Duisburg-Vierlinden. 74 Pflegebedürftige in Duisburger Einrichtungen erinnern sich an wichtige Erlebnisse und Anekdoten. Daraus entstand ein abwechslungsreiches Buch.
Auf das Ergebnis sind alle stolz. Im Elisabeth-Groß-Haus in Duisburg-Vierlinden sind an diesem Nachmittag fünf Bewohner sowie zwei Pflegekräfte im Gemeinschaftsraum zusammengekommen, um ihr neues Buch „Wir sind viele!“ zu präsentieren. Im Pandemiejahr 2021 haben insgesamt 74 Pflegebedürftige, die in den zahlreichen Einrichtungen der Heimstatt St. Barbara leben – Senioren und junge Menschen gleichermaßen – ihr Leben Revue passieren lassen. Die für sie jeweils wichtigsten Erlebnisse und Erfahrungen haben sie mithilfe von Gästen der Tagespflege und mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Papier gebracht. Herausgekommen ist ein Sammelband mit 159 Seiten voller unterschiedlicher Geschichten, darunter Fluchterfahrungen, Gedichte oder Kochrezepte.
„Viele Autorinnen und Autoren hatten schon vergessen, dass sie am Gemeinschaftsprojekt teilgenommen haben“, lacht die Leiterin des Sozialen Dienstes, Ursula Sieg, den Blick auf die anwesenden Bewohner gerichtet. Einige von ihnen schmunzeln, andere wiederum halten ihr Buch etwas ungläubig, aber sichtlich gerührt in ihren Händen.
Gemeinsames Erinnern schweißt Duisburger Pflegebedürftige zusammen
„Uns ging es um ein gemeinsames Erinnern, und am Ende haben wir uns die Geschichten in Gruppen vorgelesen“, erzählt Gina Hackl zufrieden. Die 53-Jährige offenbart dem Leser in ihrer Geschichte einen Einblick in ihre Jugend. Dabei geht es um ihre Abschlussfete nach der zehnten Klasse. „Ich wollte einfach eine unbeschwerte Zeit beschreiben“, erklärt sie. Von Übernachtungsfeiern bei Freundinnen über erste Erfahrungen mit Alkohol bis hin zu einem leckeren Salatrezept für die damaligen Mitbringfeten – Gina Hackl ist sichtlich erfreut, dass sie mit dem Buch anderen von ihrer Jugend berichten darf.
Neben ihr ist die Stimmung bei der Buchpräsentation dagegen eher gedrückt. Denn Irma Haenleins Blick in die Vergangenheit ist alles andere als einfach für die 95-Jährige. 1944, mitten im Zweiten Weltkrieg, musste sie den befohlenen Arbeitsdienst in Pommern antreten, und als die Russen kamen, begann ihre chaotische Flucht über Klagenfurt, Duisburg, Wolfenbüttel und schließlich wieder zurück nach Duisburg. „Ich habe schlimme Erfahrungen gemacht“, erzählt sie, den Blick und die Stimme gesenkt. „Wir hatten gar nichts damals!“
Das Erinnern fällt der Seniorin sichtlich schwer. Dennoch sei sie froh, nach anfänglicher Abwehr doch noch am Buch mitgeschrieben zu haben, um andere an ihren Fluchterfahrungen teilhaben zu lassen. Schließlich sei ihr erst heute bewusst, „wie viele gute Menschen“ sie auf dieser Reise getroffen habe.
Das Buchprojekt berührt die Teilnehmer ganz unterschiedlich
Auch interessant
Das Buchprojekt berührt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf ganz unterschiedliche Art. Die einen warnen in ihren Texten vor den Folgen von Krieg und Zerstörung, andere wiederum wollen mit teils humorvollen Anekdoten für Erheiterung sorgen. In jedem Fall habe das gemeinsame Erinnern zu einem regen Austausch untereinander geführt. „Ich fand meine Geschichte im Vergleich zu den Kriegserlebnissen anderer eher banal“, sagt Gina Hackl. Doch die Älteren sahen das anders. Viele hätten sich gefreut, in eine so fröhliche Teenager-Zeit mitgenommen zu werden.
Die Erzählungen der Heimbewohner sorgen für Identifikation und schaffen ein einzigartiges, generationenübergreifendes Miteinander. Besonders deutlich wird das, als es um die zahlreichen Rezepte geht, die einige Autoren beigesteuert haben. Als die 1933 geborene Hildegard Eckmann auf ihren Schichtsalat oder ihre Herrencreme angesprochen wird, die sie früher für ihre 17-köpfige Familie zubereitete, bekommen die anderen Mitbewohner leuchtende Augen – und ordentlich Appetit. „Das müssen wir hier auch mal zusammen zubereiten!“, ruft Ursula Sieg und alle nicken eifrig. Hildegard Eckmann lächelt, sie ist sichtlich gerührt. „Ich habe früher viel gekocht für meine Familie, das war meine große Leidenschaft.“
Der letzte Rückblick für manch ältere Autoren
Die Stimmung ist gelöst bei der Buchpräsentation, hier und da ist ein Lachen zu hören. „Viele Autoren sind gerührt, dass sie sich im Buch noch einmal verewigen durften“, so Ursula Sieg. Für manche der Älteren sei das Niederschreiben ihrer Geschichten, weiß sie, der wohl letzte Rückblick im Leben gewesen. Eine Autorin ist vor Kurzem verstorben.
>>> HEIMSTATT ST. BARBARA HAT 5 EINRICHTUNGEN IN DUISBURG
● Das Elisabeth-Groß-Haus wurde 2007 gegründet und ist eine vollstationäre Pflegeeinrichtung mit christlicher Prägung, in dem 14 junge Pflegebedürftige und 44 Senioren in Einzelzimmern ein neues Zuhause finden.
● Gemeinsam mit dem Altenheim St. Barbara an der Josefstraße 5 ist das Elisabeth-Groß-Haus eines der beiden vollstationären Pflegeeinrichtungen der Heimstatt St. Barbara. Hinzu kommen mit dem Bornefeldhaus, dem Josef-Helmus-Haus sowie dem Hildegard-Bienen-Haus die nahe gelegenen Einrichtungen für betreutes Wohnen und Tagespflege.