Duisburg. Eine Gedenktafel soll bald an einen der schlimmsten Brandanschläge in der Duisburger Geschichte erinnern. Warum ein Anwalt dagegen protestiert.
Ein Brandanschlag auf ein Haus in Duisburg-Wanheimerort, in dem Menschen mit türkischen und jugoslawischen Wurzeln leben. Eine Täterin, die sieben Tote der Familien Satir und Turhan auf dem Gewissen hat und später auch im Keller eines Asylbewerberheimes gezündelt hat: Können diese Taten anders als fremdenfeindlich motiviert gewesen sein?
Die Initiative 26.08.1984 glaubt, dass dieser Hintergrund nicht ausreichend ermittelt wurde, und hat in den vergangenen Jahren mehrfach Veranstaltungen organisiert, zum Teil gemeinsam mit Hinterbliebenen der Opferfamilien. Der Integrationsbeirat beantragte eine Gedenktafel, die zum 39. Jahrestag am Samstag aufgehängt wird, um der Opfer zu gedenken und zugleich gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus zu mahnen.
Die Politisierung des Brandanschlags und die Behauptung, es sei nicht ausermittelt, nicht geurteilt worden, verärgert Heinz Schmitt. Der Kampf gegen rechtsgerichtete Gewalt ist auch ihm ein Anliegen: „Der Brandanschlag 1984 ist dafür aber das falsche Mittel.“
Urteil am Landgericht Duisburg: Neun Jahre Haft für versuchten Mord
Schmitt ist Rechtsanwalt und vertrat die Täterin Evelyn D. in vielen Prozessen. Er gehört zu den wenigen noch Lebenden, welche die Täterin über Jahre kannten. Befragt wurde er nach eigenen Angaben aber weder von der Initiative noch von der Stadt. Dabei ist für ihn klar: „Hier gibt es keinen rechtsextremistischen Hintergrund.“
Eine Schwurgerichtskammer prozessierte nach dem Geständnis der Täterin 1996 mehrere Tage, hörte viele Zeugen und Gutachter. Schmitts Mandantin wurde schließlich wegen besonders schwerer Brandstiftung zu neun Jahren Haft verurteilt. Das Feuer im Asylbewerberheim brachte ihr wegen Brandstiftung und versuchten Mordes weitere 8,5 Jahre Haft ein. Hier ging man davon aus, dass ihr die Gefahr für die Bewohner bewusst war. „Wenn die Polizei weiter ermittelt hätte, wäre nichts anderes dabei herausgekommen“, ist er sicher.
Heinz Schmitt arbeitet seit 1975 als Rechtsanwalt in Hochfeld. Inzwischen ist er 77 Jahre alt, aber immer noch im Dienst. „Ich mache es gern, es macht mir Freude“. Im Oktober 1984 lernte er Evelyn D. kennen. Damals saß sie in Untersuchungshaft, weil sie Müllcontainer in Brand gesetzt hatte. Dass sie für den Tod von sieben Menschen verantwortlich ist, wusste Schmitt damals nicht. Für die Brände, bei denen sie erwischt wurde, kam sie zunächst zehn Tage in Untersuchungshaft, wurde später zu einer Haftstrafe von 18 Monaten ohne Bewährung verurteilt, weil ihr Motiv offenblieb. Im Februar 1986 wurde sie entlassen, im April zündelte sie sofort wieder. „Die Haft hat nichts bewirkt“, konstatiert Schmitt.
Das weiß man über die Täterin
Erst zehn Jahre später bat seine Mandantin die ermittelnden Polizisten zu sich ins Gefängnis und bekannte die Tat in Wanheimerort. Die Täterin starb eines natürlichen Todes in einer psychiatrischen Landesklinik. Als sie den Anschlag in Wanheimerort beging, war Evelyn 24 Jahre alt. Dieser erste Brand war der Anfang einer langen Serie.
„Ich habe sie in all den Jahren fleißig verteidigt, 1995 waren es bereits über 30 Fälle“, erzählt Schmitt, sie selbst sprach sogar von über 100 Fällen. Müllcontainer, Vorhänge im Krankenhaus, Sperrmüll an Hauswänden, Obstkisten an Supermärkten. Die Raucherin hielt in ganz Duisburg, teilweise auch in Dinslaken ihr Feuerzeug an brennbare Dinge. Fuhr mal mit dem Auto umher, mal mit dem Mofa.
Teilweise alarmierte sie selbst die Feuerwehr, um die Löscharbeiten beobachten zu können. In einem Fall ging ihr das zu schnell, da zündelte sie am nächsten Tag gleich noch mal und wartete dann, bis andere die Rettungskräfte riefen. Immer wieder wurde die Pyromanin erwischt, der Strafrahmen stieg kontinuierlich. Der Sachschaden ging in die Zigtausende Euro.
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Die Motivation, die während des Prozesses 1996 herausgearbeitet wurde und durch Gutachten belegt ist, ist nach Ansicht der Experten in ihrer neurotischen Persönlichkeitsstruktur mit Neigung zu Zwangsverhalten begründet. Man erkannte eine verminderte Schuldfähigkeit. Überbehütende Eltern und ein unsicheres Selbstbild führten dazu, dass sie trotz eines Intelligenzquotienten von 117 ihr Abitur nicht schaffte, Probleme in der Ausbildung hatte und insgesamt viele Frustrationserlebnisse zunächst mit einer Esssucht kompensierte.
Der Abend des Brandanschlags
Das Haus in Wanheimerort fiel Evelyn zufällig ins Auge, konstatierten die Richter. So wie sie später immer wieder durch ganz Duisburg fuhr und willkürlich Orte zum Zündeln auswählte, so kam die Walsumerin auch zufällig auf dem Rückweg aus Düsseldorf an dem Haus in Wanheimerort vorbei, heißt es im Urteil.
Evelyn hatte sich am Abend mit Bekannten in der Altstadt treffen wollen, verpasste diese aber. Gefrustet fuhr sie zurück, kurvte durch Duisburg. Auf der Wanheimer Straße leuchtete kurz nach Mitternacht eine Straßenlaterne in die offene Haustür von Haus Nummer 301, der Flur stand voll mit aussortiertem Mobiliar.
Da sie gerade erst eine neue Wohnung bezogen hatte, der noch Möbel fehlten, überprüfte sie vergebens, ob etwas für sie dabei ist. Spontan zog die Raucherin ihr Feuerzeug und hielt die Flamme unter einen Sessel. Als Flammen sichtbar wurden, verließ sie das Haus und fuhr nach wenigen Minuten los in Richtung Innenstadt.
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Als ihr mehrere Feuerwehrfahrzeuge entgegenkamen, wendete sie mit einem „unguten Gefühl“ und beobachtete aus 200 Metern Entfernung, dass das Haus in Flammen stand. Im Radio erfuhr sie später vom Ausmaß des Brandes.
Im Verfahren zehn Jahre später sagte sie zu ihrem Beweggrund laut Urteil, es sei „plötzlich über sie gekommen“, möglicherweise aus Frust über den verpatzten Abend. Über Folgen ihres Handelns habe sie sich keine Gedanken gemacht, auch nicht, dass so ein großer Brand entstehen könnte.
Täterin wollte „nicht ungeschoren davonkommen“
Warum rückte sie erst so spät mit der Wahrheit heraus? Weil sie in den psychiatrischen Untersuchungen nicht mehr lügen wollte, berichtet Rechtsanwalt Schmitt. Ihr sei bewusst gewesen, dass die Tat schrecklich und unverzeihlich ist und sie nicht ungeschoren davonkommen kann. Bestraft wurde sie stellvertretend für die vielen Zündeleien und Brandstiftungen im Laufe der Jahre.
Und wie politisch war Evelyn? „Sie war es überhaupt nicht“, sagt Schmitt. Sie stammte aus einem „total unpolitischen Haushalt“, sie scherte sich gedanklich überhaupt nicht um gesellschaftspolitische oder migrationspolitische Fragen. „Ich hatte immer den Eindruck, da sitzt eine total unpolitische Frau vor mir“, beschreibt es der Anwalt.
Er selbst ist durchaus politisch, eine Nähe zum rechten Gedankengut kann man bei ihm allerdings schwerlich konstruieren. Schmitt studierte in Berlin, stand der linken Szene nah. In Duisburg war er drei Jahre lang Beiratsvorsitzender im legendären soziokulturellen Eschhaus. „Damals wurde ich von der rechten Szene angegriffen, weil ich kostenlose Rechtsberatung angeboten habe“, erinnert er sich.
>> Ermittelt das LKA erneut im Fall Wanheimerort?
- NRW-Innenminister Herbert Reul hat initiiert, dass 25 Mordfälle mit 30 Todesopfern aus den letzten 40 Jahren nachträglich durch das Landeskriminalamt auf einen rechtsextremen Hintergrund geprüft werden sollen.
- „ToreG NRW“ (Todesopfer rechter Gewalt NRW) heißt das Projekt, und der Fall in Wanheimerort ist angeblich Teil davon. LKA-Sprecher Udo Rechenbach will das allerdings nicht bestätigen. Er sagt, dass die Ergebnisse für alle Fälle gebündelt im Herbst vorgestellt werden sollen.