Duisburg. Die Influencerin @xsilemx war Referendarin, wollte Lehrerin werden. Warum ihr großer Instagram-Kanal ihr dabei fast zum Verhängnis wurde.

Kann man an einer Schule ein Referendariat machen und gleichzeitig einen reichweitenstarken Instagramaccount betreiben? Melis Yesilöz konnte es am Ende nicht: Ihr Referendariat an einer Duisburger Gesamtschule hat sie nach massivem Ärger mit dem Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Duisburg wegen ihrer Social-Media-Aktivitäten abgebrochen.

Inzwischen arbeitet die 28-Jährige als Lehrerin an einer Waldorfschule – zunächst an der mittlerweile geschlossenen Einrichtung in Duisburg und aktuell in Düsseldorf – da kann sie sehr wohl beiden Leidenschaften nachgehen: Tagsüber Kinder unterrichten, abends auf ihrem Kanal @xsilemx 138.000 Follower unterhalten. Damit hat sie doppelt so viele Follower wie der MSV Duisburg, zehn mal so viele wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Ist das ein Hindernis für ein Leben als verbeamtete Lehrerin? Die Frage treibt Yesilöz um.

Influencerin: Referendariat in der Corona-Pandemie

Nach dem Biologie- und Philosphie-Studium hatte Yesilöz an der Gesamtschule Emschertal ein Praktikum gemacht, hier wollte sie auch ihr Referendariat machen. Aber Corona-Pandemie und Schulleiterwechsel hätten zu sehr herausfordernden Situationen geführt. Die Schüler fanden sie schnell auf Instagram, „sie fanden das interessant und stellten viele Fragen“. Andere Lehrkräfte hätten aber ein Problem damit gehabt, nannten ihre Bilder zu freizügig, fast erotisch.

Um einen Mentor zu finden, habe sie den Lehrern hinterherrennen müssen, der erste Unterrichtsbesuch habe ohne Mentor stattgefunden, und „ich war am Ende mit den Nerven“. Hilfe suchte sie bei ihrem Seminarleiter, der habe nur empfohlen, sie solle ihren Kanal auf privat stellen, „und dann drohte er, mich sonst bei der Bezirksregierung zu melden“.

Instagram-Kanal setzt auf schöne Haare

Was sieht man denn bloß auf Insta von ihr? Das Hauptthema sind ihre sehr langen, sehr schönen schwarzen Haare. Yesilöz gibt Pflege- und Stylingtipps, posiert in unterschiedlichen Settings. Sie postet auch Fotos von Urlaubsreisen, von ihrer Hochzeit und gibt Einrichtungstipps, macht häufig Videos, zeigt ihren Alltag mit Mann, Hund, Job. Das meiste ist auf Deutsch, manches auf Englisch oder Türkisch.

Es gibt eine Rubrik Teaching, auf den älteren Videos zeigt sie sich vor der Tafel, manchmal ist auch ihr Hund Bubi mit in der Klasse, Kinder sind höchstens mal von hinten zu sehen. Ihre Kleidung unterscheidet sich deutlich von den Looks, die sie privat trägt.

Für den Seminarleiter könne sie damit aber kein Vorbild sein, das sei skandalös, zitiert ihn Yesilöz. „Er hat mich bedroht, diskriminiert, gestalked“, sagt sie, die Situation habe sie krank gemacht. Über Monate fiel sie im Schuldienst aus. Dass sie in der Zeit Fotos von alten Reisen postete, nahm der Seminarleiter zum Anlass, zu mutmaßen, sie sei wohl nicht krank, sondern unterwegs. Die Influencerin bezeichnet das als mangelnde Medienkompetenz.

Eine „Problemanzeige“ des Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung in Duisburg hält fest, dass es „Unstimmigkeiten“ mit Melis Isik gab, wie sie vor ihrer Hochzeit hieß: „Der Grund dafür waren inszenierte, von vielen Schülerinnen und Schülern der Schule wahrgenommene Foto-Selbstdarstellungen von Frau Isik auf Instagram, die in Kleidung und Rollenverhalten keinesfalls dem Anspruch an die Vorbildrolle von Lehrpersonen und an die pädagogische Haltung entsprechen, die auch eine angehende Lehrkraft an den Tag legen sollte.“

Melis Yesilöz ist gern Lehrerin an einer Waldorfschule. Noch lieber hätte sie ihr Referendariat beendet, um an einer Regelschule zu unterrichten. Ihr reichweitenstarker Instagram-Account sei manchen aber ein Dorn im Auge gewesen.
Melis Yesilöz ist gern Lehrerin an einer Waldorfschule. Noch lieber hätte sie ihr Referendariat beendet, um an einer Regelschule zu unterrichten. Ihr reichweitenstarker Instagram-Account sei manchen aber ein Dorn im Auge gewesen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Beklagt wird, dass die Referendarin auch den Schulfrieden gestört habe, weil sie auf Instagram die Wirksamkeit von Corona-Schutzmaßnahmen geleugnet habe. Yesilöz sagt, dass sie geimpft sei, sich geschützt und Maske getragen habe, dass sie auf ihrem Account aber auch die psychischen Belastungen gewisser Maßnahmen beschrieben habe und diese wissenschaftlich überprüft werden müssten. Ihre Aussagen seien vom Seminarleiter aus dem Kontext gerissen worden. „Es ging mir gesundheitlich richtig schlecht, ich habe an meiner Berufswahl gezweifelt.“ Eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihren Seminarleiter ist allerdings im Sande verlaufen.

Die junge Frau ist sauer. Mit ihrem Wissen über soziale Netzwerke sei sie vermutlich näher dran an ihren Schülern als andere Lehrkräfte. Diese würden ihr unterschwellig aber das Gefühl geben, nicht intellektuell genug zu sein, „nur weil ich über Make-up und Outfits schreibe“.

Als erste aus ihrer Familie habe sie studiert, in der Regelstudienzeit. „Lehrerin werden war immer mein Herzenswunsch!“ Ihr Vater hatte ihr empfohlen, auf eine Hochzeit zu setzen. „Ich kämpfe mein ganzes Leben für Emanzipation, für Selbstbestimmung.“

Darf man als Lehrkraft auf Social Media aktiv sein?

Anfragen an die Schulleitung und die Seminarleitung blieben unbeantwortet, die Bezirksregierung äußerte sich für alle stellvertretend. Demnach gibt es in NRW laut einer Sprecherin aus Düsseldorf keine Rechtsgrundlage, die eine Nutzung sozialer Medien von Lehrkräften und angehenden Lehrkräften generell untersagt. „Allen Lehrkräften muss jedoch bewusst sein, dass eine unsachgemäße Nutzung des eigenen Profils Beschwerden und dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann“, schreibt sie.

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Der Kontakt zu Schülerinnen und Schülern über soziale Netzwerke könne zu einer Vermischung von dienstlichen und privaten Anliegen führen, sodass die professionelle Haltung einer Lehrkraft und die notwendige Distanz zu den Schülerinnen und Schülern nicht mehr ausreichend gewahrt werde. Aus diesem Grund weisen Schulen immer wieder auf die Risiken und den Umgang mit Social Media hin.

Das gelte ebenso bei Social Media Accounts von Lehrkräften mit besonders großer Reichweite. „Auch hier muss die Nutzung im Einklang mit der Lehrertätigkeit stehen.“

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Zu dem Vorwurf des fehlenden Mentors sagt die Sprecherin, dass die Referendarin „durch den Ausbildungsbeauftragten der Schule betreut“ wurde, der Schulleiter habe an „mindestens einem Unterrichtsbesuch teilgenommen“. Und weiter: „Trotz der schwierigen Situation während der Corona-Pandemie wurde eine Betreuung stets sichergestellt.“

Darf man als Lehrkraft parallel auf Instagram Geld verdienen?

Mit ihrem Account könnte Yesilöz gut verdienen, „mehr als mein Lehrergehalt“, sagt sie. „Ich habe es aber als Hobby gemacht, habe nur mal Kleinigkeiten bekommen, Schmuckstücke etwa.“ Geld habe sie während des Referendariats nicht damit gemacht. Der Seminarleiter habe sie aber der beamtenrechtlichen Pflichtverletzung bezichtigt und behauptet, sie würde unrechtmäßig Geld verdienen.

Modebloggerin Lisa Köchling aus Essen hat augenscheinlich weniger Probleme. Sie arbeitet als Lehrerin an einer Gesamtschule und betreibt zugleich ihr Instagram-Profil @lisajohannak mit rund 14.900 Followern. Werbepartnerschaften ermöglichen ihr regelmäßige Einnahmen, erzählte sie in einem Interview mit der Essener Redaktion. Aktuell ist die Influencerin allerdings im Mutterschutz.

Generell verboten ist die Insta-Aktivität ohnehin nicht: Die Sprecherin der Bezirksregierung sagt: Bei Nebenverdiensten über soziale Medien gilt, wie auch bei allen anderen Nebentätigkeiten, dass Lehrkräfte eine Nebentätigkeit beantragen bzw. anzeigen müssen.

In Duisburg starteten in den vergangenen Jahren jährlich je rund 120 Lehramtsanwärter. Nur ein bis zwei hätten das Referendariat abgebrochen, teilweise seien sie später wieder eingestiegen, berichtet die Bezirksregierung. Die Bezirksregierung betont, dass sich Melis Yesilöz jederzeit erneut bewerben könne, um ihr Referendariat zu beenden. Der Zug dürfte allerdings abgefahren sein.

Zum Beginn des Referendariats werden Lehramtsanwärterinnen und -anwärter im Rathaus von Duisburg vereidigt und sind dann Beamte auf Widerruf. Diese angehenden Lehrkräfte haben im April 2023 begonnen.
Zum Beginn des Referendariats werden Lehramtsanwärterinnen und -anwärter im Rathaus von Duisburg vereidigt und sind dann Beamte auf Widerruf. Diese angehenden Lehrkräfte haben im April 2023 begonnen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

>>DIESE GRUNDSÄTZE GELTEN FÜR LEHRKRÄFTE AUF SOCIAL MEDIA

Eine Sprecherin der Bezirksregierung erklärt: Generell muss die Nutzung von Social Media von Lehrkräften oder anderweitige Veröffentlichungen im Internet unter anderem folgende Grundsätze berücksichtigen:

  • Landesbedienstete haben sich in der Öffentlichkeit nur so zurückhaltend zu äußern, dass das öffentliche Vertrauen in ihre unparteiische, gerechte und gemeinwohlorientierte Amtsführung keinen Schaden nimmt.
  • Landesbedienstete haben im Rahmen der geltenden Gesetze die Politik der Landesregierung loyal zur Grundlage ihrer Arbeit zu machen, soweit sie nicht aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen sind.