieren.
- Ein Duisburger Pflegedienst beschäftigt indische Auszubildende.
- Damit kämpft er gegen den Pflegenotstand.
- Warum Deutschland für die Inderinnen und Inder ein attraktives Ausbildungsland ist.
Der Pflegenotstand ist allgegenwärtiges Debattenthema. Ein Duisburger Unternehmer hält dagegen und bildet nun acht Azubis aus, deren Heimat über zwölf Flugstunden entfernt liegt. Die Hilfe ist jung, charmant und kommt aus Indien.
Vor zwei Jahren startete Georg Szalek, Geschäftsführer des Pflegedienstes „Erfolgreich pflegen“, einen Probelauf: Abin Dellis war sein erster indischer Azubi. Jetzt steht der 22-Jährige kurz vor dem Examen und lernt fleißig. Schon jetzt hat er einen Einser-Schnitt. „Ich werde gut vorbereitet“, lobt er seinen Arbeitgeber.
Am liebsten möchte Dellis in Duisburg bleiben und in der Ambulanten Pflege arbeiten. „Das ist das Schönste an dem Beruf, man ist sein eigener Chef, kann sich die Zeit einteilen, auch mal länger bei Menschen bleiben und sich um sie kümmern.“
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Pflegekräfte aus Indien: Warum Duisburg für sie interessant ist
In der Heimat von Abin Dellis, dem indischen Bundesstaat Kerala, gibt es überdurchschnittlich viele examinierte Pflegekräfte, die unterdurchschnittlich viel verdienen. Und es gibt viele Abiturienten, die gern eine Ausbildung in der Pflege machen würden. Im Süden Indiens ist sie jedoch kostenpflichtig.
Für viele Eltern ist das zu teuer, stattdessen investieren sie in die Vermittlungsgebühren und schicken ihre Kinder nach Deutschland. Hier verdient der Nachwuchs im ersten Ausbildungsjahr 1190 Euro, das reicht fürs Leben, um ein bisschen Geld heimzuschicken und einmal im Jahr nach Hause zu fliegen.
Varghese Rajesh hat aus den Bedürfnissen ein Geschäft gemacht, die EU Academics Consultancy. Der Inder lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Er knüpft die Kontakte, kümmert sich hier wie in Indien um alle Dokumente und wirkt wie eine väterliche Ansprechperson für die jungen Menschen. Wenn sie am Flughafen ankommen, ist eine Wohnung für sie bereits gemietet und möbliert.
Bis zur Ankunft in Deutschland haben die Azubis bei der Agentur in Indien bereits Deutschkurse besucht und kommen dann mit einem B2-Niveau nach Duisburg. Hier sorgt Rajesh dafür, dass der Spracherwerb weitergeht, „Sprache ist der Schlüssel“, weiß er. Viele Vokabeln kommen im beruflichen Alltag hinzu. Mit Rollenspielen trainieren sie Fachgespräche und medizinische Begriffe.
Das Ziel aller Beteiligten sei, dass sie drei Jahre lang die Ausbildung durchziehen und dann als examinierte Pflegekraft arbeiten können, sagt Rajesh. „90 Prozent der Azubis bleiben in Deutschland.“ Inzwischen kommen rund 200 jährlich und finden Anstellung an Krankenhäusern und bei Pflegedienstleistern im Rheinland und am Niederrhein.
Deutschland sei ein attraktives Ziel, weil die Pflegekräfte nach erfolgreichem Abschluss und mit einem festen Einkommen ihre Familie nachholen können. Arabische und englischsprachige Länder, die ebenfalls Fachkräfte suchen, sind wegen der Sprache teilweise interessanter, aber die Aufenthaltsbestimmungen seien weniger attraktiv.
Für indische Azubis ist die Tagespflege ein guter Einstieg
Georg Szalek ist schon lange im Geschäft, in seinem 2006 gegründeten Unternehmen arbeiten inzwischen 75 Mitarbeiter für 500 Klienten, 20 Plätze gibt es in der Tagespflege. Seine neuen Azubis lernte er in Videokonferenzen kennen. Sie machen jetzt die generalisierte Ausbildung, schnuppern in alle Bereich der Pflege rein.
Szalek erscheint seine Kombination aus Tagespflege und ambulanter Pflege vor allem für den Einstieg ideal: Unter den täglich anwesenden Gästen seien viele demenziell verändert, „da geht es ruhig zu, ohne Hektik, auch die Ganzwaschung fällt zunächst weg“. Mohammed Aman, Tiya Toby und Charles Ajo wissen das zu schätzen: „Die älteren Menschen reden langsam“, sagt Ajo. „Wir verstehen nicht alles, aber das Meiste.“
Die indischen Mitarbeiter lernen Rummikub, helfen bei Würfelspielen und assistieren beim Mittagessen. Es gibt Sauerkraut, Kartoffelpüree und Kassler. Da treffen Kulturen aufeinander.
Ist das ein Problem? Nicht für Szalek, dessen Team den üblicherweise mit der Hand essenden Indern den Umgang mit Besteck zeigte und auch sonst eine Sensibilität für Unterschiede entwickelt hat, wie er sagt. Der Chef hat auch sonst eine klare Haltung: „Wenn einer unserer Kunden Kopftuchträgerinnen oder Menschen mit anderer Hautfarbe nicht bei sich haben will, dann ist er bei uns nicht richtig.“
Herzliche Umarmung zwischen den Senioren und den jungen Pflegekräften
Die Azubis lächeln viel, packen an, schenken Nähe. Für Seniorinnen wie Renate Behring und Wilma Matzwitzki ist das schön. Einfache Sätze gelingen den jungen Indern gut, aber darauf kommt es gar nicht so an.
Auch vom Nachbartisch, wo Meryjuliet Saju der Damenrunde hilft, kommt Lob in Form einer herzlichen Umarmung. Die 21-Jährige macht in Europa einen zweiten Anlauf. Ihr Medizinstudium hatte sie zunächst in der Ukraine aufgenommen, musste dann wegen des Kriegs fliehen. Jetzt hofft sie auf eine Ausbildung ohne Unterbrechung. Und lächelt so freundlich, dass den Gästen das Herz aufgeht.
Georg Szalek bekennt, dass er anfangs misstrauisch war. Schon häufiger hatten sich Vermittler aus aller Herren Länder bei ihm gemeldet. Sein Risiko ist zwar übersichtlich, weil er etwa die Ausbildungsgehälter über das Umlageverfahren zurückbekommt. Ein Investment sind die ausländischen Azubis dennoch. Sie brauchen mehr Begleitung, mehr Praxisanleitung, weil vieles für sie nicht selbstverständlich ist. In Indien gibt es nicht so viele Pflegeheime, viele Ältere bleiben im Kreis der Familie wohnen.
Die indischen Azubis seien schnell eng mit den Klienten, freut sich der Geschäftsführer. „Wir wollen das Leben der Menschen gestalten, die Angehörigen entlasten.“ Ihm geht es bei der Versorgung um Wertschätzung, nicht um unterschiedliche Wurzeln: „Das Ruhrgebiet ist ja auch multikulti.“
>> DER PFLEGENOTSTAND IN ZAHLEN
Das Statistische Bundesamt hat vorausberechnet, dass 2049 bundesweit 1,87 Millionen Pflegekräfte benötigt werden, die für rund 2,74 Millionen Pflegebedürftige zuständig wären. Der Status quo der Pflegekräfte liegt dann rechnerisch aber nur bei 1,46 Millionen. Der Pflegeberuf gilt schon länger als Engpassberuf.
In Duisburg waren Ende 2021 insgesamt 38.280 Bürgerinnen und Bürger einem Pflegegrad zugeordnet. In den vergangenen Jahren stieg der Anteil Pflegebedürftiger in Drei-Jahres-Sprüngen gemessen im Schnitt um bis zu 30 Prozent. In der letzten Senioren- und Pflegeplanung ging die Stadt Duisburg davon aus, dass die Zahl der 65-Jährigen ab 2023 moderat steigen werde und schon jetzt bei über 100.000 liegt.
>> AUSBILDUNG ZUR PFLEGEFACHKRAFT
- Seit 2020 gibt es bundesweit eine generalistische Ausbildung für Arbeitsplätze in der Pflege. Unabhängig vom Träger lernen die Azubis binnen drei Jahren alle Bereiche kennen, arbeiten in der Kinder- und Altenpflege, im Krankenhaus und in der Ambulanten Pflege.
- Im letzten Drittel der Ausbildung können sich die Azubis entscheiden, ob sie Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann werden wollen oder ob sie sich spezialisieren wollen auf die Kinderkranken- oder Altenpflege.
- Die generalistische Ausbildung ist EU-weit automatisch anerkannt, die Spezialisierung zur Alten- und Kinderpflege nicht.
- Weitere Informationen stehen auf der Webseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: www.pflegeausbildung.net