Duisburg. Sieben Mitglieder einer türkischen Familie sterben bei einem Brand in Duisburg. 35 Jahre danach gibt es Zweifel an der Ermittlung und dem Urteil.

Duisburg, 26. August 1984. Es ist 0.29 Uhr, als in der Notrufzentrale der Feuerwehr die Telefone klingeln. Es brennt in Wanheimerort. Ein Mehrfamilienhaus an der Ecke Wanheimer Straße und Fischerstraße steht in Flammen.

Ein Brandanschlag, wie sich erst viel später herausstellen wird. Eine Tat, deren Motiv und Aufarbeitung 35 Jahre später in Frage gestellt werden.

Der Brand, der sieben Menschen das Leben kostet

Augenzeugen und Helfer berichten dem Reporter der WAZ damals: „Grausige Szenen haben sich abgespielt. Gellende Hilfeschreie auf türkisch haben uns geweckt. Frauen sprangen in Angst vor dem Feuer in die Tiefe. Die Flammen schlugen meterweit aus den Fenstern. Man hätte meinen können, da drinnen sind Flammenwerfer eingesetzt worden. Die Frauen ließen sich auf das Pflaster fallen. Die Blutüberströmten wurden von Anwohnern versorgt, bis die Notärzte kamen und sie wegfahren ließen.“

Sieben Menschen kommen in den Flammen ums Leben. Sie haben keine Chance. Das Feuer überrascht fast alle 57 Bewohner des schmucklosen, dreistöckigen Eckhauses im Schlaf. Es sind „Gastarbeiter“, wie man damals zu sagen pflegt. Hauptsächlich aus der Türkei. 23 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Ramazan Satir verliert fast seine ganze Familie. Seine Ehefrau, zwei seiner drei Töchter, sein Sohn, zwei Enkelkinder und sein Schwiegersohn sterben in jener Nacht. Sie verbrennen, ersticken oder springen aus dem Fenster in den Tod.

Ramazan Satir selbst muss von mehreren Männern davor zurückgehalten werden, die brennenden Holztreppen hinauf zu steigen, um zu seiner Familie zu gelangen. Nur Minuten zuvor sitzt der 38-Jährige noch in seinem Stammlokal und spielt Karten, bevor er mit einem Schlag für immer den Boden unter den Füßen verlieren wird.

Die türkische Tageszeitung Cumhuriyet berichtet später, dass Satir während der Beerdigung seiner Familie in der Türkei mehrmals mit Beruhigungsspritzen versorgt werden muss und wiederholt in Ohnmacht fällt. Er arbeitet in Duisburg als Fabrikarbeiter. 1985, ein Jahr nachdem er seine Familie verloren hat, lebt er wieder in der Türkei und rast auf der Schnellstraße mit seinem Auto in einen Schwerlasttransporter. Er stirbt, so die Tageszeitung Milliyet, auf der Stelle.

Das Geständnis der Täterin und die Zweifel

Die polizeiliche und juristische Aufarbeitung des Brandes erlebt Ramazan Satir nicht mehr. Erst zehn Jahre nach dem Anschlag auf das „Gastarbeiterhaus“ in Wanheimerort wird die Täterin eher zufällig gefasst. Eine 34-jährige Frau gesteht am 26. Mai 1994 gegenüber der Polizei, das Feuer im Treppenhaus gelegt zu haben. Auf die Schliche sind die Ermittler der Frau gekommen, weil sie verdächtigt wurde, am 26. Januar 1993 ein Feuer in einem Asylbewerberheim an der Duisburger Straße gelegt zu haben, in dem damals 113 Personen lebten. „Durch diesen Brand wurden mehrere Personen verletzt, es kam aber glücklicherweise niemand zu Tode“, berichtet der heutige Duisburger Staatsanwalt Alexander Bayer. Auf Anfrage unserer Redaktion hat sich Bayer die Akten aus dem Archiv zukommen lassen. Denn inzwischen gibt es Zweifel am damals vom Gericht festgestellten Motiv von Evelin D..

„Sie ist psychisch krank gewesen. Deshalb wurde mit Urteil vom 30.12.1996 die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, wo sie am 25. Januar 2010 eines natürlichen Todes starb. Das Motiv der Tat ist in ihrer Erkrankung zu sehen. Ein ‚rationales‘ Motiv gab es nicht“, so Bayer.

Das glaubt die „Initiative DU 26. August 1984“ nicht. Während einer Recherche zur "Geschichte der Selbstorganisierung von Migranten im Ruhrgebiet" sind die Soziologin Ceren Türkmen und ihre Mitstreiter auf den Fall aufmerksam geworden. Die Aktivisten vermuten Ausländerfeindlichkeit hinter der Tat und werfen Polizei und Justiz vor, den Brandanschlag „entpolitisiert“ zu haben. „Die Ermittler sollen uns beweisen, wie sie das Motiv Rassismus überprüft haben. Zwei Anschläge, sieben tote Menschen und das Wissen um institutionelle Versäumnisse nach der Erfahrung des NSU sind Grund genug, den Fall erneut aufzurollen“, sagt Türkmen.

Die Ermittler und das Motiv Ausländerfeindlichkeit

Tatsächlich legen sich Staatsanwaltschaft und Polizei bereits eine Woche nach dem Brand darauf fest, dass es „ausgeschlossen“ sei, dass das Feuer aufgrund von Ausländerfeindlichkeit gelegt worden sei. Und auch der damalige Kommissar und spätere Polizeiausbilder Elmar Zimmermann erklärt drei Wochen nach dem Anschlag gegenüber der WAZ, dass die Ermittlungen zwar noch auf Hochtouren liefen, zwei wichtige Ermittlungsergebnisse jedoch „bombensicher“ feststünden: „Entgegen anderslautenden Berichten ist ein Anschlag völlig auszuschließen. Das Gutachten hat ergeben, dass keinerlei sogenannte brandbeschleunigende Mittel wie zum Beispiel Benzin verwendet wurden. Auch ein technischer Defekt ist völlig auszuschließen“, so Zimmermann.

Die wahrscheinlichste Erklärung sei demnach eine achtlos in den Hausflur geschnippte Zigarette, die auf eine Plastikwanne mit Tapetenresten im Flur gefallen sein könnte.

Mit „anderslautenden Berichten“ spielt Zimmermann auf eine Bürgerinitiative an, die sich im Arbeiterviertel nach dem Brand gegründet hat. In einem anderthalb Seiten langen offenem Brief, der von zwölf Personen unterschrieben wurde, klagen die Initiatoren an: „Mit ziemlicher Sicherheit gibt es politische Motive hinter dem Attentat.“ Die Verfasser berufen sich auf einen vermeintlichen Zeugen, der gesehen habe, dass im Treppenhaus des Achtfamilienhauses eine Flüssigkeit ausgeschüttet worden sei, bei der es sich höchstwahrscheinlich um Benzin gehandelt habe.

Die Ermittler ärgern sich über diesen Brief, weisen die Vorwürfe zurück und beschuldigen die Initiative der "politischen Instrumentalisierung" des Feuers. Dem Zeugen sei regelrecht aufgetragen worden, als Motiv für die Tat Ausländerfeindlichkeit anzugeben, so der Chef des 1. Kriminalkommissariats, Elmar Zimmermann, damals auf Nachfrage der WAZ. Im Kripo-Verhör habe der angebliche Zeuge eingestanden, überhaupt erst zwei Tage nach dem tödlichen Feuer am Brandort gewesen zu sein.

Erst nach und nach deuten die technischen Untersuchungen der Kriminalämter darauf hin, dass der Brand mutmaßlich doch vorsätzlich gelegt wurde. Die Staatsanwaltschaft stellt eine Belohnung in Höhe von 10.000 DM für denjenigen in Aussicht, der Hinweise auf den Brandstifter geben kann. Im gleichen Atemzug lässt der Staatsanwalt über die Presse erklären, dass die vorsätzliche Brandstiftung nur eine der Möglichkeiten der Brandentstehung sei.

Mit der Zeit kehrt für die meisten Menschen der Alltag in Wanheimerort wieder ein. Den Überlebenden des Feuers wird mit Sach- und Geldspenden geholfen. Ramazan Satir und das tragische Schicksal seiner Familie geraten in Vergessenheit.

Der Brandanschlag auf ein Asylheim in Duisburg in einer dunklen Ära

Als Evelin D. 1994 gesteht, das Feuer in Wanheimerort und im Asylheim an der Duisburger Straße gelegt zu haben, ist sie bereits wegen kleinerer Brandstiftungen in Haft. „Die Taten sind auf die Erkrankung der Verurteilten zurückzuführen und hatten keinen fremdenfeindlichen Hintergrund“, ist sich das Gericht damals sicher.

Dass die Brandstiftung im Asylheim in eine Ära fällt, in der in Deutschland vermehrt Angriffe gegen Ausländer zu beklagen sind, sei Zufall. Bei mehreren Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte wurden zahlreiche Menschen getötet. In Erinnerung bleiben vor allem die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda (September 1991) und Rostock-Lichtenhagen (August 1992) und die Mordanschläge gegen Türkeistämmige wie der Mordanschlag von Mölln (November 1992) und der Brandanschlag von Solingen (Mai 1993).

Die Staatsanwaltschaft ist sich bei Evelin D. aber sicher, dass die „Pyromanin“ auf der Suche nach einem geeigneten Brandobjekt „zufällig an dem Duisburger Asylbewerberheim vorbeigekommen ist“. Da die Haustür offen stand, habe sie das Gebäude für die Tat ausgewählt.

Der Ermittler und die Rassismusvorwürfe

Unsere Redaktion hat den damals mit dem Brand in Wanheimerort befassten Ermittler Elmar Zimmermann mit den Vorwürfen der Initiative konfrontiert. Zimmermann ist mittlerweile seit sechs Jahren pensioniert. 42 Jahre lang stand er im Dienst der Polizei. Mehr als die Hälfte davon im Polizeidienst „an der Front“, unter anderem von 1984 bis 1989 als Chef der Duisburger Mordkommission. Anschließend leitete er die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Duisburg. Er sagt: „Wir waren seinerzeit ganz sicher, dass keine Rechtsradikalen dort am Werke waren. Dafür gab es überhaupt gar keine Anhaltspunkte.“ Er könne sich gut an die Ermittlungen 1984 erinnern, so Zimmermann. „Ich weiß, dass auch damals schon versucht wurde, ein rechtsradikales Motiv zu konstruieren. Wenn wir entsprechende Hinweise bekommen haben, dann sind wir denen nachgegangen. Wir haben aber keine Anhaltspunkte dafür gefunden, die diesen Verdacht bestätigt hätten“, versichert Zimmermann.

Die Initiatoren von „DU 26. August 1984“ überzeugt das nicht. Sie wollen einen Diskurs darüber anstoßen, ob durch die frühzeitigen Aussagen von Polizei und Staatsanwaltschaft, es handele sich nicht um ein rassistisches Motiv, Einfluss auf die spätere Entscheidung des Gerichts genommen wurde. „Das ist vermutlich auch ein Grund, weshalb der Brandanschlag nicht ausreichend aufgeklärt wurde. Wir lassen die Akten nicht ruhen und fordern die Einrichtung einer unabhängigen Kommission“, sagt die Aktivistin Ceren Türkmen. Die Mordserie des NSU habe gezeigt, wie tief Rassismus in den Institutionen verankert sein kann.

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Die Initiatoren von DU 26. August 1984

  • Eher zufällig sind linke Aktivisten auf den Brandanschlag vom 26. August 1984 gestoßen.
  • Das Trio, bestehend aus der Duisburger Soziologin Ceren Türkmen, dem freischaffenden Theaterregisseur Alexander Bauer und der Aktivistin und Kulturarbeiterin Ayse Gülec, befasste sich mit der Geschichte der Selbstorganisierung von Migranten im Ruhrgebiet, als sie auf die Zeitungsberichte über den verheerenden Brand stießen.
  • Die Aktivisten wollen „den Brandanschlag aus der Vergessenheit holen und Rassismus als Motiv der Täterin überprüfen lassen“.